Audiokanal „Stadtstimmen“

Kultur ist hörbar! Mit dem Audiokanal „Stadtstimmen“ können Sie die Podcasts „Archivwürdig“ und „S’Vorwort“ unterwegs oder zuhause hören.

Archivwürdig

In der Podcast-Sendung des Innsbrucker Stadtarchivs spricht Tobias Rettenbacher, Mitarbeiter des Stadtarchivs Innsbruck, mit Gästen über verschiedene, stadtgeschichtliche Themen.

3. Staffel:

Für die dritte Staffel wurde die bevorstehende Neugestaltung des Gedenkorts Reichenau als Anlass genommen, um vor allem über zwei Themenbereiche zu sprechen. Zum einen über verschiedene Aspekte des ehemaligen Arbeitserziehungslagers Reichenau, wie etwa dessen Entstehung und Nachnutzung oder archäologische Grabungen zum Lager. Zum anderen wird etwas allgemeiner auf die zugrundeliegende Thematik von Erinnerungskultur und Erinnerungsorten eingegangen.

Transkription

[Intro-Musik] Tobias: Hallo liebe Hörerinnen von Archivwürdig! Nach längerer Pause melde ich mich heute mit erfreulichen Nachrichten zur bevorstehenden dritten Staffel unseres Podcast. Das Wichtigste gleich vorneweg Die neue Staffel startet nächste Woche Donnerstag, den 28. November. Und neue Folgen erscheinen ausnahmsweise im wöchentlichen Rhythmus. Was erwartet Sie in der dritten Staffel von Archivwürdig? Wie Sie, liebe Hörerinnen, vielleicht den Medien entnommen haben, gab es einen internationalen Wettbewerb für einen zeitgemäßen Gedenkort in der Reichenau. Die bevorstehende Neugestaltung haben wir zum Anlass genommen, um zum einen über das ehemalige Arbeitserziehungslager Reichenau zu sprechen. Zum anderen wollen wir, anknüpfend daran auch auf die darüberstehende Thematik von Erinnerungskultur und Erinnerungsorten eingehen. Abschließend möchte ich den Hinweis geben, dass der Großteil der Folgen noch während des laufenden Wettbewerbs für den Gedenkort aufgezeichnet wurden. Sollten Sie Fragen, Wünsche oder Anregungen zu den einzelnen Folgen haben, dann erreichen Sie uns via Email unter podcast@innsbruck.gv.at. Wie gesagt, nächste Woche geht es los und es würde uns wie immer ausgesprochen freuen, wenn Sie fleißig reinhören. [Outro-Musik] Tobias: Archivwürdig ist eine Produktion des Stadtarchiv Innsbruck und Teil der Stadtstimmen, dem Audiokanal der Stadt Innsbruck. #00:02:04‑8#

Transkription

[00:00:00]  Tobias: Hallo und herzlich willkommen zur ersten Folge unserer dritten Staffel von Archivwürdig,

[00:00:06]  dem Podcast des Innsbrucker Stadtarchivs.

[00:00:10]  Zu Beginn unserer Staffel habe ich Sabine Pitscheider zum Gespräch eingeladen.

[00:00:15]  Sabine forscht seit vielen Jahren über die NS-Zeit in Tirol und war Teil der Expert:innenkommission

[00:00:21]  für die neue Gedenkstätte sowie Mitautorin einer Studie zum Arbeitserziehungslager Reichenau.

[00:00:28]  Gemeinsam sprechen wir vor allem über das Arbeitserziehungslager Reichenau,

[00:00:31]  aber auch ganz generell über die Lager- und Lagerarbeit in Tirol.

[00:00:36]  [Intro-Musik] Tobias: Liebe Sabine, danke, dass du heute mit mir über das Arbeitserziehungslager Reichenau sprichst.

[00:00:57]  Was auch ja, ich sage jetzt mal, das übergeordnete Thema der Staffel ist.

[00:01:01]  Und fangen wir vielleicht einfach wirklich ganz an der Basis an zum Arbeitserziehungslager Reichenau.

[00:01:08]  Seit wann gibt es denn das Arbeitserziehungslager Reichenau?

[00:01:11]  Sabine: Seit dem Winter 1941/42.

[00:01:14]  Und ursprünglich war daran gedacht, ein Auffanglager für italienische Arbeitskräfte zu errichten.

[00:01:20]  Weil das war genau die Zeit, als italienische Arbeitskräfte massenhaft aus dem deutschen Reich wieder Richtung Heimat wollten.

[00:01:26]  Und viele wurden am Brenner aufgegriffen.

[00:01:28]  Und das deutsche Reich wollte keine Arbeitskräfte verlieren.

[00:01:31]  Und daher war daran gedacht, die irgendwo zu sammeln und weiter zu verteilen, also nach einer Bestrafung.

[00:01:36]  Weil das war ja Arbeitsflucht und war verboten.

[00:01:39]  Und als die italienische Regierung davon erfuhr, waren sie nicht begeistert,

[00:01:43]  weil offiziell war Italien ja ein Verbündeter des deutschen Reiches

[00:01:46]  und mit Freunden geht man ja normalerweise so nicht um.

[00:01:49]  Und dann war eben die Weisung, ja gut, wenn das kein Auffanglager ist,

[00:01:52]  dann machen wir ein Arbeitserziehungslager

[00:01:54]  und Arbeitserziehungslager gab es über das ganze Reich verteilt, über 100.

[00:01:58]  Und die waren zur Disziplinierung vorgesehen.

[00:02:01]  Für jede Arbeitskraft, egal welche Staatsbürgerschaft.

[00:02:04]  Und dort sollten die Menschen diszipliniert zur Arbeit erzogen unter Anführungszeichen zu sehen, bitte.

[00:02:11]  Erzogen werden und nach einer gewissen Zeit der äußerst schlechten Behandlung wieder zurück an ihre alte Arbeitsstelle kommen

[00:02:17]  und dort weiter erzählen, wie schlecht es ihnen gegangen ist, damit die anderen nicht auch auf die Idee kommen, sich zu widersetzen.

[00:02:23]  Tobias: Die Wahl des Standortes, das ist ja nicht ganz willkürlich.

[00:02:27]  Sabine: Es war nicht willkürlich, wie du sagst.

[00:02:29]  Das NS-Regime hat dringend Lager gebraucht, um die vielen Arbeitskräfte unterzubringen,

[00:02:32]  egal ob jetzt Kriegsgefangene, freiwillige Zivilarbeiter oder Zwangsarbeiter.

[00:02:36]  Und haben meistens an Stadträndern oder Ortsrändern versucht, diese Infrastruktur zu schaffen.

[00:02:43]  Und das erste Lager in der Reichenau in diesem Gebiet, wo dann das AEL stand, war das Kriegsgefangenenlager der Stadt Innsbruck.

[00:02:50]  Und gleich anschließend war dann ein Zivilarbeiterlager der Stadt Innsbruck, im Laufe der Jahre

[00:02:54] kam noch ein Lager der Reichspost und ein Lager der Reichsbahn.

[00:02:57]  Und der Standort war insofern günstig gewählt aus NS-Sicht

[00:03:01]  Mit der Nordbrücke konnte man auf die andere Innseite

[00:03:05]  und dort war eine Straßenbahnhaltestelle.

[00:03:07]  Und zugleich lagen diese Lager fußläufig entfernt von den großen Baustellen der Stadt Innsbruck in Pradl.

[00:03:14]  Und damit zu Fuß auch erreichbar.

[00:03:17]  Tobias: Du hast nämlich jetzt eh schon angesprochen, die anderen Lager, was es ja noch auf städtischem Gebiet gab.

[00:03:22]  Wie ist denn auch das Arbeitserziehungslager jetzt von der Größe her einzuordnen auf Innsbruckerboden oder auch von der Wichtigkeit des Lagers?

[00:03:31]  Im Gegensatz vielleicht zu den Innsbrucker-Lagern noch oder weiteren Lagern.

[00:03:35]  Und vielleicht auch, wenn wir ein bisschen schauen, auf Tirol ein bisschen im Verhältnis sozusagen.

[00:03:41] Sabine: Innsbruck selber hat, also normalerweise hat jede größere Gemeinde ein eigenes Lager gehabt.

[00:03:46]  Die haben normalerweise die örtlichen Gewerbebetriebe ihr Personal eingemietet und dafür bezahlt.

[00:03:52]  Das heißt, das war im Prinzip wie ein Wirtschaftsunternehmen.

[00:03:54]  Genauso war das für die Stadt Innsbruck.

[00:03:56]  Und in den Lagern der Stadt Innsbruck in den beiden kamen theoretisch 750 Menschen unter.

[00:04:01]  Also es gab 750 Schlafstellen.

[00:04:03]  In Notfällen waren es oft mehr.

[00:04:06]  Und dann gab es eben die Lager von Firmen.

[00:04:10]  Das heißt, einige Unternehmen, vor allem Baufirmen, hatten eigene Firmenlager.

[00:04:14]  Die waren meistens klein, 100/150 Männer und wurden dann wieder verlegt, wenn die Baustelle fertig war.

[00:04:20]  Das heißt, das waren wirklich so Wanderlager.

[00:04:23]  Und das heißt, in Innsbruck selbst haben wir eben die Lager der Stadt Innsbruck mit an die 750 Personen.

[00:04:31]  Die kleineren Firmenlager oder größeren.

[00:04:34]  Und das AEL war mit 800 möglichen Unterbringungsplätzen gehörte zu den Großlagern von Innsbruck.

[00:04:43]  Die größten Lager in Tirol hatten aber die Lager der Kraftwerksbauten.

[00:04:47]  Also die TIWAG im Unterinntal und die Westtiroler Kraftwerke in West Tirol.

[00:04:53]  Und das waren, entschuldige ganz kurz, das waren Lager so mit 1.000, 1.500, 2.000.

[00:04:58]  Tobias: Das sind dann, so blöd das jetzt klingt, aber auch Häftlinge oder Inhaftierte von den Lagern,

[00:05:05]  also Tirol weit auch ausgetauscht worden, also dass sie für Arbeitseinsätze dann zum Beispiel ins Unterinntal gekommen sind.

[00:05:13]  Dort da dann für eine Zeit geblieben sind und dann wieder zurückgekehrt ins Arbeitslager kommen sind?

[00:05:17]  Sabine: Das war ganz üblich.

[00:05:18]  Das heißt, normalerweise eine Arbeitskraft, egal ob jetzt Zivil-, Kriegsgefangener oder zwangsverpflichtet,

[00:05:24]  konnte sich den Arbeitsplatz nicht aussuchen.

[00:05:26]  Zugeteilt hat das das Arbeitsamt nach wirtschaftlichen Überlegungen.

[00:05:30]  Das heißt, es war ganz üblich, dass jemand, der vielleicht zuerst beim Lager der Baufirma Retter auf der Ulfiswiese war,

[00:05:37]  kam dann ins Ötztal oder dann zu den Illwerken und im Winter vielleicht wieder zurück in die Stadt.

[00:05:42]  Das heißt, wir haben es zwar immer mit sehr vielen Menschen zur selben Zeit zu tun, die aber nicht immer die gleichen Menschen waren.

[00:05:48]  Tobias: Weil wir ja auch schon das Thema kurz angeschnitten haben.

[00:05:52]  Arbeitseinsätze sind an einer Baustelle, an ein Bauvorhaben gekommen.

[00:05:58]  Wie ist denn der formale Ablauf, wie man als Firma zum Beispiel an eine Arbeitskraft,

[00:06:05]  nennen das jetzt Arbeitskraft, das sind ja zwangsverpflichtete,

[00:06:08]  kommt, ist das ein formeller Akt, ein Schreiben, was man abschickt und dann bekommt man die Person?

[00:06:15]  Sabine: Es war komplizierter. [beide lachen]

[00:06:18]  Sabine: Also zuständig war einzig und allein das Arbeitsamt.

[00:06:21]  Das heißt, wenn eine Firma eine Arbeitskraft brauchte, männlich, weiblich, alt, jung, egal,

[00:06:25]  musste ein Ansuchen an das Arbeitsamt gestellt werden.

[00:06:28]  Und dann musste man beweisen, dass man die Arbeitskraft auch unterbringen konnte.

[00:06:32]  Deshalb gab es ja diese vielen Firmenlager und Gemeindelager.

[00:06:35]  Und erst wenn das gesichert war, ging das Arbeitsamt daran, so eine Person zu suchen.

[00:06:40]  Es gab mit befreundeten Staaten, hatte das NS-Regime Anwerbeabkommen,

[00:06:44]  mit Italien, Bulgarien, Ungarn und so weiter.

[00:06:47]  Und das heißt, in diesen Ländern gab es Anwerbebüros, wo sich Menschen bewerben konnten,

[00:06:52]  um eine Arbeit im Deutschen Reich, wenn sie gesund und arbeitsfähig waren

[00:06:55]  und nicht feindlich eingestellt, kamen sie ins Deutsche Reich zur Arbeit.

[00:06:58]  Das waren die Freiwilligen.

[00:07:00]  Wobei die Freiwilligkeit sich sehr relativiert, weil wenn sie im Deutschen Reich,

[00:07:03]  wenn ihnen die Arbeit nicht gefiel und sie wollten gehen, ging das nicht mehr.

[00:07:06]  Und ab dann war das eher eine Zwangsarbeit.

[00:07:10]  Und das Arbeitsamt hat dann eben bei diesen Anwerbebüros angefragt

[00:07:14]  und es kamen immer wieder... entweder die Leute kamen einzeln ins Reich oder mit Transporten.

[00:07:19]  Und mit Transporten kamen sie vor allem aus den besetzten westlichen Gebieten der Sowjetunion,

[00:07:26]  heute Ukraine und Weißrussland, die unterlagen besonderen strengen Bestimmungen.

[00:07:32]  Sie mussten ein eigenes Kennzeichen tragen, damit jeder sofort wusste,

[00:07:35]  dass er es mit unter Anführungszeichen "Untermenschen" zu tun hatte.

[00:07:39]  Und mit diesen Deportationszügen kamen sie gesammelt ins Reich

[00:07:43]  und wurden dann an die Arbeitsämter verteilt und die Arbeitsämter verteilten sie dann wieder auf die einzelnen Firmen.

[00:07:48]  Wann die Arbeitskraft einlangte, konnte niemand sagen, weder das Arbeitsamt noch sonst wer,

[00:07:53] das heißt im Prinzip haben die Firmen, die wirklich Arbeitskräfte brauchten,

[00:07:57]  eine enorme Ausdauer gebraucht, bis sie überhaupt jemanden bekommen.

[00:08:02]  Sie durften nicht jemanden einstellen, der sich frei bei ihnen beworben hatte, das war nicht möglich.

[00:08:06]  Es kam zwar vor, aber theoretisch war das nicht möglich.

[00:08:09]  Einzig zuständig, das Arbeitsamt.

[00:08:11]  Tobias: Wäre es auch möglich gewesen, dass die Arbeitskraft auch einfach gar nicht gefunden worden ist

[00:08:15]  und dann sozusagen es nie zur Überstellung einer Arbeitskraft gekommen ist?

[00:08:20]  Sabine: Ja, das ist durchaus vorkommen.

[00:08:22]  Das Arbeitsamt, da hat einfach die Meldung lapidar gelautet, derzeit nicht möglich.

[00:08:26]  [Drehgeräusch] Tobias: Gehen wir vielleicht wieder nur den Schritt zurück zum Arbeitserziehungslager in der Reichenau.

[00:08:34]  Du hast ja schon gesagt, die werden registriert, an und für sich,

[00:08:38]  kommen herein, die kommen jetzt aus dem Osten, verschiedene Standorte,

[00:08:42]  die treffen in dem Lager ein,

[00:08:44]  werden die dann.. oder wie penibel werden die auch registriert, die Ankommenden?

[00:08:50]  Sabine: Das war davon abhängig, ob es Kriegsgefangene oder Zivilarbeiter waren.

[00:08:54]  Kriegsgefangene wurden in den Kriegsgefangenenstammlagern,

[00:08:58]  die meisten, die nach Tirol kamen, kamen aus Markt Pongau, heute St. Johann im Pongau.

[00:09:03]  Die hatten eine Nummer und der ganze Schriftverkehr lief zwischen der Leitung des Stammlagers und dem Arbeitsamt.

[00:09:10]  Das Unternehmen selbst hatte damit nichts zu tun.

[00:09:12]  Das mietete nur die Arbeitskraft dieser Männer.

[00:09:15]  Und wöchentlich musste das Kriegsgefangenenlager dem Bürgermeister des Ortes, wo das Lager lag,

[00:09:20]  melden, wer in diesem Lager momentan interniert war, inhaftiert war

[00:09:26]  und welcher Firma diese Leute zugeteilt waren.

[00:09:29]  Diese Listen gibt es großteils nicht mehr.

[00:09:31]  Bei Zivilarbeitern war das so, das lief unter dem Ausländerbeschäftigungsgesetz,

[00:09:35]  so wie heute. Es gab bei jeder Bezirkshauptmannschaft eine Ausländerbehörde,

[00:09:39]  da gab es dann eine befristete Aufenthaltsbewilligung, die Menschen, wurden sozial versichert,

[00:09:44] und bekamen einen eigenen Ausweis als ausländische Arbeitskraft, so wie wir das heute auch kennen.

[00:09:50]  Tobias: Wie siehst du den Unterschied jetzt von einem Arbeitserziehungslager zu einem Konzentrationslager?

[00:09:56]  Sabine: Der Hauptunterschied liegt im Zweck des Lageraufenthalts.

[00:10:02]  Um das jetzt einmal... Tobias: Pauschal zu sagen. Es ist schwierig des... Sabine: Es ist sehr schwierig, aber normalerweise, muss man sagen, in einem AEL war das Ziel nicht der Tod des Menschen,

[00:10:13]  weil der sollte ja wieder in einen Arbeitsprozess zurück.

[00:10:16]  Und nachdem es an Arbeitskräften ja gemangelt hat, war im Prinzip die Erhaltung der Arbeitskraft das Ziel.

[00:10:22]  Das hat mit der Praxis im Arbeitserziehungslager dann herzlich wenig zu tun.

[00:10:30]  Was aber auch daran liegt, dass das Arbeitserziehungslager Innsbruck jede Menge andere Funktionen übernommen hat.

[00:10:37]  Es war zum Beispiel ein Transitlager für depotierte Jüdinnen und Juden aus Italien, auf ihrem Weg nach Auschwitz.

[00:10:43]  Und während sie hier interniert waren, mussten sie natürlich auch Arbeit leisten und wurden extrem schlecht behandelt,

[00:10:50]  weil sie als unter Anführungszeichen "Untermenschen" überhaupt keinen Lebenswert hatten.

[00:10:54]  Oder Arbeitskräfte, die nach dem Italien abgefallen ist, ab Sommer 1943, wurden Arbeitskräfte Italiener,

[00:11:04]  die streikten über das Lager Reichenau in das deutsche Reich deportiert.

[00:11:09]  Die wurden extrem schlecht behandelt.

[00:11:11]  Die haben einige Tote aus diesen depotierten italienischen Arbeitern.

[00:11:15]  Und dann hat das Lager noch die Funktion eines, nennen wir es, Depot für politisch Missliebige.

[00:11:25]  Zum Beispiel als im Sommer 1944, das Attentat auf Hitler scheiterte,

[00:11:29]  kam es ja im ganzen Reich zu Verhaftungen.

[00:11:31]  Und auch in Tirol, wo diejenigen, die als politische Feinde angesehen wurden, interniert im Arbeitserziehungslager Reichenau.

[00:11:38]  Noch einmal war das der Fall im April 1945 dann.

[00:11:42]  Oder wir haben im Frühjahr 1943 diese Aktion, dass der Gauleiter Hofer wollte Tirol unbedingt judenfrei bekommen

[00:11:50]  und hat einfach die jüdischen Ehepartner von Arischen in arischen Ehen verhaften lassen

[00:11:56]  und hat sie im Arbeitserziehungslager Reichenau deponiert, auf ihrem Weg nach Auschwitz.

[00:12:02]  Diese Menschen wurden wieder anders behandelt.

[00:12:04]  Das heißt, wir haben einerseits eben diese Arbeitserziehung, wo das Ziel war, nicht töten,

[00:12:09]  weil die Arbeitskraft erhalten bleiben soll und dann haben wir wieder Menschen dort inhaftiert gehabt,

[00:12:14]  wo es egal war, ob sie leben oder sterben.

[00:12:17]  Und das hat einfach mit dem Funktionswandel des Lagers zu tun, dass es sehr schwierig zu sagen ist,

[00:12:22]  wo der Unterschied zu einem KZ eigentlich sein soll.

[00:12:26]  Tobiaa: Ich verstehe ja, weil es einfach die, die, von Personengruppen im Lager schon unterschiedlich ist.

[00:12:32]  Sabine: Es ist einfach davon abhängig gewesen, wie das NS-Regime einen Menschen eingestuft hat in seinem "Wert".

[00:12:38]  Und es hat eben Wertlose gegeben und Menschen, die wertvoller waren.

[00:12:42]  Also die Vorschriften haben eigentlich besagt, dass jemand maximal 56 Tage zur Arbeitserziehung dort bleiben soll.

[00:12:48]  Und Arbeitserziehung hat dann bedeutet, Zwangsarbeit normalerweise für die Stadt Innsbruck.

[00:12:52]  Tobias: Du hast gesagt, normalerweise, das heißt, das ist nie der ... also ...

[00:12:56]  Sabine: Mit der Zeit haben sich die Grenzen, je länger der Krieg gedauert, hat desto eher sind Vorschriften einfach ignoriert worden.

[00:13:02]  Und zum Beispiel diese Grenze von 56 Tagen hat nicht für die sogenannten Ostarbeiter gegolten und für diese Deportierten aus der West-Sowjetunion.

[00:13:09]  Die durften unbegrenzt ausgebeutet werden, weil die waren sowieso ganz, ganz unten in der Hierarchie des Menschenwertes.

[00:13:18]  Und deshalb ... also es ist sehr schwierig zu sagen.

[00:13:22]  Tobias: Es ist nicht einfach.

[00:13:23]  Und deswegen habe ich mir gedacht, ich frags jetzt trotzdem einmal, weil es ist für die Menschen da draußen,

[00:13:29]  weil man hört immer Arbeitserziehungslager Reichenau aber ...

[00:13:32]  Sabine: Was ist das?

[00:13:33]  Tobias: Was ist das und warum gibt es dann KZ, warum gibt es die Auffanglager, dieses Lager, da ...?

[00:13:39]  Sabine: Ja. Das deutsche Lagersystem war sehr diffizil mit den unterschiedlichen Funktionen, die dazu geschrieben wurden.

[00:13:45]  Weil jetzt zum Beispiel, ein normales..., also in einem Kriegsgefangenen Lager war das Ziel nicht töten.

[00:13:50]  Tobias: Ja. Sabine: Das Ziel war Arbeitskraft ausbeuten.

[00:13:52]  Also in einem Arbeitskriegsgefangenenlager.

[00:13:55]  In den Stammlagern zum Beispiel war die Überlebenswahrscheinlichkeit je höher, desto westlicher du warst.

[00:14:02]  Also ein Sowjetischer Kriegsgefanger, die Überlebenswahrscheinlichkeit eines sowjetischen Kriegsgefangenen war gering,

[00:14:07]  weil die einfach schlechter behandelt wurden.

[00:14:09]  Weil je nachdem, woher jemand gekommen ist, hat man die Nahrung... die Menge an Lebensmitteln bekommen... oder eben nicht.

[00:14:17]  Tobias: Dasselbe wird auch für Kriegsgefangene gelten.

[00:14:19]  Sabine: Auch. Auch wobei bei den Kriegsgefangenen normalerweise die Stalagleitung da die Vorschriften gemacht hat.

[00:14:26]  Da hat das Regime selber nicht so eingreifen können.

[00:14:29]  Und die Stalag hat sich ja wirklich richten müssen, eigentlich nach der Genfer Konvention.

[00:14:34]  Da hat das NS-Regime nicht so radikal eingreifen können wie jetzt in einem Zivilarbeiterlager.

[00:14:40]  In einem Zivilarbeiterlager hat die Sache ja anders ausgeschaut.

[00:14:43]  Da war kein Rotes Kreuz und keine Genferkonvention.

[00:14:46]  Da hätten normale Menschenrechte genügt, aber Menschenrechte haben im NS-Regime einfach nicht existiert.

[00:14:50]  Zumindest nicht für diese Menschen.

[00:14:52]  Tobias: Feiner Unterschied.

[00:14:53]  Sabine: Es ist ein Unterschied.

[00:14:54]  Tobias: Aber das was viel ausmacht.

[00:14:56]  Sabine: Das macht ganz viel aus.

[00:14:57]  Es ist zum Beispiel dann so, ab dem Zeitpunkt, dass ab... sagen wir, dem Frühjahr 1942,

[00:15:02]  hatte das NS-Regime begonnen, Millionen von Menschen aus den westlichen Gebieten,

[00:15:05]  der Sowjetunion zu deportieren.

[00:15:07]  Und ab dem Zeitpunkt ist die Zahl der Kriegsgefangenenlager tendenziell zurückgegangen.

[00:15:12]  Und es sind mehr Ostarbeiterlager eingerichtet worden.

[00:15:15]  Weil die einfach... schlimmer zu behandeln waren, ohne dass einem was passiert.

[00:15:20]  Weil wenn man jetzt zum Beispiel schaut für die Disziplin, also wenn jetzt zum Beispiel ein Kriegsgefangener zu fliehen,

[00:15:25]  versucht hat, was sehr oft vorkommen ist, weil die Grenzen waren nahe und sehr verlockend.

[00:15:30]  Da war dann die Wehrmacht zuständig.

[00:15:32]  Das heißt, da wurde wieder aufgegriffen.

[00:15:34]  Da wurde ja Wehrmachts-Offizier informiert, da ist abgeholt worden und ins Stammlager zurückgebracht worden.

[00:15:39]  Versuchte ein Zivilarbeiter zu fliehen, war die Gestapo zuständig.

[00:15:42]  Das heißt, es war einfach viel einfacher.

[00:15:44]  Weniger Abstimmungsbedarf, nahe Befehlskette.

[00:15:48]  Und Zivilarbeiter haben, also gerade die sogenannten Ostarbeiter haben extrem wenig Geld verdient.

[00:15:54]  Das war kein Lohn, das war eine Art von Aufwandsentschädigung.

[00:15:57]  Und sie haben weniger zu Essen bekommen als andere.

[00:16:00]  Also man hat eine italienischen Arbeitskraft nicht mit dem Essen abspeisen können, das Ostarbeiter bekommen haben.

[00:16:06]  Tobias: Du hast gerade auch angesprochen, die Fluchtversuche vor allem bei den Kriegsgefangenen sind bei deiner Recherche,

[00:16:13]  ist dir untergekommen, dass es vom Arbeitserziehungslager auch Fluchtversuche gegeben hat?

[00:16:17]  Erfolgreiche oder unerfolgreiche?

[00:16:20]  Sabine: Keine.

[00:16:21]  Tobias: Keine, oder?

[00:16:22]  Sabine: Nein, also nicht nach den Akten.

[00:16:25]  Und das Problem mit den Akten ist, dass die Gestapo im April 1945 ihre Akten verbrannt hat.

[00:16:32]  Das heißt, wir wissen, über das Arbeitserziehungslager oft nur Bescheid aus Gerichtsprozessen,

[00:16:38]  aus Totenscheinen, aus Zeitzeugenaussaugen, aber nicht aus wirklich eigenem Aktenmaterial.

[00:16:45]  Tobias: Das wäre eh die nächste Frage, wie schwierig das ist,

[00:16:49]  ein Lager von der Größe auch irgendwie nachzuzeichnen, wo ja doch eine Vielzahl von der Aktenlage ja zerstört worden ist.

[00:16:57]  Sabine: Interessanterweise verstecken sich in Gemeindearchiven relativ,

[00:17:00]  viele Unterlagen. Das müsste man mal genauer, da müssten dann die Gemeindechronisten,

[00:17:04]  Ortschronisten sich einmal um diese Sache bemühen, weil Gemeindearchive oft wahre Schätze bergen,

[00:17:09]  die nirgendwo sonst mehr aufscheinen. Man bekommt relativ viele Informationen aus Prozessakten,

[00:17:16]  nach 1945, die Prozesse vor dem Volksgericht, die ja nicht nur Hochverrat geahndet haben,

[00:17:22]  sondern auch Kriegsverbrechen. Da bekommt man, also wenn dann ein Prozess gegen jemanden,

[00:17:29]  der Kriegsgefangene oder Zivilarbeiter misshandelt hat, da bekommt man Informationen, wie das einzelne

[00:17:34]  Lager funktioniert hat. Man bekommt Informationen eigentlich aus vielen verschiedenen Quellen,

[00:17:40]  Landesbauamt, wenn es darum geht er geeignet, einen geeigneten Standort für ein Lager zu suchen. Oder wenn

[00:17:45]  eine Firma möchte ein Lager errichten und wendet sich an das Stadtbauamt Innsbruck und das

[00:17:50]  Stadtbauamt sagt, nein, wir wollen nicht, dass man bei der Orts-Einfahrt sofort ein Lager sieht,

[00:17:54]  weil es wirklich auf den Tourismus abschreckend. Und deshalb ist ja zum Beispiel diese Lager in der

[00:18:00]  Reichenau, die waren ja alle relativ eng beieinander, einfach weil der Gauleiter gesagt hat,

[00:18:05]  ich will nicht, dass die Lager über die ganzen Stadt verteilt sind, es ist sicherheitsmäßig

[00:18:08]  einfach ein Unding. Die Firmen wollten, es war ein bisschen ein Widerstreit, die Firmen wollten die

[00:18:12]  Lager möglichst nahe beim eigenen Firmengelände und der Gauleiter wollte sie möglichst an

[00:18:16]  zwei Orten konzentriert haben, damit es nicht jedem gleich so auffällt. Tobias: Das ist eh ja auch ein guter

[00:18:22]  Punkt, den du da ansprichst, dass sie nicht jedem auffallen. Ich weiß es nur aus einigen

[00:18:27]  oder zumindest aus einem Interview, was ich geführt habe mit einer Zeitzeugin, die gesagt hat,

[00:18:31]  sie hat die nie gesehen durchmarschieren, die Zwangsarbeiter. Wie siehst du das? Es muss ja von

[00:18:39]  die Leute, vor allem wenn sie für Arbeitseinsätze ja von Firmen verwendet werden, die müssen ja

[00:18:45]  eigentlich wissen, woher die Leute sind oder wo die, also nicht, wo ihre ursprüngliche Heimat ist,

[00:18:51]  aber wo die derzeitig sind. Sabine: Mhm. Ja. Tobias: Also die Aussage quasi, wie man sie auch immer hat, man hat nichts gewusst.

[00:18:58]  Sabine: Nein, das ist unglaubwürdig. Zwangsarbeiter waren in jeder Gemeinde, auch in der Kleinsten und wenn sie

[00:19:04]  nur bei einem Bauern einer war, die waren überall. Und in der Stadt haben sie sich überhaupt nicht

[00:19:11]  verbergen lassen, weil zum Beispiel die Häftlinge des AEL mussten eigene Kleidung tragen und aus

[00:19:15]  Ressourcenmangel hat es diese eigene Kleidung nicht mehr geben, dann hat die Gestapo einfach die

[00:19:18]  Zivilkleidung der Gefangenen mit Ölfarbe beschmiert. Damit man erkennt, dass es Häftlinge sind.

[00:19:23]  Und normalerweise haben ja die Menschen ja Zivilkleidung getragen. Das heißt,

[00:19:28]  Zivilarbeiter sind mit Zivilkleidung angereist und Kriegsgefangene haben die Uniform getragen,

[00:19:34]  was ihre Flucht erschwert hat. Weil damit der Kriegsgefangene erfolgreich fliehen konnte,

[00:19:39]  hat er Zivilkleidung gebraucht und was auch noch sehr schwierig war, ist, dass Kriegsgefangene bekamen

[00:19:44]  Geld für ihre Arbeit, aber nicht in Reichsmark, sondern in Lagergeld. Das waren so Gutscheine,

[00:19:49]  die nur in der Lagerkantine eingetauscht werden konnten. Das heißt, wollte jemand erfolgreich

[00:19:53]  fliehen, brauchte er erstens mal gute Geografiekenntnisse, zweitens wenn möglich ein wenig Sprachkenntnisse,

[00:19:59]  drittens Zivilkleidung und viertens richtiges Geld. Tobias: Mhm. Nicht so leicht zum Erhalten. Sabine: Schwierig.

[00:20:06]  Tobias: Und vor allem ohne Mithilfe einer lokalen Bevölkerung. Sabine: Das hat die Mithilfe der

[00:20:11]  lokalen Bevölkerung gebraucht. Richtig.

[00:20:13]  [Drehgeräusch] Wir haben jetzt sehr viel von den Zwangsarbeitern Kriegsgefangenen gesprochen. Gab es denn auch

[00:20:23]  weibliche Gefangene in der Reichenau bzw. in ganz Tirol?

[00:20:28]  Sabine: Also Kriegsgefangene sind per se männlich. Das ist klar. Unter den zivilen Arbeitskräften

[00:20:34]  muss man eben unterscheiden zwischen jenen, die aus verbündeten Staaten gekommen sind,

[00:20:37]  die theoretisch freiwillig waren. Dann diejenigen, die aus neutralen Staaten kommen, in Vorarlberg

[00:20:43]  betrifft es vor allem Bürger aus der Schweiz. Oder wo die Staatsbürgerschaft ungeklärt ist.

[00:20:49]  Aber wenn man sich, wenn man sich, es gibt verschiedene Statistiken zu verschiedenen

[00:20:52]  Zeitpunkten, im Dezember 1943 waren fast drei Viertel aller in Tirol Beschäftigten

[00:20:59]  Zivilarbeiter aus besetzten Staaten, die vermutlich nicht freiwillig da waren. Und wenn man sich diese

[00:21:06]  diese fast drei Viertel nochmal extra anschaut, dann muss man sagen, dass die überwältigende Mehrheit

[00:21:12]  davon kam entweder aus Polen oder aus den besetzten Westgebieten der Sowjetunion und hier

[00:21:17]  vor allem aus der Ukraine. Und was man noch einmal sieht, ist, wenn man sich das nach Geschlecht

[00:21:22]  anschaut, dass die überwiegende Mehrheit dieser Zwangsarbeiterinnen Frauen waren. Das heißt,

[00:21:29]  wir haben ab dem Frühjahr 1942 wird Zwangsarbeit nicht nur tendenziell weiblicher, sondern und

[00:21:34]  ganz wichtig tendenziell jünger. Deportiert wurden diese Menschen ab dem Alter von 14,

[00:21:39]  aber es waren auch jüngere möglich. Das heißt, wir haben in den meisten Lagern, die vor allem

[00:21:44]  mit Osterarbeiter:innen arbeiten, sind Jugendliche. Tobias: Die sind aber nicht hauptsächlich in der Reichenau

[00:21:51] gewesen. Sabine: Nein, die waren vor allem in der Landwirtschaft, in den sogenannten Aufbaugenossenschaften.

[00:21:56]  Jedes Jahr hat der Gau Aufbaugemeinden ernannt und die wurden besonders mit Geldmitteln subventioniert,

[00:22:02]  Güterwegebau, Materialseilbahnbau usw. Und jede dieser Aufbaugemeinden hatte

[00:22:08]  ein eigenes, ein sogenanntes Russen- oder Ostarbeiterlager. Und da waren die Mehrheit weiblich.

[00:22:13]  Tobias: Kaum vorzustellen eigentlich. Sabine: Kaum vorzustellen. Andererseits hat das NS-Regime den

[00:22:18]  Menschen aus dem Osten einen nur einen geringen Menschenwert beigemessen. Was diesen Frauen

[00:22:22]  widerfahren ist, ist, die wurden nicht nur extrem ausgebeutet. Textilwirtschaft, Textilindustrie,

[00:22:27]  Landwirtschaft, teilweise auch beim Bau. Sie mussten auch erleiden, dass zum Beispiel,

[00:22:31]  wenn sie schwanger wurden, an ihnen Zwangsabtreibungen vorgenommen wurden.

[00:22:34]  Tobias. Ich könnte mir auch vorstellen... Sabine: Und Vergewaltigungen hat es natürlich auch gegeben.

[00:22:38]  Tobias: Ich wollt jetzt grad... Sabine: Richtig. Tobias: Das... Sabine: Ja, das ist Begleiterscheinung von Zwang.

[00:22:44]  Tobias: Das heißt, die waren in den Orten, also in den Einsatzgebieten vor Ort in eigenen Lagern.

[00:22:49]  Oder gibt es noch ein anderes Lager, was da in der Hinsicht für Frauen von Interesse oder von

[00:22:54]  Wichtigkeit ist? Sabine: Ja, also das AEL der Gestapo in der Reichenau war ja nur für Männer,

[00:23:00]  theoretisch. Es waren auch Frauen dort, aber nur kurzzeitig. Und das heißt, weibliche

[00:23:05]  Arbeitserziehungshäftlinge kamen in das Firmenlager der Firma Heinkel nach Jenbach,

[00:23:09]  heute Jenbacher Werk. Tobias: Und weiß man was mit den Frauen passiert ist, nach dem sozusagen, also entweder mit

[00:23:15]  Ende vom Regime, sind die dann alle wieder zurück in ihre Ursprungsländer gekommen?

[00:23:21]  Sind manche dageblieben? Ist das schwer zu fassen, wahrscheinlich, oder? Sabine: Es ist schwer zu fassen.

[00:23:26]  Das ist ein leeres Forschungsfeld, was Tirol angeht. Wichtig ist dabei zu unterscheiden,

[00:23:32]  aus welchem Land kamen sie. Also Französinnen, die gingen natürlich zurück, Niederländerinnen

[00:23:36]  und so weiter. Aber bei den Verschleppten aus dem Osten hängt es davon ab, aus welchem Land

[00:23:41]  sind sie gekommen und haben sie noch familiäre Bindungen? Weil zum Beispiel, wie es in der

[00:23:45]  Ukraine war, die Ukraine war großteils zerstört. Viele Familien existierten einfach nicht mehr.

[00:23:51]  Die Frauen waren jung, 15, 16 Jahre, viele sind hier geblieben, manche haben hier geheiratet

[00:23:56]  und Kinder bekommen, ganz normal. Tiroler Familie geworden. Andere sind zurück und

[00:24:01]  es war vor allem schwierig in Länder zurückzukehren, die von der sowjetischen Armee besetzt waren,

[00:24:07]  weil viele wurden verdächtigt, sich mit dem Feind eingelassen zu haben, egal ob sie jetzt

[00:24:12]  deportiert worden sind oder nicht. Und sie galten als Volksverräter und Landesverräter.

[00:24:18]  Es war sehr, sehr schwierig. Und was es auch noch gegeben hat, wir haben in Tirol ja einige große

[00:24:23]  Lager. Das größte Lager für ehemalige Zwangsarbeiter war das in Kufstein auf dem Kasernengelände.

[00:24:29]  Und ab 1945/46 bemühte sich die damalige UN-Flüchtlings-Hilfsorganisation darum,

[00:24:36]  für sie Aufnahmeländer zu finden. Also Auswanderung Südamerika, USA, Frankreich,

[00:24:43]  Weg aus Europa. [Drehgeräusch] Tobias: Und machen wir wieder einen Sprung ein bisschen in der Zeit. Wir gehen auf das Ende

[00:24:54]  des Krieges zu. Das Lager ist befreit worden. Gibt es da Berichte wie über die Befreiung des

[00:25:01]  Lagers oder Erinnerungen an die Befreiung des Lagers? Sabine: Es gibt erste Ermittlungen,

[00:25:06]  weil die Amerikaner sind angereist mit einer eigenen Kriegsverbrecher-Abteilung. Es gibt

[00:25:12]  erste Berichte dieser Kriegsverbrecher-Abteilung, die versucht haben Zeugenaussagen aufzunehmen,

[00:25:17]  auch mit Tätern. Und aber es gab Anfang Juli 1945, einen Zonentausch. Und dann kam die

[00:25:23]  französische Militärregierung und die musste wieder von vorne beginnen. Und das heißt,

[00:25:28]  wir haben eigentlich bis zum großen Prozess gegen den Gestapo-Chef Hilliges und einigen

[00:25:33]  Tätern des AEL gab es zwar Gerüchte und es gab immer wieder kleinere Prozesse, aber so diese

[00:25:39]  große, geballte Information haben wir eigentlich im Prinzip erst mit den Ermittlungen gegen diese

[00:25:45]  Personen. Tobias: Und sind da Unterlagen von den Ermittlungen wahrscheinlich dann in Paris noch verwahrt? Oder

[00:25:51]  gibt es da auch lokale noch? Sabine: Sie sind teilweise in Paris, weil der Prozess gegen Hilliges und die

[00:25:57]  anderen nicht vor einem österreichischem Gericht stattgefunden hat, sondern vorm

[00:26:00]  französischem Gericht in Innsbruck. Tobias: Im.. wie heißt es... Im? Sabine: Im Landhaus. Ja, weil sobald unter den misshandelten oder

[00:26:10]  Toten, Angehörige der Alliierten waren, also US-Amerikaner, Briten und so weiter, hat die

[00:26:16]  französische Militärjustiz übernommen. Und das war dann eben ein Höchstgericht in Innsbruck.

[00:26:21]  Und das heißt, wir haben bei dem Reichenauprozess einerseits Unterlagen aus Paris,

[00:26:26]  aber auch sehr viele Ermittlungsunterlagen aus Innsbruck selbst. Tobias: Gibt es auch Zahlen zu,

[00:26:31]  wie viele angeklagt worden sind? Also, ich will jetzt gar nicht auf die Personen im

[00:26:36] Einzelnen eingehen, aber grundsätzlich, wie viele Anklagen es gibt, wie viele

[00:26:39]  was weiß ich Freisprüche, wenn überhaupt und so weiter es kam. Sabine: Bei dem Prozess gegen

[00:26:45]  Hilliges waren noch fünf Männer angeklagt. Alle fünf waren Täter des Arbeitserziehungslagers.

[00:26:51]  Das Problem war, als im Sommer 1945 das NS-Regime zusammenbrach, herrschte Chaos,

[00:26:59]  und viele der Täter des Arbeitserziehungslagers waren Reichsdeutsche. Und im Sommer 1945 war

[00:27:07]  der Wunsch der Tiroler Landesregierung und auch der französischen Militärregierung im Land,

[00:27:13]  möglichst viele Personen auszuweisen, damit weniger Menschen Nahrung brauchten. Und die

[00:27:18]  Deutschen galten als Sicherheitsrisiko und als Träger des Nationalsozialismus, was es erlaubt

[00:27:23]  hat, so zu tun, als seien Tiroler immer brav gewesen und demokratisch. Na gut, auf alle Fälle hat

[00:27:29]  es bedeutet, dass viele der Täter des AEL wurden vernommen, wurden auch teilweise interniert,

[00:27:36]  aber dann als Reichsdeutsche ausgewiesen. Und wir haben einige Prozesse in Deutschland teilweise

[00:27:44]  erst in den 70er Jahren gegen diese Täter. Die wurden ausgewiesen und dann waren sie weg. Es gab zwar

[00:27:49]  immer wieder Anfragen, wenn die französische Militäre gehen, ja, wir brauchen den zur Vernehmung,

[00:27:52]  ja, tut uns leid, der ist es weg. Das heißt, aber das kann man den Tiroler Behörden nicht

[00:27:59]  vorwerfen, weil sie wussten das zu der Zeit ja nicht. Tobias: Das heißt, eigentlich, sie sind nach

[00:28:04]  Deutschland gegangen, dann ist irgendwie der Faden abgerissen sozusagen. Sabine: Genau, das heißt, und dann

[00:28:10]  konnte man sie ja nicht mehr in Österreich vor Gericht stellen. Es gab zwar immer wieder Ermittlungen

[00:28:15]  gegen diese Personen, aber die Bundesrepublik hat nicht ausgeliefert bei politischen Delikten.

[00:28:18]  Gauleiter Hofer zum Beispiel. Tobias: Ich wollte grad sagen, Gauleiter Hofer prominentestes Beispiel? Sabine: Prominentestes Beispiel, der Akt ist

[00:28:24]  einige zehn Zentimeter dick und das waren immer Auslieferungsbegehren, aber die Bundesrepublik hat

[00:28:30]  nicht ausgeliefert und viele dieser Täter des AEL, das waren ganz normale, das waren ja normale

[00:28:37]  Menschen, die gingen in ihre Zivilberufe zurück, lebten ganz zufrieden und erst oft Jahrzehnte

[00:28:42]  später kamen dann, kam es dann auf und dann brauchte es engagierte Gerichte und das war in der

[00:28:48]  Bundesrepublik nicht anders wie bei uns. Es braucht engagierte Gerichte, um Täter von Gericht zu bringen.

[00:28:52]  [Drehgeräusch] Jetzt ist das Arbeitserziehungslager befreit. Die Lager werden aber nicht zerstört, die bleiben

[00:29:01]  erhalten, die bleiben auch in städtischen Besitz glaube ich. Die Nachnutzung sieht ja auch...ist ja auch

[00:29:06]  eine brisante Zeit, muss man sagen. Sollen wir mal kurz zum Einzelfall jetzt auf das Arbeitserziehungslager

[00:29:13]  Reichenau eingehen und vielleicht dann in einem zweiten Schritt, wie das auch in Tirol ausgeschaut hat.

[00:29:19]  Sabine: Ja, das Arbeitserziehungslager hat nicht der Stadt Innsbruck gehört, das hat im Landesarbeitsamt

[00:29:24]  gehört und damit zuständig war das Landesbauamt und die Landesgebäudeverwaltung, wo übrigens auch

[00:29:29]  die Akten liegen. Ein Lager per se, das waren Barackensiedlungen und je nach Bauart, das heißt je

[00:29:37]  früher das Lager gebaut worden ist, desto besser war es baulich beieinander, weil es auf einem Beton

[00:29:42]  Fundament war. Je später es errichtet worden ist, desto schlimmer war die Bausubstanz, weil dann

[00:29:47] höchstens ein Pfahlrost Fundament war und die sind sehr vom Verfall bedroht worden. Aber angesichts

[00:29:52]  von Wohnungsnot sind die Lager einfach bis weit in die 60er bis teilweise Anfang der 1970er Jahre

[00:29:59]  hin als Notwohnungen benutzt worden. Der Lagerkomplex Reichenau, also inklusive Kriegsgefangenen,

[00:30:05]  Zivilarbeiterlage der Stadt, Bahn und Post, AEL, wurden benutzt als Heeres Entlassungsstelle,

[00:30:11]  weil jeder Wehrmachtssoldat der nach Innsbruck zurückgekommen ist, braucht ein Entlassungspapier,

[00:30:16]  das wurde dort draußen erledigt, sowohl die Amerikaner als auch danach die französische

[00:30:20]  Militärregierung haben das Lager benutzt als Internierungslager für Nazis, bevor entschieden

[00:30:25]  wird, was mit ihnen passiert war Gericht, deportieren etc. Und die Stadt Innsbruck hat immer

[00:30:29]  versucht, sobald eine Baracke frei geworden ist, haben sie versucht dort Notwohnungen einzurichten.

[00:30:33]  Im Prinzip entstand eine Armensiedlung und das ist in sehr vielen Lagern in Tirol passiert,

[00:30:38]  zum Beispiel das Lager der Messerschmiedwerke in Schwaz, wurde auch dann später nach

[00:30:42]  Internierungslager auch eine Armensiedlung. Baracken war ein begehrtes Gut. Und angesichts

[00:30:50]  der vielen Bombentreffer in der Stadt Innsbruck war die Wohnungsnot einfach so groß, dass man

[00:30:53]  wirklich jeden Raum besiedelt hat, der sich irgendwie geeignet hat als Schlafstätte. Tobias: Im

[00:30:59]  Idealfall nur vorübergehenderweise. Sabine: Im Idealfall vorübergehend, manche Menschen sind ja,

[00:31:03]  sind sehr, sehr viele Jahre dort gewesen, weil sie einfach zu arm waren und zu wenig verdient haben,

[00:31:07]  um sich eine anständige Wohnungen zu leisten. Das war eine Armensiedlung. Tobias: Meines Wissens ja auch in Wörgl war

[00:31:11]  eine in Kufstein war eine... Sabine: Viele, in jeder Gemeinde, in der es ein Lager gegeben hat,

[00:31:16]  waren das danach Notwohnungen. Außer die Baracke war in einem so miserablen Zustand,

[00:31:20]  dass wirklich nichts mehr gegangen ist. Tobias: Es ist schon zach eigentlich, wenn man so darüber nachdenkt. Sabine: Es ist zach. Weil die

[00:31:26]  Baracken, die später gebaut worden sind, weil das NS-Regime hat ja auch beim Barackenbau

[00:31:30]  Unterschiede gemacht, wer dort drin wohnt. Das heißt, tendenziell, wenn sie dort reichsdeutsche

[00:31:35]  Arbeitskräfte untergebracht haben, dann war die Baracke normalerweise mit Doppelwand,

[00:31:39]  mit Isolierschicht dazwischen oder mit doppelverglasten Fenstern. War es nur eine Baracke für

[00:31:44]  Russen, war das ein fensterloses Ding. Also da haben sie auch sehr großen Wert darauf gelegt,

[00:31:50]  dass man an der Art der Unterbringung kennt, welchen Wert die Menschen haben.

[00:31:53]  Tobias: Wieder eine ganz blöde Frage meinerseits, aber hat es dann zu Sarnierungsarbeiten an diese

[00:32:00]  ja schlechten Baracke geben, sei es jetzt in auch Reichenau oder was weiß ich auch anders in Tirol,

[00:32:07]  dass da Fenster getauscht worden sind... Sabine: Ja.

[00:32:11]  Tobias: War das schon, oder? Sabine: Mhm. Also die Stadt, das Städtische Bauamt Innsbruck hat sich sehr

[00:32:16]  darum bemüht, diese Barackennotwohnungen in der Reichenau auf einem Stand zu halten,

[00:32:20]  wo man sagt, ja, es ist gerade noch für Menschen geeignet.

[00:32:25]  Tobias: Und dann ich glaube bis in die 60er Jahre? Sabine: Bis in die 60er Jahre, bis zum Bau des Städtischen Bauhofs da draußen.

[00:32:32]  Tobias: Und da wurde ja dann komplett, quasi das gesamte Lagerkomplex sag ich jetzt einmal...

[00:32:38]  Sabine: Ja, dann wurden alle Baracken abgerissen, also die letzten verbliebenen Baracken abgerissen.

[00:32:42]  Es wurde ein neues Straßennetz angelegt, Rossaugasse, Trientlgasse und so weiter,

[00:32:46]  das hat es ja alles nicht gegeben vorher. Und es wurde Gewerbe angesiedelt.

[00:32:50]  Das heißt, in der Reichenau sehen wir heute genau nichts mehr.

[00:32:54]  Tobias: Bis auf den Gedenkstein und hoffentlich dann eine Gedenkstätte. Sabine: Genau.

[00:32:59]  Tobias: Zum Abschluss noch die Frage meinerseits, denkst du, es wäre sehr sinnvoll, wenn man zum Thema Lager

[00:33:08]  in ganz Tirol noch mehr Forschungszeit investieren würde?

[00:33:13]  Sabine: Ja, es wäre sehr sinnvoll. Was ich aufgearbeitet habe, sind die Akten des Amtes der Tiroler Landesregierung,

[00:33:19]  Landesbauamt und Wasserwirtschaftsamt etc. Akten Bezirkshauptmannschaft, was einfach großteils

[00:33:24]  noch fehlt, weil der Aufwand auch sehr groß wäre, sind Akten in Gemeindearchiven.

[00:33:29]  Aber da wären die Gemeindechronisten [Outro-Musik im Hintergrund beginnt] einfach gefordert, sich das Thema so mal anzunehmen.

[00:33:33]  [Outro-Musik] Tobias: Archivwürdig ist eine Produktion des Stadtarchiv Innsbruck und Teil der Stadtstimmen, dem Audiokanal der Stadt Innsbruck.

 

Transkription

[00:00:00]  Tobias: Hallo und herzlich willkommen zur zweiten Folge unserer dritten Staffel von Archivwürdig,

[00:00:05]  dem Podcast des Innsbruckers Stadtarchivs.

[00:00:08]  Nachdem wir in der ersten Folge über die Entstehung des Arbeitserziehungslagers in der Reichenau gesprochen haben,

[00:00:14]  gehen wir in dieser auf die erstellte Studie über das Lager ein.

[00:00:19]  Dazu habe ich den Mitautor der Studie Horst Schreiber eingeladen.

[00:00:24]  Horst Schreiber forscht intensiv zu zeitgeschichtlichen Themen in Tirol

[00:00:29]  und ist unter anderem Leiter der Michael-Gaismair-Gesellschaft sowie von erinnern.at

[00:00:34]  und war, wie Sabine Pitscheider, Mitglied der Expert:innenkommission für die Reichenau.

[00:00:40]  Im gemeinsamen Gespräch kommen wir auf die Genese der Studie zu sprechen,

[00:00:44]  welche Schwierigkeiten bei der Recherche aufgekommen sind und gehen auch auf Details der Studie ein.

[00:00:50]  [Intro-Musik]

[00:01:05]  Tobias: Lieber Horst, danke für deine Zeit.

[00:01:08]  Wir sprechen in unserer Staffel hauptsächlich über das Arbeitserziehungslager Reichenau.

[00:01:14]  Du bist von der Seite der Forschung sehr stark einbezogen, zu Arbeiten für das Lager Reichenau.

[00:01:23]  Mit der Sabine habe ich bereits gesprochen über die Lagersituation in Tirol im Allgemeinen,

[00:01:28]  aber dann auch im Speziellen über das Arbeitserziehungslager Reichenau, wie es angefangen hat, den Wandel.

[00:01:36]  Und mit dir möchte ich heute über eine Studie sprechen, die von der Stadt Innsbruck in Auftrag gegeben wurde,

[00:01:45]  an das Wissenschaftsbüro, an dem du beteiligt bist und die Studie haben dann deine Person

[00:01:52]  und auch an dieser Stelle erwähnt die Sabine Pitscheider, die ebenfalls an der Studie teilgenommen haben.

[00:01:56]  Kannst du uns vielleicht kurz ein bisschen über den Hergang der Studie erzählen, wie der Auftrag an euch gekommen ist,

[00:02:03]  warum diese Studie gemacht wird?

[00:02:05]  Horst: Nun, es ist ja so gewesen, dass die Stadt Innsbruck vor drei Jahren eine Arbeitsgruppe installiert hat,

[00:02:14]  um darüber nachzudenken, wie ein würdevolles Gedenken in der Reichenau sein könnte,

[00:02:22]  um auch ein neues Gedenkzeichen, neue Formen von Gedenkzeichen zu machen und eine Ausschreibung

[00:02:31]  auch zu tätigen, die jetzt ja gerade im laufen ist, weil 1972 ist dieser Gedenkstein ungefähr dort,

[00:02:41]  wo das Lager stand in der Reichenau gemacht worden.

[00:02:46]  Das war für damalige Verhältnisse sehr, sehr früh, weil ja eigentlich die Gedächtnislandschaft in Tirol,

[00:02:54]  80er-Jahre beginnt es schon stärker, dass Gedenkzeichen gemacht werden, aber so richtig,

[00:02:58]  erst in 90er-Jahre und in 00er-Jahre.

[00:03:00]  Aber das Gedenkzeichen ist natürlich etwas, das heute sowohl von der Inschrift als auch von der Ästhetik her

[00:03:10]  natürlich jetzt ein halbes Jahrhundert später nicht mehr so zeitgemäß ist und weil vor allem in der Reichenau

[00:03:18]  sehr viel passiert ist mit Neubauten, Umbauten etc., sodass auch der Standort sehr ungünstig ist.

[00:03:27]  Das war so der Hintergrund.

[00:03:29]  Und die Sabine Pitscheider und ich waren ja in dieser Kommission und im Zuge dessen war klar auch von unserer Seite,

[00:03:40]  dass es auch eine bestimmte Form von Personalisierung geben muss, wie immer ein Gedenkzeichen ausschauen wird,

[00:03:49]  aber das ist eine Voraussetzung und dass es nämlich auch notwendig ist, zumindest Annäherungsweise zu schauen,

[00:03:57]  wie viele Menschen sind denn überhaupt dort zur Tode gekommen und was kann man denn eruieren.

[00:04:04]  Wie gesagt, sehr, sehr spät.

[00:04:07]  Wir haben das eingebracht, dass es notwendig ist und dann hat die Kommission bzw. die Stadt Innsbruck rasch beschlossen,

[00:04:15]  dass wir dem professioneller nachgehen.

[00:04:18]  Und wie gesagt, die Dokumentationsebene ist die Aktenlage ist sehr schwierig

[00:04:27]  und so gibt es einerseits die Erhebungen, die die österreichische Seite, das heißt Tiroler Gerichte gemacht haben,

[00:04:35]  gegenüber einzelne Täter oder Menschen, die in Verdacht standen, Taten begangen zu haben

[00:04:41]  und auf der anderen Seite natürlich die sehr breiten Erhebungen, die die französischen Behörden nach 1945 gemacht haben,

[00:04:51]  die schlussendlich gemündet sind in einen großen Prozess, der ausgerichtet wurde von der inzwischen Militär-Regierung,

[00:05:01]  also von entsprechend professionell ausgebildeten Richtern etc.

[00:05:05]  Und das war mal so ein großer Bestand, der durchzuschauen war

[00:05:11]  und auf der anderen Seite war klar, die Menschen sind im Lager gestorben,

[00:05:16]  die Menschen sind aber auch im Krankenhaus Innsbruck oder im Krankenhaus, das heißt in Bracken des Krankenhauses,

[00:05:24]  Hall ums Leben gekommen.

[00:05:26]  Da musste man auf der einen Seite die Totenbeschaubefunde, die es ja noch gibt,

[00:05:31]  gerade auch im Stadtarchiv durchschauen, ein bisschen auch was Hall betrifft

[00:05:35]  und ich habe eben in Paris im Archiv einen gesammelten Bestand gefunden,

[00:05:42]  wo diese Berichte die Totenbeschaubefunde von Innsbruck und Hall enthalten waren.

[00:05:49]  Das heißt, das war praktisch der Fundus, mit dem wir gearbeitet haben

[00:05:54]  und dann eben auf diese Summe von 112 Menschen gekommen sind.

[00:06:01]  Inzwischen stehen wir schon schon bei 114 oder 116 Leuten,

[00:06:05]  weil natürlich ist das Ganze nie völlig abgeschlossen

[00:06:08]  und andererseits gibt es eine Problematik, nämlich es sind ja sehr, sehr viele Menschen aus dem Lager,

[00:06:20]  wo es praktisch so ein Transitlager gewesen ist, nach Dachau gekommen.

[00:06:25]  Auch in anderen KZs Auschwitz etc. aber nach Dachau.

[00:06:28]  Und du kannst dann sehr schwer unterscheiden

[00:06:32]  und da hat es natürlich manche gegeben, die waren bereits derart körperlich am Ende,

[00:06:41]  also kurz vor ihrem Tode, sei es, die eine Problematik ist ja das Essen, also Unterernährung

[00:06:48]  und die andere Schwierigkeit, dass exzessive Gewalt ausgeübt worden ist.

[00:06:54]  Und da können wir ganz klar davon ausgehen, bei vielen, glaube ich, konnten wir aufgrund der Aktenlage sagen.

[00:07:03]  Also die sind jetzt noch nach Dachau gekommen, waren aber praktisch schon [kurzer Lacher] vorher tot.

[00:07:08]  Und die, die dem Tod schon nahe waren damit sie nicht im Lager sterben, die noch schnell überstellt worden sind,

[00:07:14]  also diese Zahl können wir nicht eruieren.

[00:07:19]  Tobias: Du hast gesagt, es sind ja viele, also von den mindestens 114 Toten im Lager Reichenau.

[00:07:26]  Wie kann man das anhand der Quellen ablesen, wird da für die Hörer:innen, dass das verständlicher ist,

[00:07:32]  steht das so drinnen, verstorben im Lager Reichenau, welche Todesursachen sind da verzeichnet worden,

[00:07:39]  ist das so offensichtlich gemacht worden?

[00:07:42]  Horst: Also das eine ist klar, das ist ein Prozedere, wie es auch in Friedenszeiten ist.

[00:07:49]  Es braucht einen Totenbeschaubefund und die Angabe des Grundes, warum jemand gestorben ist.

[00:07:57]  Das ist ja auch in den Vernichtungsanstalten, sei es für Menschen mit psychischen Erkrankungen in Hartheim,

[00:08:05] der Fall oder auch in den Konzentrationslagern.

[00:08:07]  Die Problematik ist die, wie du die Frage stellst, was stimmt davon?

[00:08:13]  Jetzt ist es so, dass die meisten hat eben der Lagerarzt, Alois Pizzinini,

[00:08:21]  der vielleicht zweimal in der Woche gekommen ist, ausgestellt.

[00:08:24]  Da muss man einerseits sagen, bei einer Reihe von Fällen kann man nachweisen, dass es "gefaked" [gefälscht] ist.

[00:08:31]  Wo er beim Prozess auch sagt, da hat der Lagerleiter mir genau angegeben

[00:08:35]  ich muss eine medizinische Ursache reinschreiben.

[00:08:38]  Ansonsten sind es bestimmt Todesursachen, die wir sehr gut erklären können.

[00:08:46]  Also, einfach gesprochen, das eine, das so häufig vorkommt, ist Lungenentzündung.

[00:08:52]  Warum das?

[00:08:54]  Nun, eine der perversen Bestrafungsarten war das sogenannte Kaltbaden.

[00:09:02]  Also, gerade im Winter oder im Herbst, Spätherbst bei tiefen Temperaturen.

[00:09:09]  Und dann den entsprechenden Häftling im sogenannten Bunker.

[00:09:14]  Das war eine winzige Arrestzelle

[00:09:17] die saukalt gewesen ist, nicht geheizt war, kalter Betonboden da hineinzugeben.

[00:09:23]  Und an dem sind dann eine ganze Reihe von Häftlingen verstorben.

[00:09:27]  Wobei immer wieder auch die volle Absicht war, dass sie sterben.

[00:09:32]  Und ansonsten nur unter Anführungszeichen die Bestrafungsart, an denen sie dann auch gestorben sind.

[00:09:39]  Das andere sind dann mannigfaltige Todesursachen, wo uns ganz klar wird,

[00:09:45]  das sind Todesursachen, die entstehen aufgrund von Mangelernährung.

[00:09:51]  Also, der Körper ist geschwächt, er ist geschwächt für Infektionskrankheiten etc.

[00:09:58]  Also, so kann man sich das vorstellen.

[00:10:00]  Und man muss immer einen sehr, sehr kritischen Blick haben, was hier als Todesursache drin steht.

[00:10:08]  Wie gesagt, aus einer Reihe von Todesursachen können wir die Lagerbedingungen in Verbindung bringen.

[00:10:13]  Und bei anderen, also, gerade immer sehr häufig sind solche Dinge, mit die irgendwas mit Herz zu tun haben.

[00:10:21]  Jetzt kann es oft in dem Sinne stimmen.

[00:10:25]  Ich bin jetzt kein Mediziner, aber meistens, du hast ja häufig stirbst ja nicht an einer Ursache.

[00:10:31]  Aber diese letzte Ursache kann ja stimmen, erklärt aber nicht, warum es dazu geführt wird.

[00:10:37]  Irgendwann bleibt das Herz stehen.

[00:10:39]  Also, wie gesagt, vieles können wir erklären und manches ist in höchstem Maß fragwürdig.

[00:10:45]  Tobias: Und wenn ich das richtig im Kopf habe, es sind ja auch viele misshandelt worden mit Strafen,

[00:10:50]  und dann auch mit Schlägen, was dann ebenfalls in den Totenbeschauberichten ja auch widergespiegelt wird.

[00:10:56]  Wo es dann geht, um eine große oder Tod durch Sepsis, weil die Wunden und die Personen,

[00:11:03]  die natürlich bestraft wurden, ja auch nicht ärztlich behandelt worden sind.

[00:11:06]  Horst: Ja, das ist ein sehr großes, wichtiges Thema und sehr spannendes Thema, mit dem ich näher auseinandersetzen möchte.

[00:11:15] anhand von diesen zwei Personen, dem Alois Pizzinini und dem Matthias Köllemann, der eine ist der Lagerarzt,

[00:11:20]  und der andere ist der sogenannte Sanitäter.

[00:11:23]  Beim Pizzinini, das ist interessant, um zu sagen, was ist ein Täter, wer ist ein Täter,

[00:11:29]  wer hat welche Verantwortung, der geht maximal zweimal in der Woche hinein, ist er sehr willfährig,

[00:11:37]  präsentiert sich dann immer als jemand, der überhaupt nichts tun hätte können.

[00:11:41]  Und der Matthias Köllemann, der ist schon viel stärker der Täter, der verweigert massenweise den Häftlingen,

[00:11:50]  die auf Pflege angewiesen worden wäre, die Pflege.

[00:11:55]  Und nachdem die Häftlinge in einem extrem hohen Maße sehr, sehr viele maltretiert werden,

[00:12:01]  grün und blau geschlagen werden, von Holzstöcken bis Knüppeln, Peitschen, Fäusten, Fußtritten etc.,

[00:12:11]  ist es klar, dass Wunden sind, diese wunden, verheilen nicht, weil die entsprechende Pflege fehlt,

[00:12:19]  sie entzünden sich, wenn dann der Körper gleichzeitig zu wenig zu essen bekommt, ist er anfälliger.

[00:12:26]  Und darüber hinaus ist ja eines der wesentlichen Ebenen des Gestapolagers, Arbeiterziehungslagers,

[00:12:32]  Auffanglagers, Durchschleuselagers, Transitlagers, Lagers für politische Gefangene,

[00:12:38]  ja etwas, wo Zwangsarbeit verrichtet wird.

[00:12:41]  Im Lager aber vor allem in den diversesten Außenkommandos und auch wenn den Häftlingen

[00:12:49] in einem ganz miesen körperlichen Zustand ist oder gerade auf das Heftigste geschlagen worden ist,

[00:12:56]  ist es mit der Zeit nur einem ganz, ganz kleinem Teil von Häftlingen vergönnt oder wenn sie fast gar nicht mehr gehen können,

[00:13:04]  dass sie auf die Krankenstation in den Sanitätsbaracke gebracht werden.

[00:13:09]  Das heißt, in derartig katastrophalen körperlichen Zuständen müssen die auch noch weiter arbeiten.

[00:13:16]  Und dieser ganze Komplex an Arbeits- und Lebensbedingungen, wie bei diesem Fall Wunden, Wunden verheilen nicht,

[00:13:25]  es entsteht Wundbrand etc., das ist ein weiterer Grund, denn du sehr, sehr richtig anführst,

[00:13:31]  warum auch so viele gestorben sind.

[00:13:34]  Tobias: Ihr habt jetzt sehr viele Daten erhoben, sehr viele auch biografische Daten dann erhoben.

[00:13:40]  Anhand von denen kann man ja auch größere Statistiken machen vom Lager und in dem Fall natürlich von den Toten im Lager.

[00:13:50]  Können wir vielleicht da auch noch ganz kurz darauf eingehen, einerseits woher kamen diese, oder

[00:13:56]  in dem Fall eben ja nur die Toten von vielen wissen wir ja nicht, wo sie herkommen oder wo sie dann hingekommen sind.

[00:14:01]  Einfach mal Nationalitäten auch vielleicht ein bisschen das Alter zu beschauen,

[00:14:07]  wie alt waren die im Schnitt, welche Altersgruppen waren stärker vorhanden, welche weniger.

[00:14:12]  Horst: Na jedenfalls, dass eine Typische des Lagers ist, zunächst wäre es ja als Auffanglager für Italiener gedacht gewesen,

[00:14:22]  die zunächst noch im befreundeten Status unter Mussolini herkamen als normale Zivilarbeiter,

[00:14:30]  die aber dann wieder heimkehren wollen, weil die Bedingungen, Entlohnung, Arbeit, Freizeit, Bomben in Deutschland so schlimm waren,

[00:14:43]  dass sie zurückgehen wollen und da werden sie dann geschnappt und umerzogen durch Arbeit.

[00:14:50]  Das heißt, wir haben unter den Toten eine, ist die stärkste Gruppe, praktisch die Italiener.

[00:14:58]  Hier muss man aber sagen, dass diese große Anzahl der Toten darauf zurückzuführen ist,

[00:15:04]  bei italienischen Staatsangehörigen, dass die erst massiv auftreten,

[00:15:09]  als Mussolini 1943 gestürzt wird und Italien die Fronten wechselt.

[00:15:16]  Da bekommen die Italiener einen neuen Status vom befreundeten Staat zur Militärinternierten

[00:15:22]  und hier haben wir auch außerhalb des Lagers Reichenau überall, wo Italiener gewesen sind,

[00:15:29]  zunächst noch befreundet mit den anderen deutschen Soldaten gekämpft haben, ob das jetzt Griechenland ist oder bei uns hier,

[00:15:38]  werden die jetzt neben Juden, Jüdinnen und den sogenannten Ostarbeiter:innen, also den Sowjetstaaten und Polen am miesesten behandelt.

[00:15:48]  Hier ist, also über das Lager Reichenau hinaus sehr spannend, dass gerade Tiroler, Südtiroler ganz massiv auch Italiener mies behandeln,

[00:15:56]  weil hier diese Geschichte der Walschen, die Südtirolfrage, schon wieder sind sie feig und wechseln die Fronten.

[00:16:05]  Also mit ungeheurer Brutalität wird jetzt gegen die Italiener vorgegangen.

[00:16:09]  In Griechenland werden die zu hunderten erschossen zum Beispiel.

[00:16:14]  Das spiegelt sich dann in Tirol auch ab.

[00:16:18]  Die Italiener müssen jetzt nicht unbedingt nur aus Tirol gekommen sein, kommen auch aus Deutschland oder aus anderen Gebieten des heutigen Österreichs

[00:16:25]  und die werden dann in den letzten zwei Kriegsjahren irre brutal behandelt, deswegen so viele Tote.

[00:16:31]  Das andere, was ganz typisch ist, sind die zwei Nationalitäten, die in der Rassenhierarchie der Nationalsozialisten ganz, ganz unten angesiedelt sind.

[00:16:41]  Neben Juden und Jüdinnen sind da einerseits die Polen und andererseits wie ich vorher nannte die Osterbeiter, Osterbeiterinnen.

[00:16:50]  Einfach gesagt, Sowjetangehörige und hier ganz, ganz stark aus der Ukraine,

[00:16:58]  weil nach Tirol kommen sind die Ukrainer und die Ukrainerinnen extrem großer Teil von Menschen, die hierher deportiert worden sind.

[00:17:09]  Und die Altersstruktur dieser Leute ist sehr, sehr jung und da spiegelt sich auch wieder, dass du da ziemliche Jugendlichkeit hast bei den Ermordeten,

[00:17:20]  ist nur der scheinbare Widerspruch, dass doch junge Menschen widerstandsfähig sind, aber es hat einerseits damit zu tun, andererseits, dass die besonders

[00:17:29]  zur Zwangsarbeit unter brutalsten Bedingungen herangezogen werden. In den über 50-Jährigen oder

[00:17:34]  alten Menschen sind relativ von der Anzahl her wenige. Von den Toten, wie gesagt, sind Ukrainer,

[00:17:43]  Sowjetangehörige generell und Polen dann die stärkste Gruppe. Die zusammengenommen sind noch mehr

[00:17:51]  als die Italiener. Aber ansonsten wäre Nummer eins Italien, Polen, Sowjetunion inklusive Ukraine,

[00:18:01]  das man heute nicht besonders sagt, aufgrund dieses Konflikts, des Krieges, der jetzt herrscht. Und

[00:18:07]  dann kommen erst Einheimische, also Österreicher, die sind so 13 Leute und dann sind so vereinzelte,

[00:18:14]  verschiedenste Staaten, ja. Tobias: Bei den Anmerkungen, also bei dieser Studie, wird es ja dann listenhaft,

[00:18:24]  quasi die Opfer aufgeteilt. Bei Anmerkungen steht hin und wieder auch ein Einsatzort. Woher stammen denn

[00:18:33]  oder wie kommt man zu diesen Informationen, dass man wirklich die punktuell für Firmen oder für

[00:18:40]  Standorte, also wo lokal eingesetzt wurden sind, wo kommt man an solche Informationen? Horst: Das eine ist so,

[00:18:46]  im Totenbeschaubefund muss der Ort auch angegeben werden. Der Ort ist etwas, der in der

[00:18:53]  Regel stimmt, wenn angegeben wird, im Lager oder irgendwo auch im Außen. Also man muss sich nicht

[00:19:00]  vorstellen, was die Außenkommandos betrifft, das Lager Reichenau, wie auch die anderen Lager,

[00:19:09]  die nicht Arbeitslager, Arbeitserziehungslager Reichenau gewesen sind, das ist ja auch noch von

[00:19:13]  der Reichspost, von der Reichsbahn ein eigenes Lager, zwei Lager der Stadt Innsbruck, Kriegsgefangenen-

[00:19:18] lager, Zivilarbeiterlager. Aber alle diese Häftlinge werden in Außenkommandos von Firmen

[00:19:25]  angefordert und eine besonders unrühmliche Firma ist die Firma Stippler. Also ein ganz großer Teil

[00:19:32]  betrifft natürlich Bauarbeiten oder eben auch, wo sie noch weiter weg sind, Aufräumearbeiten nach

[00:19:41]  Bombenangriffen, also Schutt plus Blindgängerbeseitigung. Und das war natürlich sehr gefährlich. Und die

[00:19:48]  Blindgängerbeseitigung war jetzt nicht nur in Innsbruck, sondern eben auch weit darüber hinaus,

[00:19:55]  also etwa in Brixlegg. Und da sind dann entsprechende Dinge passiert mit Todesfolgen.

[00:20:03]  Tobias: Wir können jetzt in unserem Gespräch nicht alle Opfer benennen und auch anbringen, deswegen aber

[00:20:12]  trotzdem vielleicht, dass wir exemplarisch auf Einzelschicksale eingehen. Es gibt da einmal ein

[00:20:18]  Recht und aus meiner Sicht spiegelt es auch sehr gut, diese Weite von diesem, von wo die Menschen hergekommen

[00:20:25]  sind in dieses Lager in der Reichenau und da hast du auch schon drüber geforscht. Horst: Ja, also etwas,

[00:20:31]  was man jetzt nicht vermuten würde, sind Juden und Jüdinnen aus Libyen, die ganz spezifisch eine

[00:20:40]  britische Staatsangehörigkeit hatten. In der Kriegszeit ist ja Italien quasi Kolonialherr in

[00:20:49]  Libyen. Und ab 1942, wo also der Krieg dynamischer wird, also dynamisch im negativen Sinne für das

[00:20:58]  Deutsche Reich und für Italien, die ja Bündnispartner sind, greifen dann die Anti-jüdischen

[00:21:03]  Maßnahmen auch im italienischen Bereich. Und ab 1942 deportieren die italienischen Behörden,

[00:21:11]  libische Juden und Jüdinnen in ein eigenes KZ an der tunesischen Grenze und andere Teile

[00:21:19]  bringen sie nach Italien, in verschiedene Orte Italiens und dann ein Teil nach ins KZ Bergen-Belsen.

[00:21:27]  Und es sind so 62 libysche Staatsangehörige, jüdisch-britische Herkunft, die dann nach

[00:21:37] Innsbruck deportiert werden, ins Lager Reichenau im Herbst 1943. Und das sind in Wirklichkeit

[00:21:46]  weniger einzelne Personen als Familiengruppen. Und hier haben wir eben ganz interessant einen

[00:21:54]  Bericht von Überlebenden, der bald einmal nach der Befreiung vom Nationalsozialismus

[00:22:00]  sind die interviewt worden und deswegen haben wir hier eine ganze Reihe von Informationen,

[00:22:06]  wie es ihnen gegangen ist. Und bei dieser Gruppe ist es so, die waren wie gesagt von

[00:22:14]  Herbst 1943 bis Mitte April 1944 im Lager und zwei davon sind ums Leben gekommen. Ein

[00:22:23]  junger mit 27 Jahren, der Shalom Reginiano und auf der anderen Seite ein wirklich alter

[00:22:32]  Mann, betagter Mann, wo es verschiedene Daten gibt seines Geburtsdatums zwischen 70 und

[00:22:38]  85, dessen Grab eben am Friedhof, am Soldatenfriedhof ist. Ich bin zufällig darauf gestoßen und

[00:22:47]  das war dann wieder der Anfang, Zufall. Was ist denn das, was ist das für eine Name

[00:22:53]  und bei dem Grab ist eben so das entsprechende jüdische Zeichen. Ich konnte mir das nicht erklären

[00:23:00]  und der italienische Brite, das war völlig unklar und dann bin ich dem Ganzen nachgegangen

[00:23:05]  und dann darauf gekommen, dass er zu dieser Gruppe gehört hat. Bei ihm wissen wir die

[00:23:09]  Todesursache nicht. Beim Reginiano schon, das entspricht genau dem, worüber wir vorher

[00:23:16]  gesprochen haben. Ein junger starker Mann, der ständig zu sehr harter Arbeit verpflichtet

[00:23:22]  wird mit schlechter Ernährung, der daran auch erkrankt, der diese Pflege nicht bekommt

[00:23:30]  und der dann praktisch ganz am Schluss noch eingeliefert wird in die Sanitätsbaracke, wo es

[00:23:35]  aber zu spät ist und er dort eben auch stirbt. Wir lernen aus diesen Berichten von der Ankunft,

[00:23:46]  wo man bereits geschlagen wird oder wo sich alle nackt ausziehen müssen. Darunter sind,

[00:23:51]  es war eigentlich ein Männerlager, aber gerade auch in dieser Gruppe können wir sehen, dass

[00:23:55]  immer wieder auch Frauen dabei gewesen sind, obwohl es wie gesagt nicht für Frauen gedacht

[00:24:00]  war, dass wär eher das Lager Jenbach, über das wir gar nichts, kaum etwas wissen und da sind

[00:24:08]  diese Demütigungsrituale auch. Die Frauen müssen sich nackt ausziehen unter dem Hohngelächter

[00:24:13]  der Wachen. Die Frauen arbeiten im Lager der Männer auswärts, die müssen zu dem provisorischen

[00:24:19]  Flughafen gehen, müssen im Winter schlecht bekleidet mit Holzpantoffeln, Fetzen um den Füßen,

[00:24:27]  Schnee, Stapfen und alleine Menschen aus Libyen die kommen mit dem Klima und hierher,

[00:24:33]  da waren auch relativ viele ältere Menschen auch dabei, die darunter gelitten haben,

[00:24:38]  stärkste Erfrierungen auch typisch für das Lager. Das Glück im Unglück hat darin bestanden,

[00:24:44]  dass es einen Deal gegeben hat zwischen den Briten und den Deutschen wegen des Gefangenenaustausches,

[00:24:50]  sodass dann übers Rote Kreuz diese 60 waren sie dann, aber 61, mit 61 sage ich da noch etwas,

[00:25:01]  die sind dann eben dann freigelassen worden, im April 1944, konnten dann vor allem in die Schweiz Frankreich

[00:25:08]  und haben überlebt. Etwas spezielles gibt es, der 61. Mensch, eine Frau war schwanger und

[00:25:16]  die hat ihr Kind zur Welt gebracht im Krankenhaus in Innsbruck, die haben überlebt und das Interessante

[00:25:25]  ist, dass in den frühen Nullerjahren als Österreich sich erstmals unter internationalem Druck bequemen

[00:25:33]  musste, sich dem Thema Zwangsarbeit zu widmen und auch Entschädigungszahlungen zu leisten,

[00:25:40]  ich mein Entschädigungszahlungen, das waren 5.000, 6.000, 7.000 Euro, aber immerhin und da haben

[00:25:47]  sich aus der Gruppe der libyschen Juden und Jüdinnen, wo die meisten zu dem Zeitpunkt ja schon

[00:25:51]  tot waren, eben zwei gemeldet und eine davon war eben die Frau, damals eben das Baby, das überlebt hat

[00:26:03]  und die dann schon im gesetzten Alter sich gemeldet hat und die zu diesem Zeitpunkt eben in Israel

[00:26:10]  gelebt hat. Tobias: Wir haben jetzt natürlich bis zur Zeit 1945 gesprochen, die Studie befasst sich aber auch

[00:26:18]  noch mit der Zeit danach, das ist nämlich auch noch mal ganz ausdrücklich im Vorwort der Studie

[00:26:23]  enthalten, weil es da ebenfalls ein Forschungsdesiderat gibt. Gehen wir vielleicht zum Abschluss auch

[00:26:29]  nochmal auf diese Zeit kurz ein, die Nachnutzung, was ja auch viele Innsbrucker wahrscheinlich

[00:26:35]  oder Innsbruckerinnen ja auch erlebt haben, noch Lebende. Horst: Ja, also zunächst ist das Lager ja sehr

[00:26:42]  multifunktional verwendet worden. Das heißt auf der einen Seite und die Fotos, die wir haben vom

[00:26:49]  Lager, die sind eigentlich aus der Zeit, als es nicht mehr Nazi-Lager gewesen ist und da... die

[00:26:59]  Überlebenden werden ja dann quasi auch zu Flüchtlingen oder "Displaced Persons" [Person, die nicht an diesem Ort beheimatet ist]. Dann muss

[00:27:05]  man sich es so vorstellen, Zehntausende "Displaced Persons" aus den verschiedensten Teilen, wo die Nazis ja

[00:27:13]  die verschiedenen Staaten besetzt haben, strömen gerade auch über Tirol, über Innsbruck, weil viele

[00:27:22]  dann weiterziehen oder hier in verschiedensten Flüchtlingslagern untergekommen sind oder

[00:27:27]  auch Italiener, Italienerinnen, die über den Brenner heim wollen. Das heißt wir haben hier sehr,

[00:27:32]  sehr viele Flüchtlinge, Interessierte können über, wenn sie YouTube gehen oder da was Reichenau

[00:27:37]  und so weiter eingeben, kommen zu so einem Ausschnitt von ein paar Minuten, wo man Menschen am

[00:27:44]  Bahnhof in Innsbruck diese Menschen und auch im Lager sieht und es sind in erster Linie diese

[00:27:51]  geflüchteten Menschen oder Überlebenden. Dann wird das Lager auch genutzt als so eine Art

[00:27:59]  "Heeresentlassungsstelle". Das heißt, da sind ja wieder Massen an Menschen, die kommen oder

[00:28:05]  freigelassen werden in Kriegsgefangenschaft und die französischen Behörden weisen zuerst

[00:28:12]  die Leute ein, damit die, weil du musst ja schauen, ist das ein SSler, aus dem Bereich, wird ein bisschen was

[00:28:19]  untersucht und dann werden sie freigelassen und können dann in ihre Heimatgebiete oder in

[00:28:24]  verschiedene Gebiete nach Tirol. Eine andere große Gruppe, die dann hier entsteht, ist, dass die

[00:28:31]  französischen Behörden das Lager dann auch als Entnazifizierungslager nutzen. Das heißt,

[00:28:37]  dass sehr viele Nationalsozialisten bestimmte Zeit dort sind und wir haben ja mehrere Lager,

[00:28:44]  wo Ex-Nazis untergebracht werden. Das eine ist die dieses Oradour in Schwaz, das andere ist zum

[00:28:51]  Beispiel das sind eh die größten, Reichenau, Oradour in Schwaz und die Festung Kufstein. Da gibt es ziemlich

[00:28:59]  riesigen Austausch untereinander. Häftlinge, Nazis, wo irgendetwas ist, die ärztlichen Bedarf haben,

[00:29:06]  größeren, die kommen dann in die Reichenau, weil es dann einfacher ist, dort sie ins Krankenhaus Innsbruck

[00:29:12]  oder irgendwo hinzubringen. Dann nutzten einige die Chance zur Flucht. Ja und dann, und das ist

[00:29:19]  sehr, sehr interessant. Das ist auch eine ähnliche Geschichte, wie wir sie in Schwaz haben, wie ich

[00:29:25]  sie jetzt vor kurzem in Schwaz untersucht habe. Die letzte Etappe, die am längsten währt, das ist

[00:29:33]  die Unterbringung der Armen. Also da ist die Reichenau eine Armensiedlung. Das heißt, wir haben ja in

[00:29:41]  Österreich auch in Tirol nach dem Krieg einen unheimlichen Wohnungsmangel aufgrund von Bombardierungen

[00:29:49]  etc. Und das Barackenlager-Dasein ist etwas, das bis weit in den 1960er Jahre, auch in der Reichenau,

[00:29:58]  da geht es bis Anfang 70er Jahre, ein Stadtbild beherrscht, sowohl in Innsbruck, in Schwaz,

[00:30:05]  in Kufstein, in Wörgl und so weiter und so fort. Und es ist natürlich typisch, dass einerseits

[00:30:14] der Nationalsozialismus Tirol sehr spät erst beforscht wurde, dass bestimmte Themen, wie das

[00:30:21]  worüber wir jetzt gerade sprechen, exzessiv spät, für vieles zu spät und dass das sich gesellt,

[00:30:29]  zu einer anderen Thematik, die man extremst vernachlässigt wurde und wird, das ist die Geschichte

[00:30:35]  der Armut, die Geschichte der Armen. Und gerade in diesem Lager Reichenau, wo die randständigen

[00:30:45]  Menschen "ghettoisiert" werden, die dann ja nicht nur als Wohnungslose dort unten hausen, sondern die

[00:30:54]  sich sehr, sehr rasch, übel, beleumundet sind, beleumundet werden, die aber dadurch so ein

[00:31:02]  Zugehörigkeitsgefühl füreinander gegen die Mehrheitsgesellschaft bekommen. Und man muss sich

[00:31:08]  eines vorstellen, heute ist die Reichenau ganz klar Innsbruck, ich mein jetzt nicht nur als geografische

[00:31:15]  Zugehörigkeit, sondern ja, bist dort mit dem Radl, mit dem Bus und so weiter, aber damals war

[00:31:22]  das außen, war ja auch eines dieser Gründe, warum die Nazis ja auch diesen Grund genommen haben,

[00:31:28]  um dort die Lager zu errichten. Und das heißt, die in Innsbruck, das sind ja mal schon die

[00:31:34]  besseren und die in der Reichenau, das sind die Abgesandelten, da könntest du hier auch

[00:31:40]  ein paar Gegenden in Innsbruck hernehmen vom Schlachthof, Premstraße, Stalingrad etc.,

[00:31:46]  das ist so, das heißt, wo werden diese Kinder denn auch beschult? Also diese Armut, die vererbt

[00:31:53]  sich dann praktisch ja weiter und das geht praktisch bis dann die Olympiaden sind, wo viel

[00:32:02]  neuer Wohnraum geschaffen wird und da werden dann die Anzahl der Baracken die immer niedergewohnter und

[00:32:10]  niedergewohnter werden, werden die sukzessive aufgelöst und man darf sich aber nicht vorstellen, dass

[00:32:19]  dann die armen Hip-Hip-Hurra dann alle in die Hochhäuser hinein kommen. Das heißt, da gibt es

[00:32:26]  Untersuchungen in der Stadt Innsbruck und eine ganze Reihe dieser Menschen werden als nicht

[00:32:31]  wohnungsfähig angesehen, sodass sie in die Brennpunkte, wo ich eben gerade genannt habe,

[00:32:39]  wie im Stalingrad, Schlachthof und so weiter, dort hin gesiedelt oder eine ganze Reihe bekommen

[00:32:46]  Wohnungen dann später in den Hochhäusern, wo schon eine ganze Reihe auch nicht mehr im besten

[00:32:53]  Zustand sind. Also wie gesagt, eine ganze Reihe von Familien können umsiedeln, aber ganz viele gehen

[00:33:00]  von einem schlecht beleumundeten Ort für Randständige in den nächsten übel beleumundeten

[00:33:06]  Ort. Und hier schließt sich praktisch der Kreis zu meinem anderen Forschungsfeld, das dann sich immer so

[00:33:14]  überlappt hat, nämlich Kinder und Jugendliche in der Fremdunterbringung und solchen Baracken-

[00:33:22]  lagern, sei es Reichenau oder andere Baracken, die es in Innsbruck gegeben hat. Da sind ja auch

[00:33:29]  sehr, sehr viele sogenannte jenische, die man als Karner beschumpfen hat, Tiroler Zigeuner etc.

[00:33:35]  Aus diesen Gegenden rekrutiert sich ein extrem großer Teil von Kindern und Jugendlichen,

[00:33:41]  die in Heimunterbringung kommen, wo dann die entsprechend zum sehr hohen Maß nächsten

[00:33:48]  Gewaltexzesse dann auf sie warten. Wie gesagt, die Geschichte der Amut, das ist noch etwas,

[00:33:54]  wo man weiterforschen muss. Es sind aber immerhin ja schon einige spannende Sachen erschienen,

[00:34:00]  oder auch die Bocksiedlung, die quasi übergeht auch in die Reichenau, ist ja auch Stadtarchiv in

[00:34:06]  der Reihe rausgekommen von der Frau Hollaus, wo hier sehr spannende Geschichten sind. Man sieht,

[00:34:13]  dass diese Nazizeit direkt und indirekt bis weit in die Gegenwart hineinreicht, hineinweht und

[00:34:22]  Themenbereiche, Geographien und sonstige Themenfelder betrifft, wo wir nicht denken würden,

[00:34:30]  dass das irgendwas noch mit Nationalsozialismus zu tun hat. [Outro-Musik]

[00:34:33]  Tobias: Archivwürdig ist eine Produktion des Stadtarchiv Innsbruck und Teil der Stadtstimmen,

[00:34:53]  dem Audiokanal der Stadt Innsbruck.

 

2. Staffel:

Die zweite Staffel steht ganz im Zeichen von gelebter Geschichte. In den Interviews erzählen Innsbrucker ZeitzeugInnen von ihren Erinnerungen an Kindheit, Schulzeit, Freizeitaktivitäten und vieles mehr. Die zweite Staffel beinhaltet sechs Folgen, die in einem 14-tägigen Rhythmus veröffentlich werden.

1. Staffel:

In der ersten Staffel werden neben dem eigenen Archiv auch andere Archive im Stadtgebiet, wie etwa das Tiroler Landesarchiv oder das Subkulturarchiv thematisiert. Die erste Staffel beinhaltet sechs Folgen, die in einem 14-tägigen Rhythmus veröffentlich werden.

S'Vorwort

Stadtbibliothek meets Pop.Kultur.Literatur – im Podcast der Stadtbibliothek reden die Bibliothekarinnen Christina und Pia miteinander und mit Gästen über all das, was Literatur sein kann: von Mainstream bis Nische, über Bücher und Filme bis Comics und Gaming.

Teilen Sie uns gerne Ihre Meinung oder Themenwünsche zum Podcast  „S’Vorwort" mit unter: post.stadtbibliothek@innsbruck.gv.at.

Zweiwöchentliche Folgen

In den an jedem zweiten Donnerstag erscheinenden Folgen sprechen die Stadtbibliothekarinnen Christina und Pia über ein Thema aus der Popkultur und warum sie dieses mögen oder eben nicht. Die Folgen beinhalten eine Übersetzung in Textform (Transkript). Diese Übersetzung erfolgt durch Übertragung von Dialekt auf Hochdeutsch.

Transkription

[00:00:00]  [moduliert] Vorsicht, der Genuss dieses Podcasts kann zu vermehrten Bibliotheksbesuchen führen. [moduliert]

[00:00:06]  [Intro-Musik] Christina: Hallo und herzlich willkommen zurück zum Vorwort, dem Podcast der Stadtbibliothek Innsbruck.

[00:00:27]  Mein Name ist Christina.

[00:00:28]  Pia: Und ich bin die Pia.

[00:00:29]  Christina: Und außerdem, willkommen zurück ein letztes Mal beim Herbstlesefest.

[00:00:34]  In fünf Folgen haben wir uns ganz dem Lesen verschrieben, uns selbst und untereinander Lesechallenges gestellt und diese in den Folgen für und mit euch besprochen.

[00:00:47]  Pia, worum geht es denn in der heutigen Folge, quasi unseren Grand Finale, wenn ich das so sagen darf?

[00:00:54]  Pia: Es geht um das "Grauen von Dunwich", "The Dunwich Horror".

[00:00:59]  Das ist eine Kurzgeschichte von H.P. Lovecraft.

[00:01:03]  Und wir haben die illustrierte Version gelesen, und zwar von François Baranger.

[00:01:08]  Das Original, also die Kurzgeschichte, wurde 1929 im Magazin Weird Tales veröffentlicht, nur so als Info.

[00:01:14]  Christina: Und Pia, wie fandest du denn das Leseerlebnis?

[00:01:18]  Mit dieser illustrierten Ausgabe möchte man dazu sagen.

[00:01:22]  Pia: Also, ich bin ein bisschen zwiegespalten, was das angeht.

[00:01:26]  Einerseits ist es schon recht fein, Illustrationen zu haben und es ist eine sehr schöne Ausgabe.

[00:01:34]  Also, es ist ein bisschen ein Sammlerstück, das merkt man schon.

[00:01:37]  Also, da gibt es ja mehrere von dieser illustrierten Version von François Baranger.

[00:01:41]  Ich kann mir vorstellen, dass ich das im Regal hätte und das würde voll schön ausschauen.

[00:01:46]  Andererseits ist es zum Lesen nicht fein gewesen.

[00:01:49]  Also, ich weiß nicht, wie es dir gegangen ist, aber für mich war es Format zu groß.

[00:01:54]  Also, es ist ein sehr großformatiges Buch.

[00:01:56]  Es hat 26 x 35 cm.

[00:01:59]  Das heißt, da kann man sich schon vorstellen, okay, man hat da einen großen Tuscher in der Hand. [lacht]

[00:02:03]  Ist man vielleicht eher von der Kinderbibliothek gewöhnt, dass man da eben so ein Bilderbuch in der Hand hat.

[00:02:09]  Und das bin ich einfach nicht mehr gewöhnt, muss ich sagen.

[00:02:12]  Ich weiß nicht, wie es dir da gegangen ist.

[00:02:14]  Christina: Mir ist es ganz gleich gegangen. Ich habe es aufgeschlagen,

[00:02:17]  und dadurch, dass es so großformatig ist, ist die Illustration schon sehr atmosphärisch.

[00:02:22]  Und man taucht schon sehr da drin ein.

[00:02:24]  Das habe ich als Vorteil empfunden.

[00:02:26]  Aber genau das Gleiche.

[00:02:28]  Ich bin mir wirklich vorgekommen, als müsste ich nochmal mal lernen, Bilderbücher anzuschauen.

[00:02:32]  Weil man das wirklich, habe ich auch verlernt.

[00:02:34]  Und das ist mir mehr auf die Nerven gegangen, als dass es mir was gegeben hat.

[00:02:42]  Aus dem Grund, dass ich es auch nie mitnehmen konnte in den Bus.

[00:02:46]  Ich meine, es ist nicht dafür gedacht, dass man es unterwegs liest.

[00:02:49]  Das ist, wie du sagst, ein Sammlerstück.

[00:02:51]  Und vielleicht konnte ich es als das nicht so wertschätzen, was es war.

[00:02:56]  Und im Endeffekt, das muss ich jetzt hier auch gestehen,

[00:03:00]  bin ich wieder auf meine altbewährte Methode des Hörbuches übergegangen

[00:03:04]  und habe mir dann das - nicht besonders empfehlenswerte, meiner Meinung nach -

[00:03:08]  englische Hörbuch angehört.

[00:03:11]  Weil es einfach anders nicht gegangen wäre.

[00:03:13]  Ich habe die ganze Zeit das Gefühl gehabt, ich muss mir jetzt die Hände waschen.

[00:03:16]  Pia: Du quälst dich jetzt da durch dieses Buch durch. [lacht]

[00:03:17]  Christina: [lacht] Nein, ich wollte es nicht angreifen, weil es so wertvoll ist.

[00:03:21]  Pia: [lacht] Ich habe auch Angst gehabt beim Umblättern.

[00:03:23]  Ich war so: Nicht dass ich die Zeiten zerreiße.

[00:03:25]  Christina: Ja, und das braucht halt Übung.

[00:03:27]  Aber es war, glaube ich, einfach nur ungewohnt.

[00:03:31]  Das war es.

[00:03:32] Pia: Ja, ist uns glaub ich beiden gleich gegangen.

[00:03:34]  Christina: Witzig.

[00:03:36]  Es steht ja bei uns auch bei den Comics.

[00:03:38]  Weil es wirklich bei den Illustrationen so vordergründig sind.

[00:03:41]  Pia: Ja, bei den Romanen wird es keinen Sinn machen.

[00:03:43]  Da würde es, glaube ich, nie ausgeliehen werden.

[00:03:45] Christina: Ja, es hätte halt im Regal glaub ich keinen Platz.

[00:03:48]  Aber ich glaube schon, dass es ausgeliehen werden würde.

[00:03:51]  Ich glaube halt, einfach dass es von ... die Illustrationen spielen für die Geschichte,

[00:03:59]  die fast eine gleichwertige Rolle wie die Geschichte selber.

[00:04:03]  Und ich glaube, dass das ein Skill ist, den man erlernen muss.

[00:04:09]  Wir waren ja beide gespannt, wie wir dann mit der Geschichte umgehen in dem Kaliber.

[00:04:14]  Und das war dann, ja, also ich glaube wirklich,

[00:04:16]  dass wir am Anfang von so einer Lernkurve stehen.

[00:04:18]  Wir sollten auch einmal "Graphic Novels" oder so besprechen.

[00:04:20]  Pia: Ja, sicher.

[00:04:22]  Christina: Und dann schauen wir, ob wir da anders rein kommen ...

[00:04:24]  Pia: [lacht] Weiterkommen.

[00:04:26]  Christina:Und vielen von euch ist ja der Lovecraft

[00:04:29]  wahrscheinlich auch schon ein Begriff. Im Englischen gibt es da zum Beispiel den Ausdruck "Lovecraftian Horror".

[00:04:36]  Zu Deutsch sagt man auch gerne "kosmische Horror".

[00:04:40]  Der Lovecraft hat damit ein ganzes Subgenre in seinem Werk erschaffen.

[00:04:46]  Und dieses Werk zeichnet sich durch eine Atmosphäre von existenzieller Angst,

[00:04:52]  Unwissenheit und der Unermesslichkeit des Universums aus.

[00:04:56]  Die Kernmerkmale dieses Horrorstils sind eben eine gewisse kosmische Gleichgültigkeit

[00:05:03]  oder vielleicht auch so ein Nihilismus.

[00:05:07]  Ein Wahnsinn, der durch "zu viel" Wissen sozusagen entsteht.

[00:05:13]  Unzuverlässiger Erzähler kommt sehr gerne und oft vor.

[00:05:17]  Der Verlust von Menschlichkeit.

[00:05:20]  Es geht oft mehr um Atmosphäre als um Aktion oder Taten.

[00:05:27]  Und ein weiteres Thema sind das Unerklärliche und das Unbekannte.

[00:05:35]  So, aber wer war jetzt Lovecraft genau?

[00:05:39]  Pia: H.P. Lovecraft, Howard Phillips Lovecraft heißt das ganz genau.

[00:05:44]  Das war ein amerikanischer Schriftsteller und er hat diesen Cthulhu-Mythos erschaffen.

[00:05:49]  Und da geht es immer um Wesen, die heißen dann die großen Alten, die aus fernen Galaxien kommen.

[00:05:56]  Christina: Und das ist zum Beispiel so eines von diesen Beispielen,

[00:06:01]  wie sich Lovecraft mit diesem kosmischen Horror beschäftigt,

[00:06:04]  nämlich mit Wesen, denen die Menschen egal sind.

[00:06:08]  Pia: Genau. Und das ist aber dann weitergegangen,

[00:06:11]  weil nach ihm haben andere Autor*innen diesen Mythos in ihren eigenen Werken fortgeführt.

[00:06:16]  Beispiele dafür sind Andrzej Sapkowski, Wolfgang Hohlbein.

[00:06:20]  Christina: Und ich habe dazu zu sagen, ich habe Stephen King auch, aber das stimmt nicht ganz.

[00:06:25]  Stephen King war nur extrem inspiriert von Lovecraft und man findet zwar nicht den Cthulhu-Mythos in King,

[00:06:33]  aber er zieht sehr viel Inspiration aus den Werken von Lovecraft.

[00:06:39]  Pia: [lacht] Wir haben auch einige seiner Werke in der Bib, also von Stephen King und von Lovecraft in dem Fall.

[00:06:45]  Und zwar auffällig viele illustrierte Versionen.

[00:06:48]  Also zum Beispiel einige Comic-Adaptionen, wie zum Beispiel "Echo des Wahnsinns".

[00:06:53]  Da werden verschiedene Geschichten aus Lovecrafts Universum adaptiert,

[00:06:58]  oder auch "Providence" von Alan Moore, den kennt man vielleicht generell,

[00:07:02]  weil er so im Comic-Bereich so bekannt ist.

[00:07:04]  Der hat eine Neuinterpretation von Lovecrafts Werken geschaffen.

[00:07:08]  Dann haben wir auch Manga-Adaptionen, und zwar mehrere von Gou Tanabe,

[00:07:13]  von zum Beispiel "Berge des Wahnsinns", "Die Farbe aus dem All", "Der Hund und andere Geschichten",

[00:07:19]  "Der Außenseiter und andere Geschichten" und viele weitere.

[00:07:22]  Und ich habe das sehr interessant gefunden, dass gerade Lovecraft gern in Comic- oder Manga-Form dann adaptiert wird

[00:07:29]  und eben illustriert dargestellt wird.

[00:07:32]  Kann vielleicht auch daran liegen, dass man gern Horror darstellt.

[00:07:36]  Vielleicht führt das zu einem zusätzlichen Schockfaktor.

[00:07:39]  Ja, finde ich einfach interessant.

[00:07:41]  Christina:Aber Pia, weil findest du, dass die Illustrationen jetzt auf unser,

[00:07:48]  "Das Grauen von Dunwich", auf unseren Lesetext bezogen einen Mehrwert gebracht haben?

[00:07:52]  Weil für mich haben die eigentlich viel auch weggenommen.

[00:07:57]  Weil Lovecrafts Stil zeichnet sich ja eben auch durch dieses Unerklärliche und Unbekannte aus.

[00:08:04]  Und ich habe bei sowas dann immer den Eindruck, dass durch die Darstellung des Monsters

[00:08:10]  das Monster selbst an Schrecken verliert.

[00:08:13]  Pia: Ich finde auch. Das habe ich mir auch aufgeschrieben.

[00:08:16]  Man muss der Illustration zugutehalten, dass es sehr lange versteckt bleibt, das Monster.

[00:08:23]  Also man sieht nur so Andeutungen, man sieht nicht immer alles.

[00:08:26]  Aber im Text wird eigentlich nur angedeutet, ewig lang.

[00:08:29]  Und auch am Schluss, wo es beschrieben wird, ist es sehr viel noch offen eigentlich.

[00:08:36]  Und natürlich, in dem Moment, wo du es zeichnest, hat es eine eindeutige Darstellung.

[00:08:41]  Und ich hätte es mir schon, also wenn man nur die Worte gelesen hat, hätte ich es mir anders vorgestellt.

[00:08:46]  Einige der Sachen, die vorkommen.

[00:08:49]  Andererseits kann ich mir schon auch vorstellen, dass es ein einfacher Einstieg ist.

[00:08:53]  Weil gerade Leute, die sich vielleicht schwerer tun mit Lesen,

[00:08:57]  vielleicht ist es dann feiner, wenn man wirklich eine Illustration dabei hat.

[00:09:01]  Weil es vielleicht auch hilft und das vielleicht den Text auch auflockert, kann ich mir auch vorstellen.

[00:09:07]  Christina: Das kann sein.

[00:09:09]  Ich meine, wir sind ja inzwischen total geprägt von dieser Umgebung, die ... Wir wachsen mit Filmen auf, oder?

[00:09:20]  Und mit Bildern.

[00:09:23]  Und als Lovecraft das geschrieben hat, gab es sicher nicht dieses Ausmaß an Bildern und Filmen und Darstellungsmöglichkeiten.

[00:09:34]  Aber ich glaube, dass man sich, dass man als vielleicht ungeübte*r Leser*in gar nicht bewusst ist,

[00:09:41]  wie bereichernd es sein kann, Sachen nicht dargestellt zu sehen.

[00:09:45]  Und das ist meiner Ansicht nach auch eigentlich, worum es Lovecraft geht.

[00:09:52]  Deswegen ist es natürlich besonders ironisch.

[00:09:55]  Ich glaube schon, dass es so ein Drang ist von uns Menschen, dass wir was darstellen wollen.

[00:10:02]  Und dass wir das dann aufs Papier bringen wollen.

[00:10:04]  Aber eins der Merkmale von Lovecraft ist ja, dass ... Zu viel Wissen, dass das nicht aushaltbar ist.

[00:10:11]  Also zu viel Realität sozusagen, dass es eigene Grauen in sich birgt, oder?

[00:10:17]  Und es nimmt das Grauen dann weg, irgendwo.

[00:10:19]  Pia: Generell in der Geschichte bleibt er auch sehr viel unbeantwortet.

[00:10:22]  Und es lässt generell sehr viel Platz für Vorstellung.

[00:10:27]  Und das kann es auch um einiges schrecklicher machen, die Geschichte oder gruseliger.

[00:10:32]  Christina: Okay, aber, worum geht es in "Das Grauen von Dunwich" nun eigentlich ganz genau?

[00:10:38]  Und nur als kleiner Hinweis, da es sich hier um eine Kurzgeschichte handelt, werden wir das Ende diesmal verraten.

[00:10:45]  Pia: Also im "Grauen von Dunwich" entführt uns Lovecraft in die mysteriöse, düstere Kleinstadt Dunwich,

[00:10:52]  wie man vielleicht denken könnte, in Neuengland.

[00:10:55]  Dort lebt die Familie Whateley, Whateley [verschiedene Aussprachen] ich war meine ganz sicher, wenn man es auch ausspricht.

[00:11:01]  Christina: Im Hörbuch glaube ich haben sie ... Whateley.

[00:11:03] Pia: Whateley. Ja.

[00:11:05]  Und um diese Familie gibt es sehr viele Gerüchte.

[00:11:10]  Der sonderbare, der Wilbur Whateley, der unter sehr seltsamen Umständen geboren wurde

[00:11:17]  und sehr schnell zu einem bedrohlichen jungen Mann wird, verbirgt ein grauenhaftes Geheimnis,

[00:11:24]  das mit uralten kosmischen Mächten in Verbindung steht.

[00:11:28]  Und dann kommen natürlich noch merkwürdige Ereignisse und beunruhigende Geräusche in der Stadt dazu

[00:11:33]  und dadurch gerät Dunwich in einen Strudel von Horror und Entsetzen

[00:11:37]  und ein Kampf gegen das Unfassbare beginnt.

[00:11:40]  Christina: Und bevor wir jetzt genauer auf die Handlung einsteigen und dann auch sagen, wie wir es so gefunden haben,

[00:11:47]  könntest du Pia, unseren Zuhörer*innen vielleicht noch einen Überblick verschaffen

[00:11:51]  über die wichtigsten Personen, die in der Geschichte vorkommen, damit wir wissen, über wen wir reden?

[00:11:56]  Pia: Sicher natürlich. Es gibt einmal den alten Whateley.

[00:12:01]  Er wird als Zauberer bezeichnet und ist ein kompletter Einzelgänger in dieser Stadt.

[00:12:06]  Dann gibt es noch seine Tochter Lavinia, die ist ebenfalls eine Einzelgängerin und wird beschrieben

[00:12:13]  als unattraktiv und auch ständig als "Albino" und das wird öfter wiederholt.

[00:12:18]  Christina:Und da möchte wir hier einen kurzen Einwurf machen, dass ... Ich finde,

[00:12:24]  dass eine Person mit Albinismus da als Stilmittel herangezogen wird,

[00:12:29]  weil um beim Leser Horror zu evozieren, ist aus mehrere Gründen problematisch.

[00:12:35]  Es suggeriert zum Beispiel, dass Personen mit Albinismus in irgendeiner Form

[00:12:39]  in Anführungsstrichen "anders" oder "schlechter" wären.

[00:12:42]  Das ist natürlich völliger Schmarrn, aber wie bei vielen älteren Texten

[00:12:46]  muss man die in ihrer Zeit verorten.

[00:12:50]  Als Erinnerung der Text ist 1929 erschienen. Was aber wiederum nicht heißt,

[00:12:54]  dass man nicht auf die problematischen Elemente aufmerksam machen kann, ähnlich wie in der letzten

[00:13:01]  Folge, als wir über "Die Tote in der Bibliothek" von Agatha Christie und das Thema Slutshaming gesprochen

[00:13:06]  haben. Es sei außerdem dazu gesagt, dass die Lavinia die einzige Frau in diesem ganzen Cast,

[00:13:13]  ist und im Grunde nur dazu dient, dass Wilbur geboren wird, also den Plot zum Laufen zu

[00:13:20]  bringen und dann verschwindet sie mitten in der Geschichte auf "unerklärliche Weise". Tja. Pia: Zwanziger Jahre. Genau,

[00:13:29]  das ist die Lavinia und die hat daneben, wie du schon verraten hast, ein Kind, den Wilbur. Der hat

[00:13:36]  einen unbekannten Vater und ist auf mehrerlei Hinsicht außergewöhnlich. Er hat ein ziegenähnliches

[00:13:43]  Aussehen, er wächst sehr, sehr schnell für ein normales Kind und Hunde reagieren eigenartig und

[00:13:49]  negativ auf ihn und dann gibt es noch einen Haufen anderer Sachen. [beide lachen] Christina: Jedes Horror-Trope, das kann man sich denken.

[00:13:54]  Pia: Und dann gibt es dann noch den Henry Armitage. Der ist noch mal separat von der Familie, der hat

[00:14:00]  mit ihnen nichts zu tun, der ist Bibliothekar von einer Universitätsbibliothek und der kämpft

[00:14:06]  gegen dieses Grauen. Christina: Was für eine Überraschung, ich wusste nicht, dass da noch ein Bibliothekar

[00:14:09]  vorkommt, der dann am Ende den Tag rettet, muss man ja sagen. Pia: Für mich, ganz persönlich war

[00:14:17]  das jetzt das erste Mal, dass ich Lovecraft gelesen habe, ich glaube, dir geht es gleich. Und ich muss

[00:14:21]  aber sagen, ich hätte mir Lovecraft genauso vorgestellt. Für mich hat diese Kursgeschichte

[00:14:26]  irgendwie so mehrere Boxen abgehackt. Christina: Ja, ich stimme hier voll und ganz zu genau das, was ich

[00:14:31]  erwartet habe und habe mich auch, muss ich dazu sagen, so in so einer gewissen Intermedialität,

[00:14:37]  die das ja bezeugt, an ganz viele Horrorgames erinnert. Also die auch immer sehr Lovecraftitsch ... (?)

[00:14:44]  von dem inspiriert sind, ganz offensichtlich. Und das ist, ah, okay, er ist ja der Begründer

[00:14:51]  Und deswegen kommt mir das so bekannt vor. Und wenn wir davon reden, dass es uns so bekannt

[00:14:56]  vorkommt, aber was genau macht denn jetzt so einen typischen Lovecraft überhaupt aus? Pia: Also Sachen,

[00:15:02]  die uns aufgefallen sind, wären da einerseits die Atmosphäre, die ist sehr beklemmend und unheimlich

[00:15:07]  und es gibt generell eine düstere Stimmung. Das Setting haben wir auch schon erwähnt,

[00:15:11]  das ist in Neu-England, Dunwich, das ist ein sehr trostloses Gebiet, es ist verfallen, der Ort ist

[00:15:17]  isoliert und sehr sonderbare Bewohner*innen. Und das bezieht sich jetzt nicht nur auf diese Familie,

[00:15:23]  sondern generell werden alle schon als eigenartig bezeichnet [lacht] und dann noch diese Familie noch

[00:15:27]  mal mehr. Christina: Wer Silent Hill gespielt hat, weiß, wie die Atmosphäre in "Das Grauen von Dunwich" ist.

[00:15:34]  Pia:Dann generell diese Angst vor dem Unbekannten, das haben wir ja auch schon erwähnt. Es werden

[00:15:40]  sehr lange nur Andeutungen gemacht, das Grauen wird sehr spät beschrieben. Und auch am

[00:15:46]  Ende der Geschichte ist nicht ganz klar, woher diese großen Alten kommen, was das für Menschen,

[00:15:51]  Leute, Wesen sind und was genau das Grauen geschaffen hat. Ja. Christina: Pia, wie genau geht es denn aus?

[00:15:59]  Also dieser Wilbur ist ein, [seufzt] ich habe ja kurz gedacht, er ist Satan oder so wegen der Ziegengeschichte,

[00:16:08]  aber der stirbt ja dann auch. Übrigens, bei dem Versuch in die Bibliothek einzubrechen,

[00:16:13]  ich glaube, der wird von einem Wachhund gerissen, oder? Pia: Genau. Christina: Ich wusste nicht, dass es Bibliotheken

[00:16:18]  mit Wachhunden gibt, aber okay. Und da finden sie so ein bisschen raus, dass der so

[00:16:23]  entstellt ist. Aber kannst du uns ganz kurz teilhaben lassen, wie dann das Ende ist, damit wir wissen,

[00:16:30]  worüber wir jetzt reden? Pia: Also Wilbur stirbt und das Grauen ist im Grunde in seinem Haus gefangen.

[00:16:36]  Das ist ein komisches Wesen, das sehr viele Arme hat und eigenartig ausschaut. Das entkommt dann

[00:16:42]  und wütet im Grunde in dieser Gegend. Christina: Also so ein richtiges Monster, das sich über den Verlauf des

[00:16:50]  Plots quasi so ankündigt und der Spannungsbogen reißt am Ende und es wird klar, der bricht jetzt

[00:16:56]  aus diesem Haus aus und die Familie, die das versucht hat, geheim zu halten, da sind alle

[00:17:01]  tot oder verschwunden, die Whateleys, und jetzt ist dieses Grauen frei. Und wer ist derjenige,

[00:17:06]  der es bezwingen kann? Pia: Der Bibliotheker. [beide lachen] Christina: Ja, das wundert mich nicht. Sehr gute Wendung. Pia: Genau und

[00:17:13]  der kann es dann eben, der liest sich dann ins Tagebuch von Wilbur ein, merkt dann, wie man

[00:17:19]  den bezwingen kann. Christina: Aha, das heißt, die Macht des Lesens ... [lacht] Wie witzig ist

[00:17:27]  das denn bitte? Das Lovecraft, das transportiert, wir haben das wirklich nicht absichtlich ausgesucht.

[00:17:31]  Aber Leute, das zeigt ja mal wieder, dass Lesen ... Pia: [lacht] Wie wichtig Bibliotheken sind. Es ist halt

[00:17:36]  dieses, "die Macht des Wissens", die kann das Grauen dann bezwingen. Christina: [wirft ein] Recht hat er. Recht hat er. Pia: Unsere Helden

[00:17:42]  sind Bibliothekare und Professor von der Uni natürlich. [Christina lacht] Es ist allerdings muss

[00:17:48]  man eben auch sagen ein eindeutiger Fokus auf männliche Helden, männliche Heldentaten. Frauen,

[00:17:54]  wie du auch schon angedeutet hast mit der Lavinia, werden nur spärlich erwähnt, sie sind Nebenfiguren,

[00:17:59]  Opfer, wie Lavinia oder Augenzeuginnen, die das halt einfach sehen. Christina: Auch ironisch, weil der Großteil

[00:18:05]  heute in Bibliotheken arbeitenden Mitarbeiter ist eigentlich weiblich, oder? Pia: Ja. [lacht] Christina: Tja, wieder mal

[00:18:13]  unrealistisch, Herr Lovecraft. [lacht] Pia: Genau, und am Ende wird das Grauen besiegt, aber wie gesagt, wir wissen

[00:18:18]  nicht, woher es gekommen ist. Christina: Okay, und jetzt, wie fandest du das Ende? Ich sage gleich,

[00:18:27]  schon jetzt, wie ich es gefunden habe, nämlich mir war es zu offensichtlich und so konfrontativ.

[00:18:32]  Dieses Gut gegen Böse-Ding, das kenne ich zum Beispiel eben da, deswegen bin ich vorhin auch auf

[00:18:37]  Stephen King gekommen, von Stephen King auch. Und das ist mir, und ich habe mir immer vorgestellt,

[00:18:42]  dass es bei Lovecraft ein bisschen anders zugeht, weil es bei ihm so viel um das Unbekannte und

[00:18:50]  das Ungreifbare geht und um dieses Kosmische, der kosmische Horror besteht für mich darin,

[00:18:55]  dass etwas nicht bezwingbar ist. Aber das wurde dann damals bei der Veröffentlichung übrigens

[00:19:00]  auch schon kritisiert, weil es recht untypisch für Lovecraft auch sein soll. Wie gesagt,

[00:19:05]  wir wissen es tatsächlich nicht, weil wir nicht viel Lovecraft gelesen haben,

[00:19:08]  ist unser erster Lovecraft. Lovecraft selbst soll dazu gesagt haben, dass wann immer das Grauen,

[00:19:14]  wie in der Geschichte von Dunwich so allumfassend ist, es eine Konfrontation geben muss quasi

[00:19:22]  als Erklärung, warum sich das Grauen nicht über die ganze Welt ausbreitet. Und deswegen hat er

[00:19:27]  das auf dieser textuellen Ebene so verwendet. Er selbst war wohl ein großer Fan dieser Geschichte

[00:19:33]  und fand sie ganz, ganz, ganz fürchterlich und graueninduzierend für seine Leser. Wie ist es denn

[00:19:39]  dir ergangen? Pia: Ich kann seine Gründe verstehen. Es ist ja auch nur eine Kurzgeschichte, muss

[00:19:45]  man jetzt auch sagen, es ist jetzt kein Roman, wo man das weiter ausführen könnte. Aber er hat es ja auch

[00:19:50]  fortgeführt und eben, man muss jetzt auch sagen, das weiß ich natürlich nicht, wie es da weitergeht.

[00:19:54]  Christina: Was hat er fortgeführt? Pia: Diesen Mythos, der ist ja mehreren von seinen Werken. Christina: Also dieses

[00:20:02]  Monster, der hat einen Namen und wer von euch uns diesen Namen aussprechen kann, kriegt ein Shoutout. [beide lachen]

[00:20:10]  Pia: Genau. Christina: Oder der hat sehr viele Namen. Also der "Allwissende", oder der "Alleswisser" ... [lacht]

[00:20:17]  ok, jetzt trau ich mich nicht weiter ... [Pia lacht] aber der hat und der wird dann fortgesetzt. Das gibt dann,

[00:20:22]  dieses Wesen zieht sich durch ganz viele der Geschichten. Das ist das durch das

[00:20:28]  Cthulhu-Mythos, oder? Pia: Genau, die Alten generell kommen ja dann immer wieder vor.

[00:20:32]  Genau. Aber ich muss auch sagen, für mich war es zu klischee... Andererseits ist es natürlich auch

[00:20:40]  unterhaltsam. Das ist ein bisschen so wie wir das letzte Mal gesagt haben bei der Agatha Christie.

[00:20:44]  Wenn ich diesen Krimi-Roman lese, dann denke ich mir, okay, ich weiß ganz genau, was ich

[00:20:47]  erwarten kann. Und bei so einer Geschichte denke ich mir auch, okay, es ist eine Gruselgeschichte,

[00:20:51]  da kann ich mir auch genau das erwarten. Also einerseits ist es schon unterhaltsam gewesen,

[00:20:55]  es war nett zum Lesen. Ein bisschen gruselig. Christina: Das war es "nett" zum Lesen? Pia: Ja, ein bisschen gruselig.

[00:21:00]  Das ist ja auch manchmal nett. [lacht] Christina: Da fällt mir ein, Pia, dass du ja eigentlich gar keine

[00:21:04]  Gruselgeschichten magst, gell? Pia: Wobei ich sagen muss, für mich war das jetzt nicht so gruselig. Also es

[00:21:10]  ist gegangen. Es war jetzt nicht komplett angsteinflößend. Christina: Ich glaube, dass sind wir auch einfach

[00:21:15]  abgestumpft. Also dass wir, dass diese Legacy von ihm sicher weitergetragen hat, wie gesagt,

[00:21:23]  Intertextualität, Intermedialität. Pia: Und es waren ja die Zwanziger-Jahre, da hat sich ein bisschen was getan,

[00:21:29]  seitdem. Wir sind "Game of Thrones" und viel, viel schlimmere Sachen, wo das Blut nur so fließt.

[00:21:34]  Christina: Die Atmosphäre hat mich total beeindruckt. Ich fand es extrem atmosphärisch und er ist

[00:21:40]  meisterhaft darin, die aufzubauen. Aber was mir gefehlt hat, war so ein bisschen die psychologische

[00:21:52]  Tiefe. Pia: Das verstehe ich. Mich hat gestört, dass es so offen geblieben ist. Ich verstehe natürlich,

[00:22:00]  warum es offen lassen hat. Es ist nur eine Kurzgeschichte. Aber ich hätte gern gewusst,

[00:22:04]  was diese Alten sind, woher die kommen, warum da jetzt überhaupt dieser Wilbur entstanden ist.

[00:22:10]  Das sind alles Sachen, die nie beantwortet werden. Und das hat mich so gestört. Das wollte ich einfach

[00:22:15]  wissen. Und gleichzeitig muss ich auch sagen, ich war fast- Nicht, dass ich mich jetzt gefreut hätte,

[00:22:21]  dass die jetzt übernehmen, [lacht] die komischen alten Monster. Aber irgendwie war ich gespannt,

[00:22:25]  was passieren würde, wenn. Und das ist halt auch nie eingetroffen. Christina: Ich verstehe. Also dieses

[00:22:31]  Un... Ich glaube, er arbeitet damit, dass er Fragen auch unbeantwortet lässt. Aber das habe

[00:22:37]  ich auch schon am Anfang, wo sich dann so rauskristallisiert hat, wir werden wahrscheinlich

[00:22:41]  nicht erfahren, was mit Lavinia passiert ist. Und auf der einen Seite finde ich das beeindruckend.

[00:22:47]  Auf der anderen Seite, dass du es dir selber zusammenreimen musst, weil es respektiert,

[00:22:53]  den Leser und die Leserin in einem Maße, das ist teilweise ungewöhnlich für heutige Texte. Auf der

[00:23:00]  anderen Seite ist es natürlich auch frustrierend, wenn man sich gewisse Antworten wenigstens wünscht.

[00:23:04]  Aber da kann ich mir auch vorstellen, dass wir dann tiefer in den Cthulhu-Mythos eintauchen

[00:23:09]  müssten. Weil je mehr Informationen wir haben, egal wie vage die dann sein mögen, desto mehr können

[00:23:17]  wir unsere eigene Fantasie spielen lassen. Und das ist vielleicht ja genau das, worum es geht. Dem Lovecraft geht.

[00:23:20]  Ja, damit, Leute, endet heute das Herbstlesefest. Wir sind stolz,

[00:23:30]  dass wir in diesen fünf Folgen alle zwei Wochen einen Text gelesen haben. Und mit "wir"

[00:23:35]  meinen wir natürlich auch die Shelly und die Jaci, die da rege mitgemacht haben, die uns

[00:23:41]  Challenges gestellt haben, die für uns Sachen gelesen haben, Challenges, die wir ihnen gestellt haben.

[00:23:48]  Und da möchten wir uns auch jetzt ganz einfach mal bei euch bedanken, dass ihr das so rege mitgemacht

[00:23:53]  habt für alle eure Kommentare, für die Meinungen, die ihr uns per E-Mail meistens eigentlich geschrieben

[00:24:00]  habt. Und es ist schön, dass wir euch dazu zum Lesen einladen konnten und inspirieren konnten. Und

[00:24:06]  wir sind uns sicher, dass das nicht das letzte Mal bleiben wird, dass wir uns gegenseitig irgendwelche

[00:24:11]  Lesechallenges stellen und euch wieder einladen werden, mit uns zu lesen. Weil wie wir ja heute

[00:24:17]  erfahren haben, können Bibliothekar*innen ganz vieles, nämlich auch mythische, kosmische Monster

[00:24:24]  bezwingen. [beide lachen] Deswegen, genau. Pia: Ja, danke fürs Zuhören. Wenn ihr Lovecraft auch gelesen habt, könnt ihr

[00:24:34]  uns gerne eure Meinung schicken. Oder vielleicht habt ihr auch den noch nie gelesen und wollt

[00:24:39]  uns einfach die Meinung zu der Folge schicken. Freuen wir uns auch. Unter post.stadtbibliothek@innsbruck.gv.at

[00:24:47]  oder auf Instagram oder Facebook. Da freuen wir uns auf alle Fälle, wenn wir irgendetwas von euch

[00:24:54]  hören. Und wir freuen uns auch, wenn ihr beim nächsten Mal wieder einschaltet und zuhört. Tschüss.

[00:24:59]  Christina: Tschüss. Schönes Lesen. [Outro-Musik]

[00:25:01]  [Pia spricht] S'Vorwort ist eine Produktion der Stadtbibliothek

[00:25:31]  Innsbruck und Teil der Stadtstimmen, dem Audiokanal der Stadt Innsbruck. [Pia spricht]

Transkription

[00:00:00]  [Stimme moduliert] Vorsicht, der Genuss dieses Podcasts kann zu vermehrten Bibliotheksbesuchen führen. [Stimme moduliert] [Intro-Musik]

[00:00:07]  Christina: Hallo und herzlich willkommen zurück zum Vorwort, dem Podcast der Stadtbibliothek Innsbruck.

[00:00:27]  Ich bin die Christina - Pia: und ich bin Pia - und willkommen zurück zu unserer nächsten Folge des Herbstlesefests.

[00:00:34]  Was ist das Herbstlesefest? Die Hosts vom Vorwort stellen sich gegenseitig und, wenn ihr wollt, euch Zuhörer*innen eine Lesechallenge.

[00:00:43]  Wir haben dann zwei Wochen Zeit, das Buch zu lesen und mit euch in der Folge zu besprechen.

[00:00:49]  In der letzten Folge haben Shelly und Jaci über die Kurzgeschichte "Die Lotterie" von Shirley Jackson gesprochen.

[00:00:55]  Passend übrigens zu "Halloween", weil die Folge ist am 31.10. online gegangen.

[00:01:00]  Und falls ihr sie verpasst habt, könnt ihr sie ganz einfach nachhören.

[00:01:03]  Jedenfalls haben uns die beiden herausgefordert, den Roman "Die Tote in der Bibliothek" von der Queen of Crime, Agatha Christie, zu lesen.

[00:01:13]  Das ist natürlich ein echter Klassiker. Der ist 2024 erschienen in Neuauflage, im Atlantikverlag.

[00:01:21]  Allerdings in der damaligen Übersetzung aus dem Jahr, ich glaube, 2002.

[00:01:27]  Und ist auch in dieser Neuerscheinung bei uns in der Bibliothek zum Ausleihen verfügbar.

[00:01:32]  Übrigens ist es diesmal auch einer der Tipps in unserem brandneuen Literatur-Newsletter.

[00:01:38]  Also wenn ihr up to date bleiben wollt mit Empfehlungen von uns und von unseren Bibliothekar*innen im Haus, dann abonniert den doch einfach einmal.

[00:01:49]  Wir empfehlen da vor allen Dingen Literatur abseits der bekannten Bestsellerlisten.

[00:01:54]  Wobei, Pia, ich muss jetzt auch sagen, ich war schon ein bisschen enttäuscht zu erfahren, dass es sich bei dieser Toten in der Bibliothek, diese Bibliothek, das ist eigentlich eine private und gar keine öffentliche Bücherei.

[00:02:08]  Und zwar von dieser Aristoraktenfamilie, den Bantrys. Wie hast du das empfunden?

[00:02:14]  Pia: Ich war total überrascht, weil wo ich den Titel gläsen habe, ist erstens sofort auch an eine große Bibliothek gedacht.

[00:02:22]  Vor allem auch weil auf dem Cover von diesem Buch, das wir eben haben, da ist wirklich so eine riesige Bibliothek abgebildet mit so langen Regalen.

[00:02:32]  Also eben so wie man sich vielleicht eher öffentliche Bibliothek vorstellen würde.

[00:02:36]  Christina: Sieht fast das wie so ein Viadukt oder so, so kerker-, kellerartig mit sehr endlos hohen Regalen.

[00:02:43]  Pia: Genau, und ich habe nicht, also ich habe da überhaupt nicht daran gedacht, dass das eine private Bibliothek in irgendeiner Form sein könnte.

[00:02:50]  Christina: Sofort, weil mir war auch Bibliothek, das ist ja dann wie bei uns im Haus, aber derweil war es ja früher viel üblicher, dass Bibliotheken in Privatbesitz waren, eben gerade beim Adel oder bei reichen Familien.

[00:03:02]  Ende des 19. Jahrhunderts wurden zwar immer schon mehr und mehr Bibliothek öffentlich, aber irgendwie trotzdem,

[00:03:09]  die Vorstellung heutzutage noch, eine Privatbibliothek in dem Ausmaß zu haben, das ist ja zum Glück fast schon absurd, oder?

[00:03:21]  Pia: Ja, außer man ist vom Adel, aber bei uns gibt es das eigentlich nicht mehr.

[00:03:26]  Christina: Ja.

[00:03:27]  Pia, magst du mal für unsere Zuhörer*innen zusammenfassen, worum es denn in dem Buch überhaupt geht?

[00:03:34]  Pia: Das Buch heißt "Die Tote in Bibliothek", haben wir eh schon angesprochen.

[00:03:38]  Der Originaltitel heißt "The Body in the Library".

[00:03:41]  Es ist der 31. Kriminalromann von Agatha Christie, aber nur der zweite Miss Marple-Roman.

[00:03:47]  Also noch ziemlich neu ist die Miss Marple in diesem Buch, und ist 1942 erschienen.

[00:03:53]  Aber worum geht's?

[00:03:55]  Ist die große Frage.

[00:03:57]  In einem ruhigen englischen Landhaus scheint der Morgen, wie jeder andere zu beginnen.

[00:04:02]  Bis eine unerwartete Entdeckung des Hausmädchens, die die Idylle zerstört.

[00:04:06]  In der Bibliothek, der angesehenen Familie Bantry liegt eine Leiche, eine junge Frau,

[00:04:13]  auffällig gekleidet, aber völlig fremd.

[00:04:15]  Niemand weiß, wer sie ist oder wie sie dort hingekommen ist.

[00:04:18]  Für die Hausherrin, Mrs. Bantry ist es ein Schock und gleichzeitig ein Rätsel, das sie nicht mehr ruhen lässt.

[00:04:25]  Wer ist diese Frau?

[00:04:27]  Warum liegt sie ausgerechnet in dieser Bibliothek?

[00:04:29]  Zum Glück hat Mrs. Bantry eine Freundin, die neugierig und scharfsinnig ist.

[00:04:34]  Miss Marple.

[00:04:36]  Wenn Miss Marple tief in die Geheimnisse des Dorfes eintaucht, merkt sie schnell, dass nicht so umschuldig ist, wie es scheint.

[00:04:46]  Eine faszinierende und verwobene Geschichte voller unerwarteter Wendungen entfaltet sich.

[00:04:51]  Und jede Seite bringt Miss Marple dem Täter ein kleines Stückchen näher.

[00:04:55]  Also das ist jetzt unsere Zusammenfassung vom Buch.

[00:04:58]  Christina: Ja, woher hast du die Zusammenfassung, die klingt wie vor mir in einer Verlagsvorschau?

[00:05:01]  Pia: [lacht] Ja, ich habe ChatGPT verwendet, muss ich gestehen.

[00:05:04]  Christina: [lacht] Okay, weil das klingt so dramatisch.

[00:05:06]  Pia: Ja.

[00:05:08]  Ich wollte nicht die normale einfach runterkopieren, dann hab ich mir gedacht, ich hau das in ChatGPT rein, dann kommt schon was Besseres heraus.

[00:05:14]  Ja, also für die, die es gelesen haben oder vielleicht noch lesen möchten, es ist so klassischer "Whodunnit"-Fall.

[00:05:21]  Es ist begrenzte Zahl von Verdächtigen und es gibt logische Schlussfolgerungen, bis wir den Fall lösen können.

[00:05:27]  Und die Spannung liegt eindeutig am Mitraten mit den Polizisten und mit der Miss Marple und nicht unbedingt an der actionreichen Handlung.

[00:05:36]  Christina: Weil es gibt keine actionreiche Handlung.

[00:05:38]  Pia: Genau.

[00:05:39]  Christina: Das Witzigste, also viel ist, viel trägt auch der Humor auch einfach und so die spitzen Beobachtungen und Bemerkungen, die da mitfließen, oder?

[00:05:48]  Pia: Genau.

[00:05:49]  Christina: Zum Beispiel die Miss Bantry, die ja Freundin von der Miss Marple ist und die sich eigentlich voll freut über die Leiche, weil "ja mal endlich was passiert".

[00:05:59]  Aber gleichzeitig ist das irgendwie so abgründig oder? [lacht]

[00:06:02]  Weil es offensichtlich so gelangweilt ist von ihrem Leben, dass so eine Leiche irgendwie schon ein bisschen einen Schwung ...

[00:06:09]  Christina: Und das ist das ganze Dorf, also es sind alle irgendwie, "ah, es ist schockierend und das ist am Mord, aber gleichzeitig, ah, es ist Klatsch und Tratsch".

[00:06:16]  Christina: Ja, voll.

[00:06:17]  Das ganze interessant.

[00:06:19]  Christina: Das heißt, das ist auf jeden Fall was für alle Fans des klassischen Krimis.

[00:06:25]  Ich finde, das kann man auch dazu sagen, dass der Roman mit seinen 200 Seiten auch für jemanden, der noch nicht so viel Krimi-Erfahrung hat, aber gerne mal reinschnuppern würde, sehr gut geeignet ist.

[00:06:37]  So klassischer, britischer Kriminalroman.

[00:06:41]  Es ließ sich in zwei Tagen runter.

[00:06:43]  Es ist nicht so anspruchsvoll und ist aber sehr, also ich habe es sehr angenehm jetzt einmal empfunden, das halt auch so runterzulesen.

[00:06:51]  Wobei, hast du erraten, wer es war?

[00:06:54]  Wir werden es übrigens nicht verraten, wir verraten das Ende nicht, aber Pia, hast du erraten, wer es war?

[00:07:00]  Pia: Nein, also ich muss sagen, es wird jeder verdächtig gemacht durch die Geschichte.

[00:07:07]  Und es hat am Schluss für mich jetzt fast jeder sein können.

[00:07:11]  Also ich war jetzt nicht so, dass ich dann erraten habe - ich habe gewusst, dass diese Personen oder die Person verdächtig ist, dass da irgendwas nicht ganz stimmen kann.

[00:07:19]  Aber es hätte auch anders für mich ausgehen können.

[00:07:22]  Christina: Ich glaube, ich habe gerade wieder vergessen, wer es war.

[00:07:25]  Viele Leute lesen ja diese Bücher um eben mit zu raten. Das ist aber bei mir noch nie der Fall gewesen, also ich les schon hin und wieder mal so einen Krimi.

[00:07:35]  Aber ich frage mich - mir ist es immer viel zu anstrengend mit zu raten.

[00:07:38]  Ich denke dann nie drüber nach, sondern ich finde immer so die Meta-Elemente viel interessanter, weil so ein Kriminalroman ist ja ein literarisches Konstrukt und gibt - was natürlich jeder Roman ist -

[00:07:52]  aber gerade der Kriminalroman gibt sich ja solcher natürlich zu erkennen, weil er immer mit der gleichen Formel spielt.

[00:07:58]  Und wir haben hier schon mal eine Podcast-Folge über den klassischen britischen Kriminaloman gemacht.

[00:08:03]  Pia: Unsere beste Folge. Eine unserer besten Folgen übrigens.

[00:08:06]  Christina: Ja, die haben sie am aller liebsten gemacht. Das stimmt.

[00:08:08]  Die ist am besten angekommen und da haben wir die zehn Regeln von diesem Knox-Menschen, diesem britischen - [Pia wirft ein]: Theoretiker -  besprochen, was denn so ein Kriminalroman alles haben soll.

[00:08:21]  Und viele dieser Regeln bricht Agatha Christie auch dann regelmäßig.

[00:08:26]  Aber es ist halt irgendwie immer so eine Formel.

[00:08:29]  Und ich mich interessiert immer die Art, wie dann die Autoren mit dieser Formel spielen.

[00:08:34]  Und ich lese jetzt gerade einen, der dann noch, also die modernen heute erscheinenden britischen Kriminalromane ,

[00:08:43]  die wirklich ganz sich diesen klassischen Genre verschreiben, die spielen extrem mit dieser Meta-Formel.

[00:08:49]  Und ich lese eben gerade einen, der so ist. Und ich schreibe gerne wie Shownotes, wie der heißt, "West Heart Kill".

[00:08:55]  Genau, "West Heart Kill" ist es. Und den Autor schreibe ich dazu den Shownotes.

[00:08:59]  Aber ich war dann echt überrascht zu sehen, dass Christie auch so viele Meta-Elemente eingebaut hat.

[00:09:09]  Pia: Ja, aber total. Also sie ist sich selber so irgendwie das eigenen Genre schon so extrem bewusst.

[00:09:13]  Es fängt ja schon an wie im Titel, weil das ist ja das Klischee, "Die Tote in der Bibliothek".

[00:09:19]  Wie ist das ...  Erklär bitte unseren Zuhörer*innen warum das ein Klischee ist?

[00:09:23]  Ich glaube, das ist nicht ganz so...

[00:09:25] Für mich war es kein Klischee.

[00:09:27]  Pia: Ich hab's auch nicht gewusst, dass das ein Klischee ist. Ich weiß es nur, weil es im Vorwort gestanden ist.

[00:09:31]  Ich weiß nicht ob du auch eine Version gelesen hast mit Vorwort? Christina: Ja.

[00:09:34]  Pia: Agatha Christie erklärt im Vorwort, sie wollte schon immer mal ein Buch schreiben

[00:09:41]  mit einer Leiche in einer Bibliothek, weil das eben so das klassische Krimi-Klischee ist.

[00:09:47]  Ich hab dann auch danach gesucht, anscheinend gibt es das wirklich, dass eben oft die Leiche in der Bibliothek gefunden wird im Krimi.

[00:09:53]  Und sie wollt's aber ein bisschen umdrehen. Sie hat gesagt, sie wollt die Bibliothek klassisch machen.

[00:09:58]  Was interessant ist, weil es eine Privatbibliothek ist und für uns ist das wahrscheinlich keine klassische Bibliothek mehr.

[00:10:03]  Aber sie wollt die Leiche spannend und sensationell machen.

[00:10:07]  Also sie hat lange über dieses literarische Mittel nachgedacht, bevor sie es in die Tat umgesetzt hat.

[00:10:16]  Weil sie hat dann in einem Vorwort eben geschrieben, die Bibliothek muss eine streng konventionelle sein.

[00:10:21]  Die Leiche, der gegen eine ganz ungewöhnliche, sensationelle Leiche.

[00:10:24]  Das waren die Vorgaben, doch einige Jahre blieb es dabei und das Projekt gelangte nicht über ein paar Zeilen in einem Schulheft hinaus.

[00:10:31]  Also es hat sie ein paar Jahre gedauert, bis sie da angelangt ist, wo sie hinkommen wollte.

[00:10:36]  Und dann hat sie das eben geschrieben.

[00:10:38]  Christina: Aber was ich mich zum Beispiel in dem Zusammenhang auch frage, das mag, heute würde ich sagen, es ist vielleicht ein Trope

[00:10:45]  gewesen einmal in der Literatur, dass die Leichen immer in der Bibliothek gefunden werden.

[00:10:50]  Aber wieso Bibliotheken?

[00:10:54]  Pia: Das ist, also es gibt verschiedene Gründe dafür.

[00:10:58]  Aber ansonsten kann natürlich sein, dass es so ein Gegensatz ist.

[00:11:01]  Einerseits hast du die Bibliothek, dieser Ort der Ruhe, der Ordnung von intellektuellem Rückzug.

[00:11:07]  Und dann als Kontrast der Mord.

[00:11:10]  Die Leiche, der Lärm, das Durcheinander, etwas, das man sich nicht erklären kann.

[00:11:17]  Im Gegensatz zu dieser strengen, logischen Bibliothek.

[00:11:20]  Christina: Was ja auch diese Parallel zieht, zum Kriminalroman an sich, wo das Chaos durch den Mord ausbricht

[00:11:26]  und der Detektiv dann wieder Ordnung in das Chaos bringt.

[00:11:30]  Das ist ja eine der Theorien über Kriminalliteraturen.

[00:11:33]  Warum wir es so genießen, das zu lesen.

[00:11:36]  Weil wir immer eine handelnde Figur haben, die Ordnung zurück ins Chaos bringt und Regeln durchsetzt.

[00:11:42]  Pia: Und am Schluss alles einen Sinn macht.

[00:11:44]  Das ist irgendwie auch so ein bisschen parallel damit der Bibliothek.

[00:11:47]  Ja, und dann hast du uns da noch eine echt spannende Frage mit.

[00:11:50]  Die war nämlich, war die Leiche überhaupt so sensationell, wie die Agatha Christie sich das vorgenommen hat und im Vorwort auch deklariert hat.

[00:12:01]  Ich lese mal die Stelle vor, wo die Leiche gefunden wird.

[00:12:06]  "Doch auf dem Bärenfell vor dem Kaminen lag etwas Neues, Grelles,

[00:12:11]  Melodramatisches.

[00:12:13]  Ein knallig aufgemachtes, junges Mädchen.

[00:12:17]  Mit unnatürlich blondem, in kunstvollen Locken und Kringeln hochgetürmtem Haar.

[00:12:23]  Der schlanke Körper umschloss ein rückenfreies Abendkleid aus weißen, paillettenbesetztem Satin.

[00:12:30]  Das Gesicht war stark geschminkt.

[00:12:33]  Der Puder stach grotesk gegen die blauen Schwellungen ab.

[00:12:37]  Die Wimperntusche lag dick auf den verzerrten Wangen.

[00:12:40]  Das Scharlachrot der Lippen glich einer klaffenden Wunde.

[00:12:45]  Die Fingernägel waren blutrot lackiert.

[00:12:48]  Ebenso die Zehnnägel in den billigen silbernen Riemchenschuhen.

[00:12:53]  Eine vulgäre, aufgedonnerte Erscheinung höchst umpassend inmitten der soliden, altmodischen Gemütlichkeit von Colonel Bantrys Bibliothek."

[00:13:05]  Ja, also ich weiß jetzt nicht, wie du diese Beschreibung gefunden hast.

[00:13:11]  Aber die Art, wie Sie da über die Leiche sprechen, ist schon, ich sag's mal frei heraus, echt bedenklich.

[00:13:22]  Pia: Ja ... es war auch das -  Also, weil zuerst wird ja die Leiche nicht beschrieben.

[00:13:26]  Es ist ja so, dass es Dienstmädchen dann raufrennt, alle informiert.

[00:13:31]  Und die Mrs. Bantry dann im Grunde dann zur Miss Marple sagt, "ja, du wirst es dann schon sehen, warum sie so komisch ist oder warum sie so besonders ist.

[00:13:39]  diese Leiche und dann siehst du das" und das ist die Beschreibung. Und ich habe mir

[00:13:42]  ganz was anderes erwartet, was jetzt so sensationell an diese Leiche war.

[00:13:46]  Christina: Mindestens einmal ein Pantomime oder Clown oder irgendwas.

[00:13:49]  Pia: Kostüm oder sonst irgendwas.

[00:13:52]  Christina: Ein Dinosauros-Rex-Kostüm.

[00:13:54]  Pia: [lacht] So in der Richtung.

[00:13:56]  Christina: Aber im Grunde genommen, worauf es ja hinausläuft, ist, dass sie offensichtlich

[00:14:02]  für das Begreifen der dortigen Herrschaften obszön angezogen ist.

[00:14:08]  Zu sehr geschminkt, die Haare unnatürlich und offensichtlich so ein bisschen impliziert

[00:14:17]  auch zu wenig an.

[00:14:19]  Habe ich so ein bisschen mit rausgelesen, so mit dem Kleid und so, "rückenfreies Kleid".

[00:14:25]  Ja, also das geht ja dann irgendwie ... so sehr die Geschichte angenehm

[00:14:34]  zu lesen war, und viele Elemente so einen klassischen Kriminalroman widerspiegeln und man

[00:14:39]  das trotz dieser Elemente eigentlich ganz gut lesen kann, war ich da echt nicht begeistert

[00:14:45]  davon, wie sich das als Thema dann durchgezogen hat. Ich muss sagen, wo ich das gelesen habe,

[00:14:52]  habe ich mir gedacht, okay, vielleicht wird es dann noch einmal differenzierter dargestellt,

[00:14:58]  aber es wurde immer schlimmer.

[00:15:00]  Pia: Ja, ich habe auch gedacht, sie nimmt das jetzt her und dröselt es dann vielleicht nochmal

[00:15:06]  auf und zeigt eigentlich, okay, die Frau ist aber nicht so und das ist nicht so schlimm

[00:15:12]  und das ist gar nicht und das ist als lauter Vorurteil in diese Richtung.

[00:15:15]  Christina: Genau. Pia: Das hab ich mir erwartet, dass das jetzt kommt.

[00:15:17]  Christina: Als moderne Leser haben wir geglaubt, dass die Detektivfigur für uns diese erwartbare Arbeit

[00:15:22]  leistet, zu sagen, Slutshaming ist nicht okay.

[00:15:25]  Pia: Ja!

[00:15:26]  Christina: [lacht] Aber das ist nicht passiert.

[00:15:27]  Pia: Das ist das Gegenteil passiert, vor allem auch, weil am Anfang waren sie ja wirklich

[00:15:32]  sehr lange, muss man sagen, sind es ja nur die Polizisten und die Bantrys, die so drüber

[00:15:36]  reden, aber dann kommt eben irgendwann die Miss Marple daher und macht genau gleich weiter. [lacht]

[00:15:40]  Also sogar die eine Person, die an diese junge Frau geglaubt hat und sie als etwas Positives

[00:15:47]  gesehen hat, ändert am Ende in Grunde ihre Meinung.

[00:15:51]  Und das war dann irgendwie ein bisschen deprimierend, muss man sagen. [lacht]

[00:15:54]  Christina: Und man kann auch sagen, also so viel sei verraten, es passiert dann noch ein zweiter Mord.

[00:16:00]  Wenn jemand das jetzt nicht hören will, muss er mal für zwei Minuten vorspulen, an einem

[00:16:07]  jungen Mädchen.

[00:16:08]  Ich weiß gar nicht, wie alt die ist.

[00:16:09]  Mein Eindruck war so zwischen 14 und 16.

[00:16:12]  Pia: Schulmädchen auf jeden Fall.

[00:16:13]  Christina: Ja, genau.

[00:16:14]  Und der Polizist sagt dann und ganz klar, na ja, also er muss dann die Nachrichten,

[00:16:20]  die Eltern überbringen, auch wie sie gefunden worden ist.

[00:16:22]  Das ist schon sehr bestürzend und ich fand auch sehr explizit für einen Roman dieser

[00:16:30]  Zeit.

[00:16:31]  Wir reden da ja von den 40ern, oder?

[00:16:33]  Aber er sagt dann, muss das überbringen und danach denkt er sich so, na ja, dieses Mädchen,

[00:16:40]  das er gerade auf dem Foto sieht, das hat ja überhaupt nichts damit zu tun gehabt und

[00:16:43]  ist unschuldig.

[00:16:44]  Aber die Leiche, die in der Bibliothek gefunden worden ist, die hat es ja eigentlich nur

[00:16:51]  sie selber zu verschulden oder sich selber auch sich gezogen und da hab ich-.

[00:16:55]  Pia: Die hat es unter Anführungszeichen "verdient", weil die hat das ja herausgefordert.

[00:16:59]  Christina: Ja.

[00:17:00]  Und zwar, es ist ganz viel, das habe ich total krass gefunden.

[00:17:03]  Pia: Also der Satz hat mich so rausgenommen, weil ich war so, es war die ganze Zeit eben,

[00:17:08]  wie du sagst, das waren die ganze Zeit Kommentare von allen möglichen Figuren, das hat sich

[00:17:12]  durchgezogen.

[00:17:13]  Aber ich habe mir immer gedacht, ja okay, andere Zeit muss ich ein bisschen ignorieren, ist

[00:17:17]  halt so.

[00:17:18]  Und als der Satz gekommen ist war ich so, das kann jetzt nicht ihr Ernst sein, das ist ein Polizist.

[00:17:23]  Christina: Und das war, also da war halt dann klar, dass sich diese ganze Geschichte um das herumkonstruiert.

[00:17:28]  Im Endeffekt ist, also ist das keine Auflösung, sondern das ist die Begründung.

[00:17:34]  Und wir müssen da einfach ein bisschen vage bleiben, damit wir das Ende nicht verraten.

[00:17:39]  Aber das ist was, also mir hat das nicht gefallen.

[00:17:43]  Und da war ich auch enttäuscht von der Geschichte.

[00:17:46]  Und ich habe eben, also ich habe immer so gesucht und es gibt schon immer wieder so Gegenstöße.

[00:17:50]  Pia: Bei sehr vielen bleibt man bei den Vorurteilen.

[00:17:55]  Und das ist nicht nur auf die Frauen, bleibt nicht auf den Frauen hängen, sondern

[00:18:01]  auch dieser Unterschied zwischen Oberschicht und Unterschicht.

[00:18:04]  Weil denen das passiert im Grunde, also in der Bibliothek von denen, das sind die Bantrys

[00:18:09]  und das ist halt, die haben halt dieses Herrenhaus, das heißt, die haben auch Geld, die sind

[00:18:14]  vom Teil vom Gentry, also vom niedrigen Adel.

[00:18:16]  Und die anderen Figuren, die halt dann teilweise in der arbeitenden Klasse zu finden sind,

[00:18:24]  wie zum Beispiel der Tänzer oder der Filmemacher, die werden dann, auf die wird herabgesehen.

[00:18:31]  Also diese Vorurteile begrenzen sich nicht nur auf Frauen, sondern auch auf andere Schichten,

[00:18:37]  sagen wir es mal so.

[00:18:38]  Und das hat mich auch zum Beispiel dann extrem gestört, wo dann immer mehr zusammengekommen

[00:18:41]  ist gefühlt.

[00:18:42]  Christina: Und der ganze Plot und die ganze Auflösung, wie gesagt, strukturiert sich um das Miss

[00:18:51]  Marple dann im Endeffekt zwei und zwei zusammenzählt und in der Lage ist zu sagen, okay, aber diese

[00:18:57]  Ruby Keen, die der Tänzerin in diesem Hotel ist, das ist die Ermordete, die Leiche, die

[00:19:02]  gefunden wurde in der Bibliothek, die weiß eben nicht, wie man sich anzieht.

[00:19:07]  Pia: Und "sie ist ja von der Unterschicht und die wissen, die sind noch nie erzogen worden" im

[00:19:12]  Grunde.

[00:19:13]  Christina: Die Schlussfolgerungen, die sie halt anhand des Falls zieht, die sind eigentlich auch im Endeffekt

[00:19:17]  irrelevant, aber die hängen sich alle auf an dieser Idee von Ober- und Unterschicht.

[00:19:23]  Und das meinen wir mit "der Roman ist darum herum konstruiert".

[00:19:27]  Und da wird es natürlich, so easygoing dieses Leserlebnis ist,

[00:19:32]  - und man kann es auch super überlesen, ist es nicht -

[00:19:38]  aber da wird es dann schon, wenn man eigentlich jetzt, wo man genauer hinschaut, muss ich

[00:19:41]  sagen, ist ja eigentlich voll zach.

[00:19:43]  Pia: Wird man frustriert.

[00:19:44]  Christina: Würde ich sagen, würde ich doch nicht empfehlen. [Pia lacht]

[00:19:46]  Ja, ganz ehrlich.

[00:19:47]  Pia: Es ist immer noch ein Krimi, wie du gesagt hast, leicht zu lesen.

[00:19:50]  Die Struktur hilft extrem.

[00:19:52] Christina: Ja, man liest es durch.

[00:19:53]  Pia: Man kennt es.

[00:19:54]  Ah ja, wir haben einen "Closet Mystery", also es ist in dieser Bibliothek, die geschlossen

[00:19:59]  ist.

[00:20:00]  Wir wissen nicht, wie das passiert ist.

[00:20:01]  Wir haben unser "Cast of Characters" mit den verschiedensten potentiellen Motiven.

[00:20:07]  Und jetzt können wir losraten.

[00:20:09]  Und dann haben wir die Miss Marple, die ganz schnell und ganz klug schlussfolgert und

[00:20:13]  die es am Ende im Grunde löst.

[00:20:14]  Christina: Und das ist nicht zu blutig.

[00:20:16]  Es ist auch, das muss man ihm zu gut erhalten, also der Humor, der da mitschwingt, ist schon

[00:20:24]  auch gut.

[00:20:25]  Und da gibt es auch schon die eine oder andere Spitze gegenüber diesen Dorfbewohnern auch,

[00:20:31]  Miss Marple wohnt ja in dem Dorf St. Mary Mead.

[00:20:35]  Und sie ist deswegen so gut, weil sie als alte Jungfer so sehr ins Dorfleben integriert

[00:20:42]  ist.

[00:20:43]  Und das habe ich dann so überraschend neu-feministisch gefunden, jemandem so viel Macht

[00:20:49]  zu geben, für etwas, das so eine weiblich konnotierte Stellung ist.

[00:20:55]  Und sie ist genau für diese weiblich konnotierte Stellung so begabt, indem wan sie macht

[00:21:00]  und hat den Respekt dieser ganzen Polizei.

[00:21:03]  Und das habe ich dann schon wieder gut gefunden.

[00:21:04]  Und das ist auch charmant.

[00:21:06]  Pia: Also dieses Dorf und die Figuren, die sind ja auch lustig ein bisschen. Man kann sich ein bisschen drüber lustig machen. [reden übereinander]

[00:21:09] Christina: Absolut ein Buch seiner Zeit.

[00:21:12]  Da ist halt, dass da dies man dann halt in den Sachen so mit dem, wie sie da über diese

[00:21:18]  Ruby Keen sprechen, die Tote in der Bibliothek, dass es halt und wie sich der Fall aufzieht,

[00:21:24]  da kann man halt ein bisschen Anstoß finden.

[00:21:27]  Eine spitze Charakterisierung, die ich dann aber schon wieder sehr gut gefunden habe, ist

[00:21:32]  eine Nachbarin von Miss Marpel und die wird beschrieben: "Sie war eine Frau, die

[00:21:38]  sich unermüdlich um die Armen kümmerte, so sehr diese sich ihre Fürsorge auch zu entziehen

[00:21:43]  versuchten."

[00:21:44]  Pia: Ja, das habe ich auch gelesen, da habe ich mir gedacht,

[00:21:46] dass ist unterhaltsam. [beide lachen]

[00:21:47]  Christina: Und das ist halt auch wieder so, wo es schon auch gewisse Reflektiertheit für mich zu

[00:21:53]  erkennen war, was mich umso mehr gewundert hat, in welche Richtung es dann gegangen ist.

[00:21:57]  Aber mit Marpel selber kann also so viel sie vorkam, was ehrlich gesagt nicht so

[00:22:01]  viel war, war halt eine sympathische Figur, die halt jeder so, sie hat halt keinen Watson ...

[00:22:07] Pia: Hast du sie sympathisch gefunden?

[00:22:08]  Ich habe sie nicht so sympathisch gefunden.

[00:22:10]  Christina: Naja, sicher ... [Pia lacht] Sie hat halt, sie hat halt keinen Watson, sondern ihr Watson sind

[00:22:16]  quasi alle, also sowohl die Mrs. Bantry als auch diese ganzen Inspektoren, außer der

[00:22:22]  Slack, der Inspector Slack hat sie nicht toll gefunden, aber alle anderen singen da ihre

[00:22:28]  Lobeshymnen.

[00:22:29]  Und das ist halt, das ist eigentlich am meisten, was man von ihr mitkriegt.

[00:22:33]  Und wenn sie dann halt da ist, da wo sie das Kind verhört hat und dann hab ich mir gedacht

[00:22:38] ja schon zach eigentlich.

[00:22:39]  Pia: Aber das ist eher wegen ihrer Auffassungsgabe.

[00:22:42]  Ich finde, da sieht man eher, wie schnell sie schlussfolgern kann.

[00:22:45]  Aber ich finde sie als Figur war jetzt nicht so charmant.

[00:22:47]  Also, mit ihren Aussagen und so.

[00:22:49]  Christina: Sie ist nicht charmant, aber ich habe sie sympathisch gefunden, weil sie so - Pia: Weil sie so schnell und [unverständlich] war.

[00:22:55]  Ja, das schon.

[00:22:56]  Aber ich habe sie jetzt nicht so, ich habe die Miss Marple so eher nicht in Erinnerung.

[00:23:01]  Aber das ist wahrscheinlich auch, weil ich halt die Rutherford, nett und lustig in

[00:23:06]  Erinnerung, weil ich halt die Rutherford kenne, von den Filmen.

[00:23:09]  Das ist irgendwie für mich diese klassische Miss Marple Figur.

[00:23:13]  Aber anscheinend ist es auch so, habe ich dann gelesen, dass in den Büchern, in den späteren

[00:23:17]  Büchern, sie um einiges sympathischer wird und netter.

[00:23:20]  Christina: Aber das gefällt mir ja, dass sie nicht so dieses Großmütterliche hat.

[00:23:27]  Das hat sie nicht.

[00:23:28]  Und das hat mir halt irgendwie schon gefallen, weil sie irgendwie, sie sagt halt auch, wie

[00:23:33]  es ist.

[00:23:34]  Also sie, zum Beispiel, wenn die Mrs. Bantry sich dann irgendwelche Illusionen begibt und

[00:23:39]  sagt, wie toll sie das findet, dann durchschaut die Miss Marple das als eine ihrer Bewältigungsstrategie.

[00:23:44]  Und wenn das zu weit geht, dann sagt sie ihr das auch und so.

[00:23:48]  Und deswegen habe ich sie sympathisch gefunden, weil sie sagt, wie es ist, oder?

[00:23:52]  Alles in allem, weiß ich nicht ...

[00:23:54]  Mein Fazit unterhaltsames Buch, das hat man schnell durchgelesen, kann man gut ...

[00:23:58]  ... an den Strand wird man es jetzt im Moment nicht mehr mitnehmen, aber kann man gut jetzt

[00:24:04]  einmal vielleicht, wenn man länger irgendwo hinfahren muss im Zug oder so, kann man das

[00:24:09]  sehr gut lesen. Wie fandest du's denn?

[00:24:10]  Pia: Es ist auch schnell gelesen.

[00:24:12]  Und wie du gesagt hast, für mich, ich habe das in drei Stunden oder so was gelesen gehabt.

[00:24:16]  Und das geht wirklich ...

[00:24:17]  Christina: Was?! [lacht]

[00:24:18]  Ja, es ist recht flott gegangen, finde ich.

[00:24:20]  Christina: Was?

[00:24:21]  Das ist nicht ...

[00:24:22]  Du hast es nicht in drei Stunden gelesen gehabt, ich hab mindestens sechs Stunden gebraucht.

[00:24:24]  Pia: Doch, ich glaube, ich glaube, es waren drei Stunden.

[00:24:26]  Ich glaube schon.

[00:24:27]  Also ich habe das in einem Tag gelesen und das ist echt schnell gegangen.

[00:24:30] Christina: Wie schnell liest du denn? [beide lachen]

[00:24:31]  Pia: Aber ich finde, da hat eben diese Struktur geholfen.

[00:24:35]  Das muss man sagen.

[00:24:36]  Was mir eben nicht so gefallen hat, ist dieses Runterschauen auf andere Personen.

[00:24:40] Christina: Würdest du's empfehlen?

[00:24:43]  Pia: Also für Leute, die Krimis mögen und die klassische Krimis mögen, auf jeden Fall.

[00:24:47]  Christina: Ja, auf jeden Fall eins von diesen typischen Büchern, das man auf jeden Fall gelesen haben

[00:24:53]  kann.

[00:24:54]  Pia: Genau.

[00:24:55]  Christina: Ja.

[00:24:56]  Pia, und jetzt ist es Zeit, die was zu verkünden?

[00:25:01]  Pia: Ja, und jetzt müssen wir verkünden, was wir das nächste Mal lesen werden.

[00:25:05]  Christina: Wir dürfen es verkünden.

[00:25:07]  Pia: Wir dürfen verkünden, was wir das nächste Mal lesen werden.

[00:25:10]  Diesmal stellt uns niemand eine Aufgabe, sondern wir stellen uns selber die Challenge.

[00:25:15]  Ja, was lesen wir denn?

[00:25:18]  Christina?

[00:25:19]  Christina: Ja, und zwar haben wir uns für eine klassische Gruselgeschichte, vom, das würden wahrscheinlich

[00:25:26]  viele sagen, Begründer des Horrors entschieden, nämlich H.P. Lovecrafts "Das Grauen von Dunwich".

[00:25:32]  Und dabei haben wir das besonders große Vergnügen fürs Lesen die von François Baranger illustrierte

[00:25:39]  Ausgabe zu verwenden.

[00:25:41]  Also das ist wirklich ein Bilderbuch, für uns beide, der Einstieg in Lovecraft und deswegen

[00:25:48]  sind wir da besonders gespannt darauf, wie das mitsamt dieser schönen Illustrationen

[00:25:54]  auf uns wirken wird.

[00:25:56]  Ihr seid natürlich wie immer herzlich eingeladen, mit uns zusammen zu lesen.

[00:26:02]  Wir haben zwei Wochen Zeit für den letzten Teil unserer Lesechallenge und den letzten

[00:26:08]  Part unsere Herbstlesefestes.

[00:26:10]  Damit ihr wisst, was genau da auf euch zukommt:

[00:26:14]  Das Buch ist 1928 erschienen.

[00:26:16]  Das ist Teil der Erzählungen, die heute als - Pia hilf mir -

[00:26:21] Pia: Cthulhu -

[00:26:22]  Christina: Mythos bekannt sind. [beide lachen]

[00:26:24]  So, nun schreibt uns gerne, wie ihr die Tote in der Bibliothek fandet.

[00:26:29]  Das könnt ihr natürlich wie immer unter post.stadtbibliothek@innsbruck.gv.at oder auf Instagram (stadtbibliothek.innsbruck) oder Facebook.

[00:26:37]  Für heute verabschieden und wünschen schönes Lesen.

[00:26:43]  Christina: Tschüss. [Outro-Musik]

[00:26:44]  [Pia spricht] S'Vorwort ist eine Produktion der Stadtbibliothek Innsbruck und Teil der

[00:27:14]  Stadtsstimmen, dem Audiokanal der Stadt Innsbruck. [Pia spricht]

Transkription

[00:00:00]  [moduliert] Vorsicht, der Genuss dieses Podcasts kann zu vermehrten Bibliotheksbesuchen führen. [moduliert]

[00:00:06]  [Intro-Musik] Jaci: Hallo und herzlich willkommen zum Vorwort, dem Podcast der Stadtbibliothek Innsbruck.

[00:00:26]  Neben mir sitzt meine liebe Kollegin, die Shelly und ich bin die Jaci.

[00:00:31]  Und wir machen heute die dritte Folge im Zeichen des Herbstlesefestes bei uns in der Stadtbibliothek.

[00:00:40]  Letztes Mal haben unsere Kolleginnen die Christina und die Pia über das Buch "Pavillon 44" und Thomas Sautner geredet.

[00:00:48]  Shelly: Und zwar das Gewinnspiel, wie du gerade schon richtig gesagt hast, haben ja die Christina und die Pia in der letzten Folge das Buch von Thomas Sautner gelesen.

[00:00:59]  Und das haben wir ja auch verlost. Und bis heute war es möglich, dass man da einsendet.

[00:01:06]  Und danke für die zahlreichen Einsendungen. Wir werden jetzt im Laufe der nächsten Tage die Gewinnerin oder den Gewinner benachrichtigen.

[00:01:14]  Jaci: Genau. Und jetzt spannen wir euch nicht mehr länger auf die Folter.

[00:01:20]  Und ihr wisst es eh schon, wer die letzte Folge gehört hat, weiß, dass es heute um Shirley Jacksons "Die Lotterie" geht.

[00:01:28]  Da haben wir also das ganz große Los gezogen.

[00:01:32] Shelly: Badumm-tss.

[00:01:33]  Danke, danke. Die ganze Woche jetzt an diesen Witz gefeilt.

[00:01:37]  Shelly. So lustig.

[00:01:38]  Überhaupt nicht einstudiert oder so. [Jaci lacht]

[00:01:40]  Aber noch ein kurzer Fun Fact, den mir schon bereits vor der Lektüre aufgefallen ist, dass Shirley Jackson, also der Name der Autorin, quasi als "Shelly" und "Jackie" (Red.: Jaci) funktionieren könnte.

[00:01:55]  Also aus Shirley kann man "Shelly" machen und wenn ich mir dann das y ausleihe, kann man aus Jackson "Jackie" machen.

[00:02:01]  Und ich glaube, das ist ein Easter Egg, was die Christina und die Pia beabsichtigt haben.

[00:02:05]  Shelly: Bestimmt. Jaci: Genau. Und meine Verschwörungstheorien fallen jetzt an zu rollen.

[00:02:10]  Shelly: Ich bin absolut begeistert von deiner Kreativität.

[00:02:13]  Jaci: Danke, danke.

[00:02:14]  So, damit endet meine kreative Begrüßung, für die ich alle meine Gerhinzellen aufgewendet habe.

[00:02:20]  Und genau, Shelly, erzähl uns doch mal was über Shirley Jackson.

[00:02:25]  Shelly: Sehr gern.

[00:02:26]  Also, wie schon gesagt, die Autorin in der Kurzgeschichte heißt Shirley Jackson.

[00:02:30]  Im vollen Namen heißt sie Shirley Hardie Jackson.

[00:02:34]  Sie wurde geboren Anfang des 20. Jahrhunderts, eigentlich gar nicht.

[00:02:39]  Eigentlich 1916, das ist gar nicht mal so weit Anfang.

[00:02:42]  Aber gut, 1916. Gestorben ist sie schon 1965.

[00:02:47]  Und sie war verheiratet mit einem Literaturkritiker und Dozenten.

[00:02:53]  Der hieß Stanley Edgar Hyman.

[00:02:55]  Und der hat sie auch sehr unterstützt in ihrem eigenen Studium, weil sie hat trotz Ehe und vier Kindern dann auch noch studiert.

[00:03:03]  Und hat 50 Prozent ihres Lebens, das ist ein Zitat von ihr, für die Schreiben aufgewendet.

[00:03:09]  Aber für sie war immer klar, die Mutterrolle und die Rolle als Ehefrau steht an erster Stelle.

[00:03:14]  Und die Schreiben hat sie aber hinten angestellt.

[00:03:16]  Genau, für das hat sie aber ziemlich viel und ziemlich gut geschrieben.

[00:03:21]  Zum Inhalt von dem, was wir gelesen haben, "Die Lotterie".

[00:03:25]  Wie gesagt, eine Kurzgeschichte, die hat so um die 20 Seiten,

[00:03:28]  man ist gleich mal durch mit dem Ding.

[00:03:31]  Jaci: Genau, also ich hab das [räuspert sich] gestern erst gelesen.

[00:03:36]  Und war eben in einer halben Stunde, mit tiefer Lektüre in einer halben Stunde fertig.

[00:03:43]  Und ganz kurz eben, was passiert auf diesen 20 Seiten?

[00:03:48]  Shelly: Darf ich noch ganz kurz -

[00:03:50]  Jaci: Bitte. Shelly: Dich in die Pfanne hauen.

[00:03:52]  Jaci: Oh Gott.

[00:03:53]  Shelly: Ich hätte das Buch auch gerne gelesen.

[00:03:56]  Ich habe es mir nur leider vorlesen lassen als Audiobook.

[00:04:00]  Weil die gute Frau Jaci hat es mit in den Urlaub genommen.

[00:04:04]  Und wir haben nur ein Exemplar in der Bib gehabt. [Shelly lacht]

[00:04:06]  Jaci: Nein, nein, nein, nein, nein.

[00:04:08] Die Christina

[00:04:09]  hat zu mir gesagt, wir haben es auf Deutsch und auf Englisch.

[00:04:11]  Und ich hab es auf Deutsch genommen.

[00:04:13]  Und anscheinend ist es Englische aber nicht da, irgendwie. [beide lachen]

[00:04:17]  Ich nehme jegliche Schuldzuweisung von mir.

[00:04:21]  Ich kann nichts dafür.

[00:04:23]  Shelly: Okay.

[00:04:24]  Jaci: Ja, das tut mir trotzdem leid. Shelly [lacht]: Danke.

[00:04:26]  Jaci: Okay, zurück zum Inhalt.

[00:04:29]  Es beginnt alles in einer recht harmonischen, friedlichen, gar idyllischen Stimmung auf einem Dorfplatz.

[00:04:37]  In einem Dorf, zu dem wir keine näheren Informationen bekommen.

[00:04:42]  Wir wissen auch nicht, wo es spielt, also in welchem Land.

[00:04:45]  Es gibt eigentlich keine Zuschreibungen. Durch Recherche

[00:04:48]  habe ich herausgefunden, dass es sich um ein amerikanisches Dorf handelt.

[00:04:53]  Und eben alle sind sehr fröhlich eigentlich, bis eine schwarze Kiste auf diesen Dorfplatz gebracht wird.

[00:05:02]  Und man bekommt schon mit durch die Figuren, dass es, dass jetzt ein Ereignis kommt.

[00:05:08]  Und dass alle eben sich versammelt haben für dieses Ereignis.

[00:05:12]  Und dann wurde diese schwarze Kiste auf den Dorfplatz gebracht und alle werden auf einmal nervös.

[00:05:18]  Das würde diese Kiste eben für Unheil sorgen oder eben ein schlechtes Omen sozusagen sein.

[00:05:25]  Die Männer und Frauen stehen zusammen auf diesem Dorfplatz mit all ihren Kindern.

[00:05:32]  Und es gibt dann einen Mann, der diese, diese Zeremonie sozusagen leitet.

[00:05:37]  Das ist der Mr. Summers.

[00:05:40]  Genau. Und dieser Mr. Summers bringt ihnen diese Kiste und beginnt diese Zeremonie.

[00:05:46]  Wobei immer wieder von der Erzählstimme angemerkt wird, dass die Zeremonie sehr reduziert ist,

[00:05:53]  dass niemand eigentlich mehr genau weiß, was für Sätze man das sagt oder was für Lieder da gesungen werden.

[00:05:59]  Also es ist sehr reduziert worden.

[00:06:01]  Und es geht eigentlich nur noch um diese Kiste, die bei genauerem Hinsehen auch sehr schäbig ist.

[00:06:06]  Und sozusagen das ganze Ritual ein bisschen unter den Scheffel stellt, finde ich, meiner Meinung nach.

[00:06:12]  Und es werden dann eben Papierstreifen erwähnt, die in dieser Kiste sind, die dann vermengt werden.

[00:06:19]  Und dann müssen die Männer oder die älteren Söhne in der Familie eines dieser Zettelchen ziehen.

[00:06:25]  Die werden dann alle nacheinander aufgerufen, gehen hin, ziehen an Zettelchen und dürfen es aber nicht anschauen.

[00:06:31]  Erst nachdem alle gezogen haben, dürfen sie den Zettel dann anschauen.

[00:06:35]  Und dann kommt eben heraus, dass der Mr. Hutchinson das schlechte Los gezogen hat.

[00:06:42]  Shelly: Das weiß man nur nicht, dass das schlecht ist.

[00:06:44]  Wir haben keine Ahnung, was es eigentlich geht bei dieser Verlosung.

[00:06:46]  Jaci: Genau, man weiß es nicht.

[00:06:48]  Aber er hat eben einen Los, wo dann alle sofort eben alle anderen erleichtert sind.

[00:06:54]  Und seine Frau wird dann sofort panisch und sagt, dass das nicht fair abgelaufen ist,

[00:07:00]  dass ihr Mann nicht genug Zeit gehabt hat, für das Los, das auszuwählen.

[00:07:04]  Und der quasi von diesen Mr. Summers gedrängt worden ist.

[00:07:07]  Der Mr. Hutchinson mahnt seine Frau, leise zu sein und sagt, "Jetzt tu nicht so, das wird schon alles werden", sozusagen.

[00:07:14]  Und dann werden auch die drei Kinder von dem Ehepaar aus der Menge geholt, sozusagen.

[00:07:20]  Und alle fünf müssen dann nochmal ein Los ziehen.

[00:07:23]  Also alle Kinder, eines der Kinder ist so klein, dass ein anderer Mitbürger für das Kind ziehen muss.

[00:07:30]  Und am Ende hat dann eben die Tessi Hutchinson, also die Dame des Herrn, der gezogen hat, das schlechte Los.

[00:07:38]  Wird extrem panisch und alle anderen Mitbürger*innen aus dem Dorf holen sich Steine,

[00:07:47]  die von den Kindern am Anfang der Erzählung gesammelt werden, holen sich Steine und gehen auf diese Frau los.

[00:07:55]  So endet die Geschichte, dass eben alle sich auf sie stürzen quasi.

[00:07:59]  Und man leitet sich dann eben her, dass die Dame jetzt gesteinigt wird.

[00:08:03]  Shelly:Genau. Es wird nicht direkt ausgesprochen.

[00:08:07]  Oder schon? Also ihr habt es mal mit dem Englischen angehört.

[00:08:10]  Jaci: Ja, also ihr habt die deutsche Fassung gelesen.

[00:08:12]  Und da ist dann der letzte Satz, Moment.

[00:08:16]  "Es ist nicht fair, es ist nicht richtig, schrie Mrs. Hutchinson und dann stürzen sie sich auf sie."

[00:08:23]  Also so ist es, so endet die Geschichte und eben davor holen sich alle Steine, davon leite ich mir her, dass sie gesteinigt wird.

[00:08:31]  Shelly: Ja, genau. Das ist eben die kurze Zusammenfassung des Inhalts.

[00:08:37]  Und jetzt werde ich euch nur erzählen etwas über die Entstehungsgeschichte.

[00:08:42]  Und zwar ist diese Kurzgeschichte im Jahre 1948 das erste Mal erschienen.

[00:08:49]  Und zwar in diesem Kultmagazin "The New Yorker" und dann später erst in einem Sammelband,

[00:08:56]  der im Original heißt "The Lottery - Adventures of the Demon Lover".

[00:09:02]  Und das wurde dann 1989 erstmals ins Deutsche übersetzt.

[00:09:07]  Und da heißt es dann "Die Teufelsbraut - 25 Dämonische Geschichten". [beide lachen]

[00:09:12]  Ich liebe deutsche Übersetzungen, echt.

[00:09:17]  Jaci: Und ganz, darf ich noch kurz einbringen: bei Veröffentlichung der Geschichte hat die auch ganz viel negatives Feedback bekommen.

[00:09:26]  Also das ist nicht gut angenommen worden von den Leuten.

[00:09:29]  Shelly:Sie waren überhaupt nicht begeistert, es hat über 300 Leserbriefe gegeben, die direkt an die Shirley Jackson gingen.

[00:09:36]  Und nur 13 davon waren in einem freundlichen Ton gehalten. [Jaci lacht]

[00:09:41]  Ja, und meistens ist es in diesen Leserbriefen darum gegangen, dass die Leute total, also dass die Leute total verwirrt waren.

[00:09:49]  Alle wollten die Bedeutung der Geschichte wissen.

[00:09:52]  Sie waren sehr fahrig und sehr ungehalten in ihren Briefen.

[00:09:57]  Und es ist sogar so weit gegangen, dass die Union auf South Africa, also die Union, die Südafrikanische Union, diese Geschichte sogar verboten hat.

[00:10:07]  Also da hat es starke Zensuren gegeben bei dieser Geschichte.

[00:10:11]  Und die Shirley Jackson ist mit dieser Geschichte zu einer wichtigen Vertreterin der Slipstream Literature geworden.

[00:10:21]  Es ist eine literarische Strömung und Werke dieses Slipstreams befinden sich im Grenzbereich von realistischer Mainstream-Literatur und Science Fiction bzw. Fantasy-Literatur.

[00:10:37] Das hab ich gegoogelt.

[00:10:39]  Jaci: Super Recherche, Shelly. Danke vielmals. [beide lachen]

[00:10:42]  Sehr interessant, eben wir haben die Geschichte beide gelesen oder gehört. Was war dein Eindruck bei der Lektüre?

[00:10:52]  Also es fangt ja irgendwie so unschuldig an, fast idyllisch oder ... Jaci: Ja so märchenhaft irgendwie.

[00:10:58]  Shelly: Ja, voll.

[00:10:59]  Und Shirley Jacksons Stil ist ja ganz interessant eigentlich. Sie beschreibt ja so eigentlich offensichtliche oder scheinbare Abnormalitäten, als was ganz Normales.

[00:11:11]  Und deshalb kommt man erst im Laufe der Geschichte dann drauf, dass es eigentlich ziemlich "eerie" und düster wird.

[00:11:19]  Jaci: Genau, also mich hat es auch sehr überrascht, diese Wendung der Geschichte.

[00:11:25]  Ich hab mir zwar gedacht, dass irgendwas passieren muss, weil die Christina sehr gespannt war auf unsere Reaktion für die Challenge eben.

[00:11:36]  Und habt mir die ganze Zeit gedacht, was würde passieren, aber dadurch, das Lotterie mit sehr positiven Wörtern irgendwie konnotiert ist in meinem Kopf.

[00:11:45]  Also es ist eher so Gewinn und irgendwas Gutes passiert, wenn du in einer Lotterie gewinnst.

[00:11:50]  Dadurch war ich dann eben sehr gespannt, was passieren würde. Ich habe auf jeden Fall keine Steinigung erwartet, muss ich sagen.

[00:11:57]  Vor allem weil einfach die Atmosphäre sehr modern war oder zumindest moderner als ich es mir im Zeitalter der Steinigung, vorstelle.

[00:12:08]  Also es könnte jetzt, wann ist es geschrieben worden, 1948?

[00:12:13]  Es könnte in der Zeit spielen, es könnte aber auch so gut jetzt gerade spielen, also es ist eine eher zeitlose Erzählung.

[00:12:20]  Aber dennoch eben sehr verstörend, weil es eben immer aktuell sein könnte, und es Menschen geben würde, die das auch jetzt noch machen würden.

[00:12:30]  Shelly:Witzig, dass du das sagst, weil in diesen Leserbriefen, die sie bekommen hat, haben auch ganz viele Menschen gefragt, wo jetzt dieser Ort ist [Jaci lacht] und ob das ein Erfahrungsbericht ist und wo das nun so praktiziert wird.

[00:12:42]  Also das haben sie ihr echt abgekauft.

[00:12:44]  Jaci: Ja, also es ist eben sehr realistisch und ich kann mir eben auch vorstellen, dass es früher Sachen so gehandhabt wurden, auch.

[00:12:53]  Shelly:Ja, aber vielleicht als Strafe, aber doch nicht als Lotterie.

[00:12:56]  Jaci: Eben, eben.

[00:12:57]  Und das ist eben das, was mich beim nächsten der Geschichte so verwirrt hat.

[00:13:01]  Diese Zeremonie, was alle mit so viel Andacht durchführen, obwohl niemand mehr den Ursprung zu kennen scheint oder wirklich die Wahrheit hinter der Zeremonie oder wie die Tradition wirklich, oder das Ritual wirklich ablaufen sollte, also was gesagt werden sollte, das weiß irgendwie keiner mehr.

[00:13:20]  Und das ist dann für mich dieses Traditionen durchführen, obwohl man es eben nicht weiß, was es ist, wie wenn man unaufgeklärt in die Kirche geht und nur die Gebete nachsagt, aber nicht weiß, was man da eigentlich sagt.

[00:13:32]  Also das ist halt so.

[00:13:33]  Man muss Sachen irgendwie wissen und hinterfragen, damit man sich auch so meinen kann.

[00:13:38]  Und ich meine, man erfährt in der Geschichte auch, dass andere Dörfer dieses Ritual nicht mehr durchführen.

[00:13:46]  Also die haben das abgeschafft und gerade die ältesten Leute in dem Dorf, in dem wir eben die Geschichte mitkriegen,

[00:13:53]  sind ja ganz entsetzt, dass es abgeschafft worden sind.

[00:13:56]  Und einer sagt dann so quasi, ja, wenn man das Ritual abschaffen kann,

[00:14:00]  kann man ja gleich wieder in Höhlen wohnen, weil dann sehen wir ja nicht besser als Barbaren,

[00:14:05]  obwohl das, was hier bei dem Ritual passiert, das Barbarische ist.

[00:14:09]  Shelly [schnaubt]: Ja, eigentlich schon. Aber das ist eben dieses hirnlose Traditionen-Festhalten.

[00:14:14]  Jaci: Genau, und ich hab dann eben, ich hab da recherchiert und eben versucht,

[00:14:18]  Interpretationen zu finden für diesen Text oder Analysen,

[00:14:21]  weil ich einfach selber nicht klargekommen bin, dass mir so wenig Informationen kriegen,

[00:14:27]  dass wir eben als Lesende nicht wissen, wieso gibt es die Tradition,

[00:14:32]  wieso möchten die Bürger das weiterführen, wieso hängt man an diesem barbarischen Ritual fest,

[00:14:40]  obwohl man es eben nicht machen muss, wie jetzt eben andere Dörfer haben das abgeschafft.

[00:14:45]  Shelly: Das wurmt sich voll, oder? Jaci: Und das ist mich wahnsinnig, ich finde es total hinrissig,

[00:14:52]  dass ich mir denke, ich mach bei so was mit und ich weiß selber nicht, wieso ich das mach,

[00:14:58]  aber ich steinige jetzt einfach einmal eine Frau, weil die Traditionen das so von mir verlangen.

[00:15:03]  Shelly: "Weil wir es immer schon so gemacht haben". Jaci: Eben! "Und das war halt immer schon so und man hinterfragt die Traditionen nicht",

[00:15:08]  aber in anderen Dörfer, wo sich die Jungen durchsetzen, da ist es eben abgeschafft worden,

[00:15:14]  weil die Jungen, die möchten immer Sachen verändern und so, das ist schlimm, [beide lachen] Shelly: Wie können sie nur.

[00:15:20]  Jaci: Auf jeden Fall habe ich dann eben bei meinen Recherchen eben auch herausgefunden,

[00:15:25]  dass da natürlich einfach ganz viele gesellschaftskritische Sachen aufgewiesen werden sollen.

[00:15:30]  Also Shirley Jackson hatte natürlich einen tieferen Sinn hinter dieser Geschichte, den sie ausdrücken wollte.

[00:15:36]  Und es geht ihr ja eben hauptsächlich darum zu zeigen, wozu die Menschen in ihrem Inneren fähig sind,

[00:15:43]  also welches Böse quasi in jedem Menschen lauert, verbunden eben mit der Macht von Tradition und Ritualen

[00:15:52]  und eben auch die Macht der Gruppe, also die Anonymität, die man in der Gruppe hat und dieser Gemeinschaftszwang.

[00:16:00]  Also dass ein ganzes Dorf zusammenkommt und es dann quasi egal ist, wer den ersten Stein wirft,

[00:16:08]  weil es sowieso alle werfen und dann "bist nicht du schuld", das ist so, genau.

[00:16:14]  Und das ist glaube ich auch das, was viele Leute verstört, weil es eben so realistisch ist

[00:16:19]  und es eben aufzeigt, wozu eine Gemeinschaft fähig ist.

[00:16:24]  Shelly:Ja, und was noch dazu kommt, ist das Element des Zufalls mit dieser Lotterie, mit den Losen.

[00:16:32]  Jaci: Genau, da habe ich auch gelesen eben, weil diese Mrs. Hutchinson,

[00:16:36]  ich weiß nicht, ob ich den Namen richtig ausspreche, aber so, haben wir ihn gelesen - Shelly: Hutchinson, hab ich auch so. - Jaci:Ok.

[00:16:41]  Die dementiert den Ausgang dieser Lotterie und sagt eben, es ist nicht fair abgelaufen,

[00:16:50]  sie sagt nicht, dass das Ritual blöd ist und dass man das abschaffen sollte

[00:16:56]  oder dass es generell unfair ist, jemandem zu steinigen, sie stellt sich nur dagegen, dass es ihrer Familie passiert.

[00:17:02]  Shelly: Ja. Jaci: Und das ist ja auch irgendwie spannend, dass sie die Lotterie akzeptiert, aber eben nicht den Ausgang,

[00:17:09]  weil ihr ihr Leben halt mehr wert ist als diese Tradition, aber ein anderes Leben würde sie opfern für diese Tradition.

[00:17:17]  Shelly: Ja. Jaci:Und das hat mich dann auch so fertig gemacht, weil ich mir gedacht habe, wie kann man das gut finden,

[00:17:23]  diese Tradition, wenn man es dann selber nicht akzeptiert und eben nicht... Shelly:  stimmt, wie kannst du jemand,

[00:17:29]  wie kannst du jemand anderen dann steinigen, wo du selbst nicht hinnehmen würdest?

[00:17:34]  Jaci: Das war auch so eine Note, wo man gedacht hat, das weiß nicht, das ist keine runde Sache ...

[00:17:41]  ich meine, es ist auch eine super Geschichte, aber eben der ganze Ablauf in diesem Dorf macht micht so fertig,

[00:17:47]  nicht die Geschichte an sich, weil die Geschichte ist ja genial, aber eben einfach dieses Denken dieser Leute macht mich so narrisch,

[00:17:53]  ich kann es nicht anders sagen, es macht mich einfach narrisch, weil du genau weißt, wie es in diesen Köpfen von diesen Leuten vorgeht

[00:18:01]  und wie unüberlegt das das ist.

[00:18:04]  Shelly: Ja voll, es ist wirklich wirklich realistisch, also es ist sehr gesellschaftskritisch,

[00:18:09]  und es hält uns irgendwie so allen irgendwie den Spiegel vor.

[00:18:13]  Jaci: Genau, ja. Und ich meine, es ist dann auch in einer Analyse mit "Die Tribute von Panem" verglichen worden,

[00:18:21]  weil bei "Tribute von Panem", das ist eine Jugendbuchreihe von Suzanne Collins, da werden die Tribute eben aus jedem Distrikt in diesem Land eben gezogen,

[00:18:32]  also sie werden auch per Los ausgezogen, da ist es keine Lotterie, und da ist es ein Gerüst von, was von diesem diktatorischen Staat

[00:18:41]  auf die Menschen aufgezogen wird, dass eben Tribute gefordert werden, aber die werden dann in eine eigene Arena geschickt,

[00:18:49]  wo sich diese Tribute gegenseitig umbringen müssen und nicht von der Gesellschaft, in der sie wohnen.

[00:18:55]  Und ich glaube, das ist auch ein Punkt, das mir noch mehr verstört hat, dass es eben die Nachbarin und Ehefrau von vielen war,

[00:19:03]  und dass die Menschen, die sie kennen, sie umgebracht haben.

[00:19:06]  Und ich finde diesen Vergleich mit "Tribute von Panem" nicht wirklich passend, weil es eine ganz andere Mentalität ist.

[00:19:14]  Shelly: Das, und du hast schon gesagt, es war ein diktatorisches Staat, und die in dem Dorf haben sie es ja selbst so ausgemacht,

[00:19:23]  dass sie die Lotterie weiterführen, also die sind eigentlich nur durch die Tradition gezwungen, aber nicht von oben herab.

[00:19:31]  Jaci: Eben, weil man eben mitkriegt, dass es in anderen Dörfern nicht durchgeführt wird und denen aber keine Konsequenzen drohen.

[00:19:38]  Also genau, das ist der Vergleich. Mein persönlicher Vergleich war "Squid Game", die Serie Netflix-Serie, die war vor drei Jahren, glaube ich.

[00:19:48]  Shelly: Ich glaube, das war noch vor Corona, oder?

[00:19:50] Jaci: Während Corona, glaub ich. Shelly: Während Corona.

[00:19:52]  Jaci: Ja, Zeit ist ein Konstrukt. [Shelly lacht] Das war vor einigen Jahren diese erfolgreiche Netflix-Serie in der Leute, in eine Fernseh...

[00:20:03]  Also wie heißt es, in einen Wettbewerb gesteckt werden, indem sie andere Leute oder halt ihre Gegner umbringen müssen,

[00:20:11]  um quasi im echten Leben ihre Schulden loszuwerden.

[00:20:15]  Und das zeigt auch eben das Inneren im Menschen, wozu die Menschheit fähig ist.

[00:20:20]  Und da ist es zwar auch jetzt nicht eine Auslosung, aber einfach von der Brutalität dieser Serie und der Brutalität von der Mentalität der Leute

[00:20:29]  in diesem Szenario finde ich den Vergleich einfach ein bisschen passender, weil man da mehr diese harte Realität mit kriegt.

[00:20:38]  Shelly: Ja, aber sie werden doch an... Also das ist ein Jahr an, wo so Spielfiguren eigentlich von denen, die das Spiel quasi erfunden haben, oder?

[00:20:46]  Jaci: Genau, wenn auch wieder von oben...

[00:20:48]  Shelly: Ja, die sind auch wieder von oben...

[00:20:49]  ...herab gesteuert mehr oder weniger.

[00:20:50]  Jaci;Ist kein perfekter Vergleich, aber für mich spiegelt das mehr dieses "Deinen Nächsten umbringen".

[00:20:56]  Nicht wie bei "Tribute von Panem", jemanden, den du gar nicht kennst, so irgendwie.

[00:21:02]  Genau, weil was eben auch in einer Analyse gestanden ist, dass ja das Prinzip des Sündenbockes mit dieser Bestrafung, mit dieser Steinigung,

[00:21:11]  bei dieser Lotterie irgendwie genutzt wird, aber ich verstehe eben nicht,

[00:21:16]  und das hängt glaube ich auch damit zusammen, dass wir als Lesende nicht wissen, woher kommt das Ritual, weil vielleicht kommt es ja auch von diesen...

[00:21:23]  "Jemand muss bestraft werden für unsere Sünden".

[00:21:28]  Shelly: Ja, aber was für Sünden sind passiert?

[00:21:30]  Jaci: Das weiß man ja nicht.

[00:21:32]  Und das verstehe ich auch nicht, wie das Prinzip des Sündenbockes mit der Lotterie im Standpunkt, wo das in dieser Erzählung schon ist.

[00:21:41]  Man weiß nicht, wie es vorher war, wie das da zusammenspielt.

[00:21:45]  Shelly: Vielleicht war's früher eher so ein rituelles Opfer, was man gebracht hat, und weil niemand derjenige sein wollte, der jemanden auswählt, dass es dann die Loterie gegeben hat, aber dieser Background ist halt irgendwie verloren gegangen.

[00:21:54]  Jaci: Ja eben, man weiß es nicht. Ist es einfach gesellschaftlich entstanden, politisch, religiös? Man weiß es nicht.

[00:22:00]  In jedem Fall ist es ein hirnrissiges Ritual, meiner Meinung nach ... [lacht] Shelly [sarkastisch]:Was, ich find das total super.

[00:22:07]  Jaci: Es ist so verstörend, weil auch bei "Squid Game" und bei "Tribute vom Panem" jetzt, zum Beispiel, weil wir gerade das Vergleich hierher genommen haben, da sind keine Kinder beteiligt.

[00:22:18]  Und eben bei der Lotterie von Shirley Jackson - Shelly: Bei "Tribute vom Panem" deshalb nicht, weil ja die Schwester von ihr... sich opfern.

[00:22:24] Jaci: Ja, aber die sind mindestens 15, glaub ich. - Shelly: Ach so.

[00:22:27]  Jaci: Also, die müssen halt ein gewisses Alter erreicht haben, aber dieses Kind in der Lotterie, das kann doch nicht mal selber ein Los ziehen.

[00:22:35]  Also, das ist vielleicht drei Jahre alt, zwei, drei Jahre alt.

[00:22:38]  Shelly: Aber da ist ja dann wer einsprungen wird.

[00:22:40]  Jaci: Ja nur um das Los zu ziehen, nicht um die Strafe dann abzukriegen.

[00:22:43]  Shelly [überrascht]: Ach so?

[00:22:44]  Jaci: Ich glaube nicht, dass dann der Mann, der für das Kind gezogen hat, gesteinigt werden würde.

[00:22:50]  Ich glaube, dass dann das Kind...

[00:22:52] Shelly: Boah, zach.

[00:22:53]  Jaci:Eben!

[00:22:54]  Die drei Kinder haben dann gezogen, und am Ende hat man ja auch diesem kleinen Kind, der es nicht mal selber ziehen hat können, Kieselsteine in die Hand gegeben.

[00:23:02]  Das ist quasi auch auf seine Mutter wirft.

[00:23:05]  Und das ist ja so barbarisch alles.

[00:23:08]  Und noch dazu, das ist jetzt, glaube ich, ein ganz eigener Podcast wieder, es ziehen ja nur die Männer.

[00:23:15]  Das heißt, die Männer ziehen auch über das Los ihrer Frauen.

[00:23:18]  Es dürfen nicht mal die Frauen selber ziehen, um irgendwie ...

[00:23:22]  Es ist, es ist ja eine Glückssache.

[00:23:23]  Shelly: Es zieht das Familienoberhaupt. Jaci: Eben!

[00:23:25]  Shelly: Es ist entweder der Vater, und wenn es den nicht mehr gibt, das irgendeinen Grund, weil der das letzte Los gezogen hat ... Jaci: Und der ist dann der Sohn.

[00:23:30]  Shelly:Dann der Sohn, und der Sohn, und wann der nicht ist, dann die Frau.

[00:23:34]  Dann die Frau.

[00:23:35]  Das ist eben auch eine Frau zieht, und da sind alle so, "Hast du keinen Sohn, der für dich ziehen kann?"

[00:23:40]  Shelly: Ja, stimmt, das ist auch krass.

[00:23:41]  Da hat es mich auf, da haben wir auch gedacht, lass doch die Frau dann wenigsten selber ihr Glück herausfordern quasi.

[00:23:48]  Aber vielleicht bin ich zu...

[00:23:52]  Shelly:Emanzipiert.

[00:23:53]  Jaci [lacht]: So, völlig fertig von der Geschichte.

[00:23:56]  Ja.

[00:23:57]  Shelly:Ja.

[00:23:58]  Jaci: Man merkt, ich bin sehr... aufgebracht.

[00:24:00] Shelly: Zerrissen.

[00:24:02] Ich hab sie cool gefunden.

[00:24:03]  Ich hab sie echt cool gefunden, weil ich eben nicht weißt ...

[00:24:05]  Weil ich so viel nicht weiß.

[00:24:07]  Weil ich mir so viel selber zusammen spinnen muss ich in meinem Kopf.

[00:24:09]  Jaci: Ich mag solche Sachen, ich muss genau wissen, wie so was passiert.

[00:24:12]  Dann hinterfrage ich es viel zu viel, und dann lässt sie mich tagelang nicht los.

[00:24:16]  Also ich werde jetzt noch länger an diese Geschichte denken.

[00:24:19]  Shelly: Ja, aber das ist einfach Shirley Jackson.

[00:24:22]  In unserem Podcast haben ja Christina und Pia schon mal was für ein Shirley Jackson,

[00:24:26]  die in der letzten Staffel, und zwar "The Haunting of Hill House",

[00:24:29]  also "Spuk im Hill House", was auch Netflix verfilmt worden ist.

[00:24:33]  Und da ist es ja auch, dass du nicht genau weißt, okay, was passiert jetzt gerade.

[00:24:37]  Und das ist ein ganzer Roman, das war voll cool, ich hab den dann auch gelesen.

[00:24:40]  Jaci: Oh Gott, ja okay, vielleicht lese ich den auch.

[00:24:42] Aber okay, dann würde es mich auf aufregen. [beide lachen]

[00:24:44] Shelly: Ja, ist vielleicht eher nichts für dich.

[00:24:46]  Jaci: Ja.

[00:24:47]  Okay, auf jeden Fall, Christina und Pia, danke für diese Challenge.

[00:24:51]  Es war wirklich eine Challenge für mich. [lacht]

[00:24:54]  Geistig. [Shelly lacht]

[00:24:55]  Aber ein sehr gutes Buch.

[00:24:59]  Shelly: Und jetzt wollt ihr natürlich wissen, was ihr als nächstes lesen dürft.

[00:25:05]  Und da wir ja jetzt gerade die Halloween-Folge aufgenommen haben, - Jaci: Happy Halloween! -

[00:25:10] und es sehr gruselig war - ja, Happy Halloween, übrigens [lacht] -

[00:25:14]  oder wer die Nacht der Tausend Lichter feiert,

[00:25:17] fröhliches Lichter- [unverständlich]

[00:25:20] Jaci: Und auch bei den Hexen ist es jetzt - [unverständlich].

[00:25:22]  Shelly: Anyhow, auf jeden Fall, wollen wir es nur ein bisschen so gruselig halten.

[00:25:29]  Und deshalb werdet ihr eine Krimi lesen.

[00:25:33]  Und zwar von der Krimiautorin schlechthin, - [Jaci trommelt auf den Tisch]

[00:25:39]  und zwar Agatha Christie.

[00:25:42]  Und da werdet ihr sehr passend zu unserem Workplace lesen, [Jaci lacht]

[00:25:49]  und zwar "Die Tote in der Bibliothek". Jaci: Dum-dum-dum. [Shelly lacht]

[00:25:52]  Jaci: Und zwar die Neuauflage, die wir auch gerade eben druckfrisch,

[00:25:58]  sozusagen in die Bibliothek bekommen haben.

[00:26:01]  2024 jetzt neu erschienen, wo eben die Miss Marple,

[00:26:05]  eine der berühmtesten Detektivinnen von Christies Zeit,

[00:26:09]  und unserer Zeit wahrscheinlich auch eben einen Mordfall ermittelt.

[00:26:13]  Shelly: In einer Bibliothek.

[00:26:15]  Jaci: Mit dieser freudigen Lesechallenge lassen wir euch,

[00:26:19]  lieber Leser und Leserinnen,

[00:26:21]  und eben auch die Christina und die Pia in den Halloweenabend starten.

[00:26:26]  Und wir freuen uns auf die nächste Folge.

[00:26:29]  Shelly: Das tun wir. Viel Spaß beim Lesen.

[00:26:31]  Jaci: Danke fürs Zuhören.

[00:26:33]  [Outro-Musik]

[00:26:57]  [Pia spricht] S'Vorwort ist eine Produktion der Stadtbibliothek Innsbruck,

[00:27:01]  und Teil der Stadtstimmen, dem Audiokanal der Stadt Innsbruck. [Pia spricht]

[00:27:05]

Transkription

[00:00:00]  [Stimme moduliert] Vorsicht, der Genuss dieses Podcasts kann zu vermehrten Bibliotheksbesuchunen führen. [Stimme moduliert] [Intro-Musik]

[00:00:06]  Christina: Hallo und herzlich willkommen zurück zum Vorwort, dem Podcast der Stadtbibliothek Innsbruck.

[00:00:27]  Ich bin die Christina - Pia: und ich bin die Pia - und ein doppeltes Willkommen zurück in unserer ersten Folge des Herbstlesefests,

[00:00:35]  erstens, und zweitens der Pia, die jetzt wieder dabei ist. Hi Pia. Pia: Juchuu! [lacht]

[00:00:39]  Christina: Schön, dass du wieder da bist.

[00:00:42]  Was ist denn das Herbstlesefest? Die Hosts vom Vorwort stellen sich gegenseitig und wenn ihr wollt, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer,

[00:00:52]  dann ist auch euch eine Lese-Challenge. Wir haben dann zwei Wochen Zeit, das Buch zu lesen und mit euch in der Folge zu besprechen.

[00:01:00]  Vor zwei Wochen haben die Shelly und die Jacuqeline uns die Herausforderung gestellt, Pavillon 44, den neuen Roman von Thomas Sautner zu lesen.

[00:01:10]  Bevor wir jetzt aber zur Besprechung vom Sautner Roman kommen, möchte ich euch an unser Gewinnspieler erinnern.

[00:01:16]  Denn noch bis zum 28.10. könnt ihr eine signierte Ausgabe des neuen Romans gewinnen.

[00:01:23]  Schreibt uns dazu einfach entweder eure Eindrücke zum Roman oder auch, warum ihr ihn lesen möchtet,

[00:01:29]  vielleicht auf die heutige Folge hin, auf post.stadtbibliothek@innsbruck.gv.at

[00:01:37]  oder auch gern auf Instagram unter dem Handle stadtbibliothek.innsbruck.

[00:01:42]  Der Roman wird dann unter allen Einsendungen verlost und die Person, die gewonnen hatte, von uns kontaktiert.

[00:01:49]  Die Teilnahme ist auf 18 Jahre. Also das wäre doch auch ein schönes Geschenk für einen Sautner-Fan, oder Pia?

[00:01:54]  Pia: Auf jeden Fall. [lacht] Die freuen sich da sicher drüber.

[00:01:58]  Ja genau, bei uns geht es um Pavillon 44 von Thomas Sautner. Für alle, die ihn noch nicht kennen,

[00:02:04]  Thomas Sautner ist ein österreichischer Schriftsteller aus Niederösterreich, spezifisch dem Waldviertel.

[00:02:10]  Wir haben einige Titel von ihm in der Bib. Wir haben zum Beispiel "Fuchserde", das wäre sein erster Roman.

[00:02:15]  Da geht es um [unverständlich] im Waldviertel oder auch "Der Glücksmacher", "Das Mädchen an der Grenze", "Die Erfindung der Welt",

[00:02:22]  "Nur zwei alte Männer" und viele andere.

[00:02:25]  Bei den Sachbüchern haben wir "Waldviertel steinweich", das ist ein literarischer Reiseführer für die,

[00:02:29]  die das Waldviertel ein bisschen mehr kennenlernen möchten.

[00:02:32]  Das ist bei den Reiseführern und zusätzlich haben wir natürlich noch ebooks von vielen seinen Büchern in der Onleihe bei uns digital.

[00:02:39]  "Pavillon 44" ist jetzt eben sein neuester Roman und um den geht es heute.

[00:02:44]  Also ich habe uns eine kleine Zusammenfassung mitgebracht.

[00:02:47]  "Pavillon 44" spielt in einer psychiatrischen Anstalt am Rande von Wien.

[00:02:52]  Um genau zu sein, im "Pavillon 44". [lacht]

[00:02:54] Christina: Mhm. Namensgebend.

[00:02:56]  Pia: Dieser Anstalt eben, das ist der Titel.

[00:02:58]  Der leitende Arzt ist Siegfried Lobel? Lobell?

[00:03:02]  Christina: Ich sage immer "Lobell" [betont 2. Silbe]. [beide lachen]

[00:03:04]  Pia: Ein bisschen französisch angehaucht.

[00:03:06]  Christina: "Lubbell." [beide lachen]

[00:03:09]  Pia: Durch seine Patient*innen will er mehr über die Welt, das Leben und sich selber erfahren.

[00:03:14]  Und gleichzeitig besucht aber auch eine Schriftstellerin den Pavillon,

[00:03:17]  weil sie ein Buch über ihn schreiben will.

[00:03:19]  Dann, Plot Twist, verschwinden aber zwei Patienten.

[00:03:23]  Und Lobell macht sich auf in die Wiener Innenstadt, um sich dort auf die Suche zu machen.

[00:03:30]  Dort findet er viele Verrückte, aber nicht seine Patienten.

[00:03:34]  Also das ist jetzt nur eine kleine Zusammenfassung.

[00:03:37]  Nur ein Teaser, wir bleiben spoilerfrei.

[00:03:39]  Christina: Das ist wichtig zu erwähnen.

[00:03:41]  Das heißt, für alle diejenigen von euch, die sich, die jetzt noch keine Zeit hatten

[00:03:46]  oder sich dieser Lese-Challenge noch nicht angenommen haben,

[00:03:49]  die können auch die Folge beruhigt anhören und danach loslesen.

[00:03:53]  Pia: Genau.

[00:03:55]  Christina: So, Pia, wer von uns hat denn das Buch für heute gelesen?

[00:03:59]  Pia: [lacht] Ich nicht.

[00:04:01]  Aber das ist immer die Christina fleißig.

[00:04:03]  [beide lachen] Deswegen habe ich jetzt Fragen für sie mitgebracht.

[00:04:05]  Die erste Frage ist natürlich, wie hat es gefallen?

[00:04:07]  Christina: Kurz zusammengefasst:

[00:04:09]  Gut.

[00:04:10]  Nächste Frage. [beide lachen]

[00:04:12]  Also es geht, wie du schon gesagt hast, um die Psychiatrie in der Baumgartener Höhe in Wien.

[00:04:17]  Und dort gibt es diesen Sondertrakt, den Pavillon 44 und in dem der Primar Siegfried Lobell,

[00:04:23]  dieser sogenannte Experte aus seinem Gebiet -

[00:04:26]  - das ist die Art von Experte, die auch dann einmal TV-Interviews gibt

[00:04:30]  oder von großen österreichischen Tageszeitungen zitiert wird als Experte. -

[00:04:34]  Pia: Ah, der landet im ORF. [lacht]

[00:04:36]  Christina: [lacht] Genau.

[00:04:38]  Der behandelt nämlich nicht nur irgendwelche Verrückten,

[00:04:41]  sondern außergewöhnliche Verrückte.

[00:04:43]  Die sammelt er so ein bisschen wie kleine Trophäen.

[00:04:46]  Die müssen dann schon immer was Besonderes an sich haben,

[00:04:49]  damit er sie in seinem Trakt dann auch behandeln möchte.

[00:04:52]  Am Ende des Romans fragt man sich, wie du auch schon so angedeutet hast,

[00:04:56]  dass der Inhaltsangabe "Wer ist denn eigentlich noch normal?"

[00:05:00]  Ich muss sagen, das ganze Buch ist in einem sehr flotten Tempo geschrieben

[00:05:04]  und es dreht immer mehr ab, sozusagen.

[00:05:07]  Also es ist auch lustig, situationskomisch finde ich auch

[00:05:10]  und das hat so einen verschmitzten Unterton, so einen Wiener Schmäh hätte ich gesagt.

[00:05:15]  Neben der Hautfigur des Primars Lobell geht es außerdem um die Schriftstellerin Aliza Berg.

[00:05:22]  Die kommt ins Pavillon 44 um ein Buch über den Lobell zu schreiben

[00:05:27]  und dann gibt es noch eine regelrechte Ansammlung von lustig-tragischen Figuren,

[00:05:32]  die sind alle ganz und gar liebevoll gezeichnet habe ich gefunden.

[00:05:37]  Unter anderem wäre da z.B. der Herr Dimsch,

[00:05:39]  der ist gleich eingangs des Romans nackt auf dem Dach eines Mausoleums aufzufinden,

[00:05:46]  wo er nachdem er mit dem Leichnam seines toten Kindheitsfreundes angestoßen hat,

[00:05:52]  von der Feuerwehr runtergerettet werden muss.

[00:05:55]  Es gibt die Cecilie Weisz, die ist seine ü-80erin, die Meerschweinchen aus dem Fenster schmeißt.

[00:06:00]  Und es gibt einen ungefähr dreißigjährigen Mann namens Jesus

[00:06:05]  und der hält sich auch für den Besagten.

[00:06:07]  Und so geht es dann dahin mit den Figurenensemble.

[00:06:10]  So was ist mir noch immer sehr lieb.

[00:06:13]  Pia: Das klingt nach einer lustigen Truppe.

[00:06:15]  Christina: Genau, also, lustig-tragisch, muss man schon sagen,

[00:06:18]  aber es ist schon was, was so, wenn man diese Art von absurdem Humor auch mag,

[00:06:27]  sehr genießen kann.

[00:06:29]  Pia: Also ich habe ja, wo ich die Zusammenfassung gelesen habe,

[00:06:32]  habe ich sofort an "Alice im Wunderland" denken müssen

[00:06:35]  und an den Spruch "We're all mad here".

[00:06:37]  Also "Hier sind wir alle verrückt" von der Grinsekatze.

[00:06:40]  Gehe ich recht in der Annahme, dass das Hauptmotiv ist,

[00:06:46]  dass wir alle irgendwie unter Anführungszeichen verrückt sind.

[00:06:49]  Und was mit dem ja auch ein bisschen zu tun hat,

[00:06:53]  die Darstellung der Patient*innen in "Pavillon 44", hat die deine Sichtweise

[00:06:57]  auf die psychischen Krankungen beeinflusst oder geändert?

[00:07:00]  Christina: Also zuerst zur ersten Frage, das ist schon, hast du richtig erkannt.

[00:07:05]  Das ist eines der Motive von dem Roman, fand ich auch.

[00:07:10]  Wobei "Pavillon 44" sich auch auf fast einer Meta-Ebene mit der Idee spielt,

[00:07:19]  was ist eigentlich Realität?

[00:07:21]  Bis man, wir kommen da später noch mal zu,

[00:07:24]  aber bis man sich selber nicht mehr so ganz sicher ist,

[00:07:26]  was ist da jetzt real, sowohl auf dieser narrativen Erzählebene im Roman,

[00:07:32]  also das wird schon wieder mit gespielt und es geht fast noch ein bisschen tiefer

[00:07:36]  als diese "Wir sind ja eigentlich alle verrückt"-Motiv.

[00:07:39]  Also aber damit ... an dem arbeitet er sich auf jeden Fall ab.

[00:07:42]  Auf eine sehr spannende, amüsante Weise.

[00:07:45]  Und ich glaube, die zweite Frage war, ob der Roman die Darstellung

[00:07:52]  von ... meine Sichtweise auf psychische Erkrankungen beeinflusst hat.

[00:07:56]  Das hat uns eine liebe Zuhörerin zugeschickt per E-Mail.

[00:08:00]  Also vielen Dank für die Frage.

[00:08:02]  Da muss ich sagen, nein, ich habe auch schon davor eine sehr differenzierte Sichtweise

[00:08:08]  auf psychische Erkrankungen gehabt.

[00:08:10]  Ich hatte auch während es schon teilweise fast die Medikamente oder so ein Alltag

[00:08:17]  in der psychiatrischen Anstalt, gerade so am Anfang ist mir das so vorkommen,

[00:08:20]  sehr realistisch geschildert worden ist, ist glaube ich das Spiel mit der Verrücktheit

[00:08:29]  und auch immer ein literarisches, weil es sich ja um literarische Figuren handelt.

[00:08:33]  Die Prämisse vom Roman, die wir ja schon gesagt haben,

[00:08:37]  diesen Normalitätsbegriff so infrage stellt.

[00:08:40]  Was bedeutet es normal zu sein?

[00:08:42]  In seinem Interview mit dem Boris letzte Folge hat der Thomas Sautner

[00:08:47]  davon gesprochen, dass "verrückt" eben auch "herausgerückt" nämlich bedeutet.

[00:08:51]  Und für mich habe ich das so verstanden, dass es um das Herausgerücktsein,

[00:08:54]  aus der Gesellschaft geht in den Roman, also von außen irgendwo hineinschauen.

[00:08:59]  Und das ist was, was mir dann auch sehr gut gefällt.

[00:09:02]  Denn oft kann man von außen am besten beurteilen, was gerade so los ist.

[00:09:06]  Da herrscht auch immer dieses Spannungsfeld zwischen dem Angepasstsein und dem Anderssein,

[00:09:12]  weil die Verrückten wären ja nicht in der Baumgartner Höhe,

[00:09:15]  wenn sie nicht irgendwie zu einem Maß unangepasst wären, wie der Herr Dimsch zum Beispiel,

[00:09:22]  dass der da so nakedei-isch [beide lachen] auf dem Mausoleum sitzt.

[00:09:26]  Das geht dann natürlich auch zu weit.

[00:09:28]  Aber diese Herausforderung und dieser Spannungsfeld fängt der Roman wahnsinnig gut ein

[00:09:35]  und auch wahnsinnig amüsant ein.

[00:09:37]  Und Thomas Sautner hat selber gesagt -

[00:09:41]  es ist eine Paraphrase, aber - dass ich Literatur oft und nützlich am Außenseiter abarbeiten kann

[00:09:45]  und kam mir auch vor, dass ihn das auch so ein bisschen zum Schreiben des Romans bewegt hat.

[00:09:53]  Pia: Was für Erwartungen hattest du an das Buch? Hast du gewusst, was auf dich zukommt oder warst du überrascht?

[00:09:58]  Christina: Vielleicht ist schon rausgekommen im Podcast und das gilt ja für dich auch so ein bisschen,

[00:10:05]  wir sind ja nicht so verortet in der österreichischen Literaturlandschaft, das haben wir ja schon einmal gestanden.

[00:10:11]  Ich habe jetzt einmal begonnen, Österreicher*innen zu lesen und ich stelle fest, dass mir die Erzählstimme,

[00:10:19]  und ich habe vorhin von diesem Schmäh gesprochen und ich finde, das ist jetzt Thomas Sautner,

[00:10:26]  der ist auch in Wien verortet und der Roman spielt auch in Wien, aber das gilt auch für andere Österreicher*innen, die ich gelesen habe:

[00:10:32]  So ein Schalk im Unterton ist da immer dabei und wenn ich jetzt einen Österreicher*innen in die Hand nehme,

[00:10:38]  einen Roman von einem Österreicher, einer Österreicherin geschrieben, dann erwarte ich mir diesem, ja, fast dieses Verschmitzte,

[00:10:46]  das da irgendwie in jedem dieser Romane immer mitschwang.

[00:10:50]  Nincsdorf [red. Anm: "Nincshof"] ist ein Beispiel oder ich habe jetzt auch, das ist jetzt auf dem Spiegelbestseller gelandet,

[00:10:55]  "Kleine Monster" gelesen von Jessica Lindt und so hart der Tobak ist ...

[00:11:03]  Pia: Man kann es nicht zu ernst nehmen, man muss es so ein bisschen...

[00:11:06]  Christina: Ja, also bei "Kleinen Monster", das ist schon eigentlich tragisch, es ist halt nur sehr schnell erzählt,

[00:11:13]  aber da ist vielleicht noch ein bisschen was anderes, aber es ist immer, es ist so,

[00:11:18]  vielleicht ist es halt nur der Dialekt, der es so heimlig macht [Pia lacht], ich weiß es nicht.

[00:11:22]  Das hat es auf jeden Fall erfüllt und das konnte man in der kompletten in der Erzählstimme von "Pavillon 44" total gut mit hören immer.

[00:11:32]  Und auch wusste ich ja, dass es sich mit dieser Fragestellung: "Was heißt Verrücktsein?" auseinandersetzt,

[00:11:38]  das hat es auch für mich fast wie erwartet, muss ich sagen, abgearbeitet.

[00:11:42]  Also ich habe nicht gewusst, wohin der Roman gehen wird und wie er endet, er endet sehr [lacht leise] unerwartet

[00:11:49]  und es wird wirklich so ein bisschen wie bei "Alice im Wunderland", also es ist auch gesellschaftskritisch,

[00:11:56]  was eigentlich diese Romane auch gerne und oft sind und auch diese Erwartung hat er für mich erfüllt.

[00:12:03]  Pia: Und was ist das Schreibstil? Hat dir der gefallen?

[00:12:06]  Weil es war ja dein erster Thomas Sautner, oder?

[00:12:09]  Christina: Also der Schreibstil, und wir haben einen Zuhörer gehabt, der hat uns geschildert,

[00:12:14]  wie er ... was ihm besonders gut am Sautner gefallen hat und er hat geschrieben, dass er sehr leichtgängig und angenehm zu lesen war.

[00:12:20]  Und dem kann ich nur voll und ganz zustimmen.

[00:12:23]  Ich persönlich habe allerdings diesen Perspektivenwechsel, den der Thomas Sautner genutzt hat,

[00:12:31]  zwischen dem Primar Lobell in der dritten Person und der Aliza Berg in der ersten Person nicht so gut gefallen.

[00:12:39]  Und was mir total gefallen hat [lacht leise], waren diese Dialoge und dann die Situationskomik, die einfach aus der Absurdität

[00:12:46]  mancher Situationen entstanden ist, wenn die zum Beispiel in der Visite alle vor dem Bett standen

[00:12:51]  und sich das dieser Moment dann entfaltet hat, wenn dann Jesus anfängt mit dem Lobell zu reden

[00:12:57]  und die ganzen Pfleger und so und die Aliza quasi als Schriftstellerin dabei stehen und das war schon,

[00:13:03]  das hat er schon sehr schön und treffend eigentlich eingefangen, weil es schon realistisch auch irgendwie ist

[00:13:11]  und ja auch oft die realistischen Sachen, die lustigsten sind, weil man sie einmal dargestellt sieht.

[00:13:16]  Pia: Und das Wichtigste oder einer der wichtigsten Sachen, die Hauptfigur, und die geht es ja eigentlich sehr viel in dem Roman,

[00:13:24]  was du jetzt so angeschnitten hast, was hältst du von ihm,

[00:13:27]  vom Primar Lobell? Ist er sympathisch, ist er eher so eine neutraler Figur oder unsympathisch vielleicht auch, man weiß es ja nicht?

[00:13:35]  Christina: Ja, also der Primar Lobell. - Pia: Oje. - Ich fand es schwierig ihn zu mögen.

[00:13:41]  Er ist faszinierend genug als literarische Figur und auch genau das, was er sein soll, besonders auch dann für was er dann steht am Ende.

[00:13:52]  Pia: Aber beste Freunde werdet ihr nicht. - Christina: Nein. - Und jetzt mal bei der Frage, ob es bestimmte Szene oder einen Moment geben hat,

[00:14:00]  der dir besonders im Gedächtnis geblieben ist und warum?

[00:14:04]  Christna: Also das ist die Cecilie Weisz, die ist glaube ich auch die Lieblingspatientin vom Lobell.

[00:14:10]  Das ist diese 84-Jährige, die behauptet aber steif und fest und ist davon überzeugt, dass die 16.212 Jahre alt ist,

[00:14:19]  die leidet unter einer bipolaren Störung, also das ist ihre Diagnose und hat außerdem epileptische Anfälle.

[00:14:27]  Aber diese epileptischen Anfälle hinterlassen ihr Gehirn so, da feuern die Neuronen dann so schnell, dass sie besonders kreativ ist.

[00:14:34]  Und das ist dann auch was der Lobell an ihr wertzuschätzen weiß.

[00:14:37]  In dem Moment habe ich so erkannt, okay das ist wie vieles in dem Roman,

[00:14:42]  ist das auch so diese Hochzeichnung von dieser literarischen Figur und "Was ist denn Kreativität überhaupt?"

[00:14:48]  Sie ist aber sozusagen sehr poetisch veranlagt, wurde eingewiesen und das ist jetzt mal die Lieblingsmoment.

[00:14:53]  Und zwar: Sie hat mit ihren Meerschweinchen die Nachrichten geschaut und dann nach ihrer Ansicht,

[00:15:01]  also ihrer Aussage haben die Meerschweinchen es dann nicht mehr ertragen, die Nachrichten zu sehen und haben sich dann einer nach dem anderen aus dem Fenster geworfen. [beide lachen kurz]

[00:15:08]  Also sie wurde eingewiesen, weil sie Meerschweinchen aus dem Fenster geworfen hat.

[00:15:13]  Ja, genau und das habe ich lustig gefunden. [beide lachen leise]

[00:15:16]  Pia: Die arme Meerschweinchen.

[00:15:18]  Christina: Und aber, den Spoiler, am Ende lebt sie im Erdgeschoss zusammen mit neuen Meerschweinchen und es geht allen gut. [beide lachen leise]

[00:15:26]  Pia: Ja, dann, okay.

[00:15:27]  Dann ist sie alles in Ordnung.

[00:15:29]  Pia: Wenn wir schon vom Ende vom Romane reden.

[00:15:32]  Wie hat die das Ende gefallen und was für ein Eindruck hat es Ende vom Roman bei ihr hinterlassen?

[00:15:37]  Wir bleiben spoilerfrei, aber so allgemein.

[00:15:40]  Christina: Also es gibt immer auch hinter vielen Kapiteln ein Postskriptum.

[00:15:44]  Das führt dann immer mehr in eine Meta-Ebene auch hinein.

[00:15:49]  Das mag ich grundsätzlich sehr.

[00:15:53]  Der Roman an sich endet sehr surreal, abgedreht fast schon.

[00:16:01]  Das mag ich auch und die Handlung ist, wird halt auch immer aberwitziger.

[00:16:06]  Irgendwann, man fragt sich dann am Ende und das sei verraten, was ist eigentlich noch real?

[00:16:12]  Auch man selber als Leserin oder als Leser.

[00:16:15]  Danach ist es aber auch schön, sich wieder zu erden mit einem weniger hinterfragenden Text.

[00:16:22]  Weil es sicher ein Text ist der, der es - so ein bisschen spitzbübisch - hinterfragt:

[00:16:27]  Was ist denn Verrücktsein und so.

[00:16:29]  Pia: Klingt sehr spannend.

[00:16:31]  Jetzt habe ich die Lust drauf, das Buch zu lesen.

[00:16:33]  Christina: Also ich muss auch sagen, das Buch war super.

[00:16:35]  Danke, Shelly und Jacqueline für "Pavillon 44" und die Herausforderung, das in zwei Wochen zu lesen.

[00:16:40]  Danke, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, an alle, die Fragen oder Kommentare geschickt haben und für das fleißige Mitlesen.

[00:16:48]  Und jetzt dürfen wir mit einem Trommelwirbel verkünden, Shelly, Jacqueline, spitzt die Ohren:

[00:16:54]  Ihr leset für den 31.10. ... Pia, was lesen sie?

[00:16:57]  Pia: Ihr lest "Die Lotterie" von Shirley Jackson.

[00:17:00]  Christina: Das ist eine Kurzgeschichte aus den 60er Jahren. Shirley Jackson ist eine US-amerikanische Schrittstellerin gewesen,

[00:17:06]  die, möchte man sagen, so mondänen Horror geschrieben hat oder viel aus dem mondänen Leben heraus.

[00:17:14]  Pia: Ja, man kennt sie von "Hounting of Hill House".

[00:17:18]  Das haben wir ja auch schon mal besprochen.

[00:17:21]  Das kennt man von Netflix.

[00:17:24]  Und jetzt eben, diesmal geht es aber nur einmal eine Kurzgeschichte.

[00:17:27]  Wir haben die natürlich auch in der Bibliothek.

[00:17:30]  Als Sammelband mit anderen dunklen Erzählungen [lacht], die kann man sich dann auch gerne ausleihen.

[00:17:37]  Christina: Und auch diesmal seid ihr wieder herzlich eingeladen mitzulesen.

[00:17:42]  Uns eure Anmerkungen, Fragen, Meinungen bis zur nächsten Folge zu schicken.

[00:17:48]  Das geht wie immer auf post.stabbibliothek@innsbruck.gv.at oder auf Instagram unter dem Handle "stadtbibliothek.innsbruck".

[00:17:59]  Und wenn ihr nicht zum Lesen kommt, ist das auch überhaupt gar kein Problem.

[00:18:03]  Ihr wisst, die Besprechungen sind wie immer spoilerfrei.

[00:18:08]  Und dann könnt ihr euch einfach von Shelly und Jaci inspirieren lassen, ob ihr auch Lust habt, "Die Lotterie" zu lesen.

[00:18:13]  Entweder ... Sie zum Beispiel bei uns in der Bibliothek auszuleihen.

[00:18:17]  Und denkt dran, noch bis zum 28.10. könnt ihr uns schreiben, warum ihr "Pavillon 44" gerne lesen möchtet

[00:18:25]  oder auch, was euch daran gefallen hat. Und dann könnt ihr eine signierte Ausgabe des Romans gewinnen.

[00:18:32]  Pia: Danke fürs Zuhören, danke fürs Mitlesen, danke für die vielen Kommentare.

[00:18:37]  Wir freuen uns aufs nächste Mal bzw. [lacht] Shelly und Jaci freuen sich mit euch aufs nächste Mal. Tschüss!

[00:18:45]  Christina: Schönes Lesen!

[00:18:47]  [Outro-Musik]

[00:19:10]  [Pia spricht] S'Vorwort ist eine Produktion der Stadtbibliothek Innsbruck und Teil der Stadtstimmen, dem Audiokanal der Stadt Innsbruck. [Pia spricht]

Transkription

[00:00:00]  [Stimme moduliert] Vorsicht, der Genuss dieses Podcasts kann zu vermehrten Bibliotheksbesuchen führen. [Stimme moduliert]

[00:00:06]  [Intro-Musik] Boris: Herzlich willkommen Thomas Sautner.

[00:00:23]  Thomas, es freut mich, dass du nach Innsbruck gekommen bist.

[00:00:26]  Und wie ich jetzt vorher erfahren habe, dass du allererste Mal in Innsbruck lesen wirst.

[00:00:32]  Thomas Sautner: Danke Boris, du hast den Bann gebrochen. Ich freue mich da zu sein. Danke für die Einladung.

[00:00:36]  Boris: Ja, vielleicht wirst du dann in Zukunft Stammgast werden in Innsbruck. Thomas Sautner: Das würde mich freuen.

[00:00:40]  Boris: Mich auch. Vielleicht als erstes für die Hörerinnen und Hörer von uns, die dich noch nicht kennen.

[00:00:47]  Magst du kurz was über dich erzählen?

[00:00:49]  Thomas Sautner: Nein. Boris: Nein?

[00:00:50]  Thomas Sautner: Also, es gibt ja Autoren, die reden gern über sich. Ich rede nicht einmal gern über Bücher, ehrlich gesagt.

[00:00:56]  Am liebsten hätte ich die Leserinnen und Leser lesen einfach und man muss überhaupt nichts weiter reden.

[00:01:01]  Boris: Das heißt, du freust dich auf den Vorleseteileseil des heutigen Abends.

[00:01:05]  Thomas Sautner: Toll für den Podcast, ge? [beide lachen]

[00:01:06]  Boris: Dann mache ich das jetzt andersrum und werde dich ganz kurz vorstellen.

[00:01:15]  Also, Thomas Sautner kommst aus dem Waldviertel, lebst aber auch in Wien.

[00:01:19]  Hast du jetzt, glaube ich, den neunten Roman geschrieben?

[00:01:22]  Thomas Saunter: Der zehnte.

[00:01:23]  Boris: Der zehnte ist es. Also, mit dem bist du heute auch angereist.

[00:01:26]  Pavillon, 44. Genau.

[00:01:29]  Und spielt in einer psychiatrischen Einrichtung.

[00:01:33]  Aber da möchte ich jetzt auch gar nicht mehr weiter darauf eingehen.

[00:01:35]  Das kann man dann selber lesen, das Buch, würde ich vorschlagen.

[00:01:38]  Beziehungsweise, falls dieser Podcast dann in der Zukunft ausgestrahlt wird,

[00:01:42]  wart ihr ja vielleicht schon bei der Veranstaltung, die heute Abend stattfindet.

[00:01:47]  Jetzt meine allererste Frage, die jetzt ganz, um einfach eine gewisse Plastizität

[00:01:53]  vielleicht da reinzubringen:

[00:01:55]  Was trinkst du, wenn du schreibst?

[00:01:57]  Thomas Sautner: Kaffee.

[00:01:59]  Ich habe es schon mit allem probiert natürlich.

[00:02:02]  Allen Mittelchen.

[00:02:04]  Kaffee ist noch immer am besten.

[00:02:06]  Notizen mache ich mir auch mit allen anderen Getränken.

[00:02:11]  Aber wirklich schreiben, konzentriert schreiben,

[00:02:14]  ist der alte Kaffee immer noch am besten.

[00:02:17]  Boris: Und das ist der French Press, Filter oder Siebträger?

[00:02:21]  Thomas Sautner: Das ist furchtbar schwarz und furchtbar viel. [beide lachen]

[00:02:24]  Boris: Klingt nach einem stabilen Magen.

[00:02:29]  Thomas Sautner: Ja, noch funktioniert es.

[00:02:31]  Boris: Sehr gut.

[00:02:33]  Thomas Sautner: Es ist ja so bei mir, dass ich immer wieder nachts aufwache

[00:02:36]  und früher habe ich mich darüber geärgert, dass ich dann nicht weiter schlafen kann.

[00:02:39]  Mittlerweile habe ich es als großen Vorteil erkannt.

[00:02:42]  Also ich wache so um zwei Uhr in der Nacht auf, richte mich sofort auf,

[00:02:47]  schallte das Licht an, mein Laptop steht neben mir und dann geht es los.

[00:02:51]  Und dann ist der Geist wunderbar frisch.

[00:02:53]  Da brauche ich noch nicht einmal Kaffee.

[00:02:55]  Und dann geht es wirklich gut, das Schreiben, und nach ein, zwei Stunden,

[00:02:58]  wird man wieder müde.

[00:03:00]  Und nach drei, vier Stunden wacht man wieder auf

[00:03:02]  und dann beginnt der zweite, sozusagen der zweite Morgen,

[00:03:05]  um sechs, sieben, acht.

[00:03:07]  Großartig.

[00:03:09]  Ein doppelter Beginn.

[00:03:11]  Boris: Das ist natürlich, dann, denk ich, aber auch ein Vorteil des Schriftstellerseins,

[00:03:14]  dass man sich natürlich die Zeit weitestgehend frei einteilen kann.

[00:03:17]  Thomas Sautner: Natürlich, der Partner daneben war wieder ein bisschen genervt.

[00:03:21]  Boris: [lacht] Er erinnert mich an diese Szenen von älteren Filmen,

[00:03:27]  wo irgendwelche Kommissare im Bett liegen

[00:03:29]  und dann immer dieses Festnetztelefon neben ihnen im Bett steht,

[00:03:32]  das da nachts schellt.

[00:03:34]  Thomas Sautner:Das Kiloschwere damals noch.

[00:03:36]  Boris:Ich habe jetzt eine Frage, ich sage es ganz ehrlich,

[00:03:39]  die hat mir meine Kollegin aufgeschrieben,

[00:03:41]  weil die das so interessieren würde.

[00:03:43]  Und da es so ein Thema ist, das ja auch gerade

[00:03:45]  durch eigentlich alle kreativen Berufsbereiche durchmarschiert.

[00:03:48]  Hast du Sorge, dass die künstliche Intelligenz

[00:03:52]  dich als Schriftsteller irgendwann obsolet macht?

[00:03:56]  Thomas Sautner: [lacht leise] Nein, vielleicht ist das ein Grund,

[00:04:00]  mehr sich Sorgen zu machen, dass ich mir überhaupt keine Sorgen mache. [Boris lacht]

[00:04:04]  Wenn es wirklich so wäre, dass die KI bessere

[00:04:07]  Romane schreibt, ja, dann braucht es mich eh nicht.

[00:04:09]  Dann soll es so sein.

[00:04:13]  Ich weiß nicht. Vielleicht bin ich da zu naiv, aber ich kann mir nicht vorstellen,

[00:04:16]  dass KI spannendere Romane schreibt,

[00:04:19]  als der Mensch. Wir haben das heute diskutiert, ein bisschen anders:

[00:04:23]  Man müsste die KI so programmieren,

[00:04:25]  dass sie eben nicht der menschlichen Programmierung folgt,

[00:04:29]  sondern eingeladen wird, frei zu denken.

[00:04:32]  Das wäre spannend,

[00:04:34]  aber ob das möglich wäre.

[00:04:37]  Und dann ist ja die philosophische Frage,

[00:04:40]  es gibt ja ernstzunehmende Leute, die selbst sagen,

[00:04:45]  wir selbst sind KI, also ein Musk oder so.

[00:04:50]  Und es gibt ja auch die wunderbare Untersuchung,

[00:04:55]  dass unsere Entscheidungen hundertstel Sekunden fallen,

[00:04:58]  bevor wir sie treffen.

[00:05:00]  Aber ich lasse das einfach einmal so stehen

[00:05:03]  auf deine Frage, ob die KI besser in Romane schreiben wird. Wenn ja, dann werde ich sie

[00:05:07]  lesen, wenn es wirklich besser sind. Boris: Die Frage, die ich mir jetzt gerade gestellt habe, ist dann,

[00:05:11]  wie es dann sein wird, wenn ich an einem regnerischen Tag in Innsbruck die KI vom Hotel abhole

[00:05:16]  um sie zur Abendveranstaltung zu begleiten. Thomas Sautner: Sie wird das einfordern, wenn sie dann so tickt wie wir.

[00:05:21]  Boris: Jetzt eine Frage, die doch noch ein bisschen in der Thematik deines aktuellen Romans sich bewegt.

[00:05:29]  Und zwar, hast du das Gefühl, du hast öfters mit Verrückten zu tun? Thomas Sautner:Ja, natürlich, sobald du

[00:05:37]  in den Spiegel schaust, beginnt es damit. Du wirst das heute noch erleben, ich verrat das jetzt nicht.

[00:05:44]  Du wirst das heute noch erleben bei der Lesung, eine kleine Aktion. Ja, wir alle sind verrückt,

[00:05:49]  oder? Und das ist auch gut so, wenn wir herausgerückt sind, damit "ver-rückt" sind,

[00:05:55]  weil wenn wir immer nur dort bleiben, wo wir sind, werden wir nichts lernen. Und gerade in der

[00:06:00]  Literatur sind die Außenseiter, also die Hinausgerückten aus der Szene, die die die

[00:06:06]  Szene beobachten können, nur deshalb, weil sie eben herausgerückt - also "ver-rückt" - sind. Boris: Ja, ja, das stimmt,

[00:06:14]  das ist eine spannende Aufgabe auch, wobei ich mich ja selber als Veranstalter ja auch vielleicht

[00:06:18]  ein bisschen verrückt empfinden würde, weil sonst hätte ich ja auch nicht die selektive Wahrnehmung,

[00:06:23]  die ich dann habe. Thomas Sautner: Also, auch nicht verrückt geht es nicht. Das ist vielleicht auch das, was uns von

[00:06:26]  KI unterscheidet. Wenn die KI programmiert ist, soweit ich das verstanden habe, dann macht

[00:06:32]  sie exakt das, wie sie programmiert ist. Wir sind natürlich als Menschen auch programmiert,

[00:06:37]  durch Genetik, durch Erziehung, aber dann überraschen wir uns doch immer sogar selbst. Das wird

[00:06:45]  der KI nicht passieren. Sie wird erstens keine Überraschungen liefern und schon gar nicht

[00:06:50]  wird sie merken, dass sie sich selbst überrascht. Erst dann wird sie bessere Romane schreiben.

[00:06:54]  Boris: Ja- Thomas Sautner: Entschuldige, weil, gerade beim Schreiben überrasch ich mich. Wenn ich nur das schreiben

[00:07:01]  würde, was ich vor hätte, wäre es ein furchtbar langweiliges Buch, dann wäre es ein Sachbuch,

[00:07:06]  im besten Fall. Aber es ist immer eine Überraschung, das Schreiben. Ich kann das auch jedem empfehlen,

[00:07:12]  muss nicht unbedingt publizieren, das Schreiben an sich ist ein wunderbares Instrument, um sich

[00:07:17]  selbst zu entdecken, um die Welt neu zu entdecken und erst durch den Prozess des Schreibens entstehen

[00:07:22]  Gedanken, entstehen Gefühle, die ohne diesen Prozess des Schreibens nicht entstehen würden.

[00:07:27]  Das ist wie so ein Zaubertrick von dem der Zauberer, nämlich in dem Fall wir Schriftsteller,

[00:07:32]  selbst nicht wissen, wie es funktioniert, aber es funktioniert. Boris: Es ist ja auch, wenn ich da

[00:07:36]  jetzt einen Gedanken von mir ergänzen darf, es ist ja auch so, wenn man selber irgendwo nicht weiter

[00:07:40]  kommt und spricht mit jemandem über das - monologisch - plötzlich kommen Lösungen.

[00:07:45]  Thomas Sautner: Oder, gerade vorher haben wir Mikro-Probleme, Mikroständer-Probleme, du hast deine

[00:07:50]  liebe Kollegin gebeten, ob sie uns helfen kann, sie ist hergekommen und während des

[00:07:55]  Herkommens hat es schon funktioniert. Boris: Jetzt wenn du beim Schreiben selbst überrascht wirst,

[00:08:00]  von dir, wann hast du das Gefühl oder passiert es immer wieder, dass du was schreibst und dann

[00:08:06]  liest du es und denkst: Wow, das war jetzt aber ein toller Satz, oder ... ? Thomas Sautner: Natürlich passiert das und

[00:08:11]  man darf nur nicht den Fehler machen, dann Minuten vergehen zu lassen und das noch einmal zu

[00:08:15]  lesen. [beide lachen] Jede Schriftstellerin, jeder Schriftsteller ist immer manisch und depressiv, natürlich, manisch, wenn man

[00:08:24]  kurz einmal glaubt, man hat was großartig Geniales geschrieben und depressiv, wenn man, wenn man

[00:08:28]  am nächsten Tag liest und drum ist es immer ein Arbeiten und Überarbeiten und wieder und

[00:08:34]  wieder überarbeiten, aber tatsächlich sind die Passagen, die Sätze, die Sentenzen am besten,

[00:08:41]  wo man am wenigsten getan hat, wo eben dieser Überraschungseffekt, dieses zweite Ich schreibt,

[00:08:47]  dann ist es gut und dann bleibt es auch gut nach mehrmaligem Kontrollieren und Lesen.

[00:08:51]  Boris: Wir sind schon fast am Ende der Zeit unseres "Kurz und Schmerzlos", man kann es auch "Kurz und

[00:08:58]  Bündig" nennen. Ich habe jetzt als letzte Frage noch die Frage, kannst du unseren Hörerinnen und Hörern

[00:09:05]  ein Buch empfehlen? Thomas Sautner: Also ich kann eigentlich alles von Richard Powers empfehlen, aber im Besonderen

[00:09:11]  vielleicht den Roman "Erstaunen". Sehr berührend, philosophisch großartig, habe ich mit Vergnügen

[00:09:17]  und Gänsehaut und großer Demut und Freude gelesen, sehr gut. Boris: Vielen Dank, Thomas, fürs Gespräch und

[00:09:23]  ich freue mich schon auf den heutigen Abend. Thomas Sautner: Ich mich auch, und auf viele Leserinnen und Leser

[00:09:28]  hoffentlich. Boris: Dankeschön. Thomas Sautner: Alles Liebe. [Outro-Musik]

[00:09:31]  [Boris spricht] S'Vorwort ist eine Produktion der Stadtbibliothek Innsbruck und Teil der Stadtstimmen,

[00:09:59]  dem Audiokanal der Stadt Innsbruck. [Boris spricht]

Transkription

[00:00:00]  [moduliert] Vorsicht, der Genuss dieses Podcasts kann zu vermehrten Bibliotheksbesuchen führen. [moduliert]

[00:00:07]  [Intro-Musik] Christina: Hallo und herzlich willkommen zurück zum Vorwort, den Podcast der Stadtbibliothek Innsbruck.

[00:00:28]  Mein Name ist Christina und die Pia kann heute leider nicht dabei sein.

[00:00:34]  Pia, wenn du das hörst, ganz liebe Grüße an dich.

[00:00:37]  Aber meine lieben Zuhörerinnen und Zuhörer, während Pias Abwesenheit natürlich extrem schade ist,

[00:00:43]  können wir jetzt einmal so ganz unter uns mal etwas Abwechslung ins Vorwort bringen.

[00:00:48]  Ihr kennt ja bereits die Shelley und die Jaci.

[00:00:52]  Die beiden haben bereits einige Folgen vom Vorwort gehostet

[00:00:55]  und jetzt haben sie der Pia und mir eine Lesechallenge gestellt und uns dazu herausgefordert.

[00:01:01]  Da können wir natürlich nicht nein sagen.

[00:01:03]  Wir setzen sogar noch eines drauf und rufen hiermit ganz offiziell das erste Podcast-Herbstlesefest aus.

[00:01:10]  Nur hier bei uns im Vorwort.

[00:01:12]  Was bedeutet das jetzt genau?

[00:01:14]  Im Oktober und November geht es bei uns literarisch zu.

[00:01:18]  Wir setzen uns gegenseitig literarische Challenges und lesen für -

[00:01:23]  und wenn ihr möchtet mit - euch Romane und besprechen sie dann in der darauffolgenden Episode.

[00:01:30]  Also, wir kündigen einen Roman in der Folge an, die ihr gerade anhört

[00:01:36]  und haben dann zwei Wochen Zeit hineinzuschmökern.

[00:01:40]  Die Folge da drauf nutzen wir, um uns zu besprechen, reden über den Roman,

[00:01:46]  geben Hintergrundinfos und interessante Fakten

[00:01:49]  und wenn ihr Lust und Laune habt, lest doch einfach mit.

[00:01:53]  Und weil es so viel lustiger für uns ist, werden die Hosts des Podcasts sich gegenseitig Lesechallenges setzen.

[00:02:01]  Wir lassen uns also überraschen und wissen bis zur Aufnahme der jeweiligen Folge gar nicht,

[00:02:06]  was wir mit euch als nächstes lesen.

[00:02:10]  Hören wir uns doch mal gemeinsam die Sprachnachricht an, die Shelley und Jaci uns hinterlassen haben:

[00:02:16]  [Beginn Sprachnachricht] Jaci: Hallo, liebe Christina, hallo, liebe Pia. Wir melden uns aus dem Off mit eurer Lesechallenge.

[00:02:24]  Shelly: Und zwar haben wir uns gedacht, da ja am 3.10., das ist er Donnerstag um 19 Uhr bei uns im Veranstaltungssaal,

[00:02:33]  die Lesung mit Thomas Sautner und seinem neuen Roman "Pavillion 44" stattfindet,

[00:02:39]  dass ihr euch da optimal darauf vorbereiten könnt und deshalb das Buch lesen könnt.

[00:02:44]  Jaci: Genau. [lacht] Also wir wünschen viel Spaß bei der Lektüre und wir hören uns in zwei Wochen. Shelly: Genau, viel Spaß. [Ende Sprachnachricht]

[00:02:51]  Das ist natürlich eine sehr gute Idee für eine Veranstaltung, die auch heute im Haus stattfindet.

[00:02:57]  Das heißt, heute ist der Tag, an dem der Podcast online geht, das ist der 3.10.

[00:03:02]  Bedeutet für alle Kurzentschlossenen in ins Prokundunggebung.

[00:03:07]  Damit ihr abschätzen könnt, ob ihr das Buch mit uns lesen möchtet,

[00:03:11]  schaut doch einfach in den Shownotes vorbei, dort findet ihr alle interessanten Fakten zu dem Buch,

[00:03:16]  mit Inhaltsangaben und worum es geht.

[00:03:19]  Ich freue mich sehr, danke Shelly und Jacqueline für die tolle Challenge.

[00:03:23]  Wenn ihr jetzt Lust bekommen habt, lest doch den Roman mit uns.

[00:03:27]  In zwei Wochen hören wir uns dann wieder und besprechen das Buch, was uns gefallen hat, was nicht so,

[00:03:33]  was es mit dem Titel auf sich hat und dann noch viele weitere Fun Facts rund ums Buch.

[00:03:37]  Ihr kommt nicht zum Lesen? Das ist egal.

[00:03:40]  Ihr könnt die Folge trotzdem mit genießen und euch inspirieren lassen.

[00:03:43]  Und dann vielleicht für das Buch, dass wir als nächstes zusammen lesen

[00:03:47]  und dann am Ende der nächsten Folge ankündigen werden.

[00:03:50]  Ihr habt das Buch gelesen oder lest es gar mit uns? Teilt uns eure Meinung mit

[00:03:56]  und unter allen Einsendungen haben wir einen ganz tollen Preis,

[00:04:00]  verlosen wir nämlich ein signiertes Exemplar von "Pavillon 44".

[00:04:04]  Schreibt uns dazu einfach auf Instagram

[00:04:07]  unter dem Handle "stadtbibliothek.innsbruck"

[00:04:11]  oder unter post.stadtbibliothek@innsbruck.gv.at.

[00:04:16]  Also, teilt uns eure Meinung.

[00:04:19]  Wir nehmen die in den Podcast mit auf und in unsere Diskussion über das Buch

[00:04:23]  und ihr habt die Chance ein signiertes Exemplar von "Pavillon 44" zu gewinnen.

[00:04:28]  Und, ein Vögelchen hat mir geflüstert, dass der Thomas Sautner

[00:04:33]  für ein kurzes Interview im Podcast zu hören sein wird.

[00:04:36]  Darauf sind wir natürlich besonders gespannt.

[00:04:38]  Damit bleibt mir nur noch euch ein gutes Lesen zu wünschen.

[00:04:42]  Vergesst nicht uns zu schreiben, wie es läuft.

[00:04:45]  Und wir hören uns in der nächsten Folge, in der wir "Pavillon 44" dann zusammen mit der Pia besprechen.

[00:04:51]  Tschüss und bis zum nächsten Mal. Schönes Lesen!

[00:04:54]  [Outro-Musik]

[00:05:16]  [Boris spricht] S'Vorwort ist eine Produktion der Stadtbibliothek Innsbruck und Teil der Stadtstimmen,

[00:05:23]  dem Audiokanal der Stadt Innsbruck. [Boris spricht]

 

Transkription

[00:00:00]  [Stimme moduliert] Vorsicht, der Genuss dieses Podcasts kann zu vermehrten Bibliotheksbesuchung führen. [moduliert]

[00:00:07]  [Intro-Musik] Christina: Hallo und herzlich willkommen zurück zum Vorwort, dem Podcast der Stadtbibliothek

[00:00:25]  Innsbruck. Ich bin die Christina und die Pia ist zu diesem Zeitpunkt, oder dem Zeitpunkt dieser

[00:00:32]  Aufnahme bei einer wichtigen Fortbildung, nämlich zu den Neuerscheinungen, die rund um den Oktober

[00:00:38]  herauskommen für die im Oktober anstehende Frankfurter Buchmesse. In der letzten Folge haben

[00:00:45]  die Pia und ich unsere Sprachgeschichte mit euch geteilt und euch erzählt, warum wir beide

[00:00:49]  Englisch sprechen und dem ein oder anderen oder der ein oder der anderen hoffentlich ein paar

[00:00:56]  Inspirationen mitgegeben, wie man den Start in eine andere Sprache findet. In der heutigen Folge

[00:01:03]  wird es einmal mehr um das Thema Mehrsprachigkeit gehen, diesmal jedoch nicht nur aus persönlicher

[00:01:10]  Sicht, sondern aus kulturhistorischer und vor allen Dingen bibliothekspädagogischer Sicht. Wie

[00:01:17]  bereits angekündigt habe ich mir dafür extra Hilfe geholt, nämlich einer Expertin. Heute ist

[00:01:23]  unsere liebe Kollegin die Veronika bei uns. Veronika, herzlich willkommen im Podcast. - Veronika: Ja,

[00:01:29]  hallo. - Christina: Möchtest du dich unseren Zuhörer*innen vorstellen, wie vielleicht einmal sagen, was

[00:01:35]  deine Rolle bei uns im Haus ist? - Veronika: Ja, ich bin Bibliothekarin hier im Haus mit dem Schwerpunkt

[00:01:42]  Zielgruppenarbeit. Das ist für uns so ein ganz geläufiges Wort. Ich sage vielleicht ganz kurz,

[00:01:47]  was wir darunter verstehen. In der Bibliothek bieten wir ja nicht nur Medien zum Verleih an,

[00:01:54]  wir bieten auch alle möglichen Veranstaltungen und Angebote zum Mitmachen, zum Dabei sein,

[00:02:02]  zum Zuhören, zum Diskutieren, zum Lernen, zum Philosophieren für unser Publikum an,

[00:02:08]  zum Dabei sein für verschiedene Zielgruppen. Das sind einerseits Kinder und Jugendliche,

[00:02:14]  das sind aber auch Erwachsene, Menschen mit spezifischen Bedürfnissen, wie zum Beispiel Menschen

[00:02:19]  mit Deutsch als Zweitsprache, Senioren und Seniorinnen. Aber im Grunde gehört jeder und

[00:02:26]  jede zu irgendeiner unserer Zielgruppen. Und wir entwickeln da spezifische Angebote auf

[00:02:32]  verschiedenen Ebenen. Das ist eigentlich meine hauptsächliche Aufgabe hier im Haus. - Christina: Genau, und du machst

[00:02:40]  all diese schönen Sachen, zum Beispiel hat es, natürlich mit Hilfe von anderen Kolleg*innen,

[00:02:47]  die das auch fleißig organisiert haben, - den Viktor kennt ihr schon, der war ja schon bei uns im Podcast

[00:02:53]  auch - das "Sprachcafé" zum Beispiel gegeben. - Veronika: Ja, das ist eine Sache, die wir begonnen haben in

[00:03:02]  unserem Zielgruppen-Team vor, ich glaube, ja vor drei Jahren, der sogenannte Sprach-Aperitivo,

[00:03:10]  wo wir einmal im Jahr, immer im Herbst, im September dazu einladen, mit zu plaudern in einer

[00:03:19]  Sprache, die jedes Mal eine andere ist. Wir hatten bereits Italienisch zu Gast. Wir hatten letztes

[00:03:26]  Jahr eine englische Tea-Time und wir hatten jetzt diese Woche Eric Ginestet bei uns zu Gast,

[00:03:36]  der auf Französisch uns ganz genau erklärt hat, welchen Wein zu welchem Käse man trinken [Christina lacht leise]

[00:03:45]  sollte. Und das sind immer sehr nette Veranstaltungen, wo es einfach darum geht, die Scheu zu verlieren,

[00:03:52]  in einer anderen Sprache zu sprechen, sich einfach spielerisch darauf einzulassen. Und das wird

[00:03:58]  immer auch sehr gut angenommen. - Christina: Ja, für alle, die noch nicht dabei waren, es ist wirklich

[00:04:03]  eine ganz besondere Veranstaltung, die auch auf der Fläche stattfindet bei unserem Lesecafé. Es

[00:04:10]  gibt immer was Gutes zum Essen, zum Probieren, zum Verköstigen, weil Sprache geht ja auch durch

[00:04:15]  den Magen oder so ähnlich. - Vero: [amüsiert] Genau. - Und es ist eine herrliche Stimmung. Also haltet Ausschau nach dem nächsten

[00:04:21]  Sprach-Apero und das lohnt sich total. Es ist eine ganze gemütliche Angelegenheit, ja, jedes Mal so

[00:04:30]  bezaubernd, auch wenn wir im Dienst sind. Wir mögen diese Tage sehr, sehr gerne. Veronika,

[00:04:35]  du hast ja eine besondere Beziehung zur französischen Sprache. Ist das richtig? - Veronika: Ja, auch. Ich bin selber

[00:04:44]  in einer binationalen Familie aufgewachsen. Meine Mutter ist Belgerin und mein Vater war Österreicher.

[00:04:54]  Wir sind hier in Österreich, in Innsbruck aufgewachsen. Aber wir waren natürlich auch ganz oft in

[00:05:00]  Belgien bei meiner Großmutter und dort wurden immer mehrere Sprachen gesprochen. Einerseits

[00:05:07]  natürlich Flämisch. Flämisch ist die belgische Variante des Niederländischen und andererseits

[00:05:13]  auch Französisch und natürlich auch Deutsch. Meistens ist es ja so, dass niederländisch-sprachige

[00:05:19]  Menschen Deutsch sehr gut verstehen. Umgekehrt ist es nicht ganz so. Das hat was

[00:05:23]  mit dieser Lautverschiebung zu tun. Da könnten jetzt Sprachwissenschafter*innen,

[00:05:27]  könnten uns das jetzt ganz genau erklären, warum das so ist. Und diese Vielfalt der Sprachen,

[00:05:32]  das war eigentlich für uns Kinder, also mich und meine Schwestern, immer schon Normalität.

[00:05:39]  Auch die Situation, dass man am Esstisch sitzt mit der Verwandtschaft und nicht alles versteht.

[00:05:44]  Also meine Mutter und meine Tanten, die haben dann Niederländisch gesprochen am Tisch, das

[00:05:50]  haben wir so halb verstanden. Und immer, wenn es dann um etwas gehen sollte, was wir Kinder nicht

[00:05:56]  verstehen sollten, was nur für Erwachsene war, sind sie ganz plötzlich ins Französische

[00:06:01]  gewechselt. Das konnten wir damals als Kinder noch nicht. - Christina: Aha! -  Und immer, wenn er plötzlich Französisch

[00:06:06]  gesprochen wurde, dann wussten wir, okay, jetzt geht es um irgendwas ganz, ganz spannendes, [Christina lacht]

[00:06:11]  ganz was Interessantes, was wir nicht wissen dürfen. Und im Laufe der Zeit hat man doch das eine

[00:06:17]  oder andere verstanden. Aber diese Situation mehrerer Sprachen, die Situation einen Teil zu verstehen,

[00:06:27]  einen Teil nicht zu verstehen, das ist mir von Kindheit aus schon sehr vertraut. Ja. - Christina: Und ich

[00:06:33]  bin mir, ich kann mir vorstellen, dass das auch ein sehr nützliches Wissen ist, auch für deine Arbeit,

[00:06:39]  auch was die Arbeit an der Sprache und an den Sprachen betrifft. Die Pia und ich haben uns ja

[00:06:47]  letzte Folge darüber ausgetauscht, wie das ist eine Zweitsprache, wir haben es genannt,

[00:06:51]  zu "adoptieren". Und aus der sehr privilegierten Position heraus, das über den Bildungsweg

[00:06:56]  freiwillig zu machen in dem Land, wo wir eigentlich unsere Erstsprache sprechen,

[00:07:03]  wo unsere Erstsprache die Amtssprache ist und wo wir eigentlich eher suchen müssen,

[00:07:10]  um unsere "adoptierte Zweitsprache", also Englisch um uns zu haben, so ein bisschen. Deswegen,

[00:07:16]  was du gerade schilderst, ist ja dann eine ganz andere Situation. Wir haben ja sehr viele

[00:07:21]  Menschen, die in Österreich auch leben, die das nicht unbedingt freiwillig haben,

[00:07:27]  dass sie in diese Zweitsprache Deutsch eintauchen. Ja. - Veronika: Ja. Also ich glaube, generell mehrsprachig

[00:07:38]  aufzuwachsen oder im Laufe seines Lebens mit mehreren Sprachen zu leben, fördert auch

[00:07:47]  das Sprachbewusstsein ganz stark. Und ich glaube, man sieht das auch, wenn man jetzt die aktuelle

[00:07:54]  deutschsprachige Literatur nimmt, dann gibt es da ganz viele Autoren und Autorinnen, die Deutsch

[00:08:01]  als Zweitsprache haben und aber hervorragend auf Deutsch schreiben. Also wenn man jetzt zum Beispiel

[00:08:08]  den heurigen Bachmannpreisträger nimmt, Tijan Sila, übrigens ganz große Leseempfehlung.

[00:08:15]  Tijan Sila ist in Bosnien aufgewachsen und dann mit der Familie auch als Folge des

[00:08:22]  Bosnienkrieges nach Deutschland ausgewandert in seinen Jugendjahren und schreibt jetzt auf

[00:08:30]  Deutsch und im deutschen Sprachraum gibt es ja ganz viele Kulturschaffende, die Deutsch sich erst

[00:08:37]  sekundär, also als Zweitsprache angeeignet haben und jetzt sehr produktiv mit dieser Sprache umgehen.

[00:08:45]  Also Mehrsprachigkeit kann auch ein Kick sein quasi in die Kreativität und in einen sehr

[00:08:54]  bewussten, sehr reflektierten Umgang mit Sprache. - Christina: Du hast gesagt, es stärkt das Sprachverständnis und

[00:09:02]  ich finde, es stärkt auch die Empathie, weil Kommunikation verläuft ja auch nicht nur auf

[00:09:09]  sprachlicher Ebene natürlich und gerade wenn man in die Situation kommt, wo man sich vielleicht

[00:09:14]  sprachlich nicht versteht, lernt man umso besser andere Kommunikationsmodelle kennen.

[00:09:20]  Veronika: Absolut, ja und ich würde auch nur dazu sagen, jede Sprache hat ja auch eine andere, bringt eine

[00:09:31]  andere Kultur der Kommunikation mit sich. Man drückt sich anders aus. Es sind nicht nur andere

[00:09:38]  Wörter und eine andere Grammatik, es ist eine andere Art des sprachlichen Verhaltens. Also zum

[00:09:46]  Beispiel hat meine Mutter immer wieder erzählt, wie sie nach Österreich kam in den 60ern nach

[00:09:52]  Tirol in ein damals noch sehr traditionell geprägtes Tirol. Sie war wirklich eine Exotin quasi

[00:09:58]  als Ausländerin hier - war sie verwundert, wie wenig man eigentlich mit Kindern spricht. Also

[00:10:05]  wie sie war einen viel sprachlicheren Ausdruck, ein viel stärkeres Sprechen miteinander, ein

[00:10:16]  Einbetten in zärtliche Worte. Also wir wurden als Kinder wirklich eingepackt in ganz viel

[00:10:25]  sprachliche Liebkosung. Ich will jetzt mit sagen, dass man in Tirol nicht zärtlich mit Kindern ist!

[00:10:32]  Aber, es ist eine andere Art. Zum Beispiel im Flämischen gibt es diese sehr zärtlichen Verkleinerungsformen

[00:10:40]  von Namen. Also jeder Name wird irgendwie abgewandelt. Man ist nicht "Veronika", man ist

[00:10:49]  "Veronika-ke", oder "Veronique-kske" und so ist jeder wird so mit Zärtlichkeit benannt. Und das hat

[00:11:00]  ein ganz anderen Stellenwert. Und für sie war dieser eher rauer Ton bei uns, der ja auch eine

[00:11:06]  gewisse Ästhetik hat, das würde ich gar nicht absprechen, aber dieser eher raue Ton war für

[00:11:13]  sie sehr befremdlich am Anfang. Und so bringt jede Sprache, bringt ihre Kultur mit, des Miteinanders,

[00:11:19]  und da gibt es dieses wunderschöne Zitat von Walter Benjamin: "Jede Sprache teilt sich selbst mit."

[00:11:27]  Also jede Sprache ist nicht nur ein Medium, etwas zu transportieren, sondern jede Sprache hat auch

[00:11:33]  ihre eigene Botschaft, ihren eigenen Inhalt. Und ich glaube, egal ob man in einer Sprache

[00:11:42]  aufwächst, mehrsprachig aufwächst oder Sprache sich sekundär dann noch einmal aneignet,

[00:11:47]  einfach sich darauf einzulassen auf eine andere Sprache, birgt schon das Potenzial,

[00:11:55]  dass man die eigene Weltsicht ein bisschen vergrößert. Und deshalb ist es das Wert auf jeden Fall,

[00:12:02]  auch sich mit Sprachen auseinanderzusetzen. - Christna: Findest du das Sprache was mit Identität zu tun hat?

[00:12:09]  Veronika: Unbedingt. Unbedingt. Also es beginnt schon bei der Stimme. Man moduliert ja auch die Stimme anders,

[00:12:18]  wenn man es in einer anderen Sprache spricht. Sprache kommt ja auch, wenn man es mal ganz basal

[00:12:26]  sehen, aus dem Körper über unseren Stimmapparat. Sprache hat ganz viel damit zu tun, wer wir sind,

[00:12:34]  als wer wir auch gesehen werden wollen und was uns ausmacht. Und sehr viele Menschen, die migriert

[00:12:43]  sind und jetzt in einem anderen Ort, in einer anderen Sprache leben, beschreiben dann auch so diesen

[00:12:48]  Zeitpunkt, wenn sie beginnen, nach vielen Jahren in einer anderen Sprache, in einer neuen, erworbenen

[00:12:55]  Sprache zu träumen. Das ist dann auch oft so - zeigt dann so das tiefere Eintauchen in eine Sprache.

[00:13:05]  Und ein sehr schönes Beispiel, auch literarisch, wenn man sich das anschauen will, was Sprache mit

[00:13:11]  Identität zu tun hat, zum Beispiel Elias Canetti, der ja also ganz wichtiger, großer Autor des

[00:13:20]  20. Jahrhundert, der auf Deutsch geschrieben hat, der mit vier Sprachen aufgewachsen ist. Er ist ja in

[00:13:28]  Rustchuk [red. Anm.: heute Ruse] geboren. Das ist im heutigen Bulgarien in einer jüdischen Familie, einer sephardisch-jüdischen

[00:13:39]  Familie. Das heißt, die haben zu Hause Ladino gesprochen, die Sprache der sephardischen Juden

[00:13:45]  und Jüdinnen, waren dann aber auch von Bulgarisch umgeben, natürlich in der Umgebung, auch von

[00:13:52]  Türkisch, weil es noch durch das Osmanische Reich so geprägt war. Das war ja auch die Region,

[00:13:57]  war Teil des Osmanischen Reiches auch lange Zeit. Und seine Eltern haben aber miteinander nur

[00:14:04]  als Paar Deutsch gesprochen, ganz exklusiv. Die Kinder sollten es nicht verstehen. Und er hat dann

[00:14:12]  erst, wie sein Vater verstorben ist, von seiner Mutter Deutsch gelernt oder auf Deutsch geschrieben.

[00:14:17]  Und er hat dann aber später noch gesagt, dass zum Beispiel sein bulgarisches Kindermädchen,

[00:14:25]  hat ihm auf Bulgarisch Märchen erzählt. Und er hat dann später im Leben gesagt, er könnte jetzt

[00:14:30]  keinen Satz mehr

[00:14:32]  auf Bulgarisch sagen. Er würde die Sprache nicht mehr so herbringen, aber dieser Klang,

[00:14:37]  der Bulgarischen Märchen, die ihm sein Kindermädchen erzählt hat, dieser Klang, den hört er immer noch und

[00:14:47]  der beeinflusst auch sein literarisches Werk auf Deutsch. Also so lassen sich Sprachen auch nicht

[00:14:55]  wirklich so trennen. Jede Sprache, die in unser Leben tritt, beeinflusst auch unser Sprachgefühl,

[00:15:03]  unser Gefühl für Rhythmus, für Klangfarbe, für Sprachmelodie. Und ja, in der Literatur kann

[00:15:11]  man das sehr gut nachvollziehen. Aber es ist auch für uns alle, auch für die, die nicht schreiben,

[00:15:17]  etwas, was sehr wichtig ist in unserem Leben und dem wir auch mehr Aufmerksamkeit schenken sollten.

[00:15:23]  Christina: Mhm. Und vor allen Dingen auch die positive Aufmerksamkeit, die das eigentlich verdient. Im Vorgespräch oder

[00:15:31]  im Vorfeld unserer Aufnahme haben wir uns ja über ein paar Themen schon ausgetauscht und da hast

[00:15:39]  du auch gesagt, dass es kulturhistorisch eigentlich die Normalität war, mehrsprachig zu sein. Du hast

[00:15:47]  jetzt schon mehrere Beispiele genannt, also von -  wie viele Menschen, in dem Fall Literaten, du selber

[00:15:56]  eben auch mehrsprachig, also ganz selbstverständlich mehrsprachig aufgewachsen sind. Kannst du uns

[00:16:02]  da aus diesem kulturhistorischen Aspekt noch was sagen, weil heute hat man ja das Gefühl manchmal

[00:16:08]  im öffentlichen Diskurs, als wäre die Mehrsprachigkeit was Neues und eventuell sogar was Schlechtes,

[00:16:16]  was wir und ich glaube, dass du mir dazustimmen wirst, ja überhaupt nicht so sehen. Oder? - Veronika: Mhm, ja. - Und vielleicht

[00:16:24]  kannst du da was dazu sagen ... Veronika: Ja, also wenn man sich die Geschichte Europas jetzt genauer anschaut,

[00:16:30]  das Denken, das ein Staat eine Sprache hat, das ist ja eigentlich erst mit der Entstehung der

[00:16:42]  modernen Nationalstaaten, vor allem im 18. und 19. Jahrhundert entstanden. Wenn wir jetzt zum

[00:16:49]  Beispiel Frankreich als Beispiel nehmen. In Frankreich gab es viele Sprachen, viele regionale

[00:16:56]  Sprachen, Okzitanisch, Bretonisch, an der Grenze im Grenzraum zu den Niederlanden,

[00:17:04]  Flämisch, im Grenzraum zu Spanien, Katalanisch. Also da gab es viele Sprachen und es war auch

[00:17:14]  einfach dann irgendwann der politische Wille eine nationale einheitliche Sprache zu haben.

[00:17:20]  Und diese kleinen Sprachen, die regionalen Sprachen, die Minderheitensprachen,

[00:17:25]  wurden ja auch in einem, im weitesten Sinn, gewalttätigen Prozess eigentlich, ja, es wurde ihnen

[00:17:34]  einfach kein Platz mehr geboten. Und teilweise wurden solche Sprachen dann auch verboten in

[00:17:40]  dieser Entstehung der modernen Nationalstaaten. Und es gab einfach viele Regionen, die über die

[00:17:47]  Geschichte hinweg immer zweisprachig waren, wenn man zum Beispiel das Elsass nimmt, wo ja

[00:17:52]  Deutsch und Französisch immer präsent waren, aber auch wenn man Osteuropa nimmt,

[00:17:58]  wo viele Regionen mehrere Sprachen hatten. Und es natürlich auch immer politische Fragen waren

[00:18:03]  und auch das Ergebnis von kriegerischen Auseinandersetzungen war, welche Sprache sich wo durchsetzt.

[00:18:10]  Auch in Österreich haben wir ja Minderheitensprachen wie Kroatisch und Slowenisch und

[00:18:17]  denke mir moderne Demokratien heute zeichnen, kann man ja immer auch danach beurteilen,

[00:18:24]  wie gehen sie mit ihren Minderheitensprachen um. - Christina: Mhm. -  Es ist ja auch so ein Gradmesser für den Umgang

[00:18:32]  mit Vielfalt, wie viel Verschiedeneheit darf denn sein, darf denn auch normal sein? Und gerade in

[00:18:40]  Europa waren ja auch immer viele Leute insofern zweisprachig, zum Beispiel Latein war lange

[00:18:47]  Zeit die [betont] Sprache nicht nur der Religion, sondern auch der Wissenschaft. Bis ins 18. Jahrhundert wurde an

[00:18:54]  den Universitäten Latein als Sprache einfach auch gesprochen, später dann Französisch als Sprache

[00:19:00]  des Adels oder der Diplomatie, dann natürlich auch die Juden und Jüdinnen, die ja meistens auch eine

[00:19:07]  zweite Sprache, sei es Jiddisch, sei es Ladino mitgebracht haben und gepflegt haben. Also viel,

[00:19:15]  viel mehr Menschen waren mehrsprachig als wir das heute so glauben, dass früher alles so einheitlich

[00:19:23]  gewesen wäre. - Christina: Und unseren Zuhörerinnen ist vielleicht auch bereits aufgefallen, dass wir im

[00:19:30]  Podcast vor allem die Begriffe "Erst- und Zweitsprache" nutzen. Man nennt es ja aber doch noch

[00:19:38]  auch anders, gerade im Alltag. Wie stehst denn du zu den Begriffen "Fremdsprache" und "Muttersprache"?

[00:19:45]  Beziehungsweise: Warum entscheiden wir uns in Bibliothekskontext dafür, diese anderen Begriffe zu verwenden?

[00:19:56]  Ja, "Fremdsprache" ist natürlich mit diesem Wort "fremd" irgendwie behaftet mit so einer Bewertung,

[00:20:06]  mit die wir nicht so gerne verwenden. Deshalb sprechen wir eher von "Zweitsprache". Das Wort

[00:20:14]  "Muttersprache", ich finde, das gibt es viele verschiedene Ebenen. Einerseits hat es natürlich

[00:20:22]  auch was Schönes, die allermeisten von uns lernen ihre erste Sprache doch in der Kommunikation auch

[00:20:31]  mit ihrer Mutter oder mit jener Person, die diese Mutterrolle, ob das dann eine Frau oder ein Mann

[00:20:39]  ist, diese Mutterrolle auch einnimmt. Es zeigt auch, dass Sprache ja eingebettet ist in einer

[00:20:48]  soziale Beziehung, in dem Fall die erste, wichtigste kindliche Beziehung. Aber natürlich ist das Wort

[00:20:56]  "Muttersprache" auch irgendwo ideologisch aufgeladen, genauso wie das Wort "Heimat" ideologisch aufgeladen

[00:21:05]  ist. Ich glaube nicht, dass wir jetzt irgendwelche Wörter aus unserem Wortschatz komplett verbannen

[00:21:13]  müssen. Es geht darum, wie bewusst wie sie verwenden. - Christina: Es geht um achtsames Verwenden der Wörter. - Veronika: Genau. - Christina: Also

[00:21:20]  wir schließen die jetzt nicht unbedingt aus unserem Sprachgebrauch aus. Uns geht es darum,

[00:21:26]  achtsam mit all unseren Mitmenschen umzugehen. Und ich stimme dir da in allen zu, außer vielleicht

[00:21:32]  im Begriff "Muttersprache", weil für mich ist die, aber da hast du ja auch schon was dazu gesagt,

[00:21:38]  dass "Mutter" als Wort ideologisch aufgeladen ist, unabhängig von "Sprache". Aber ich glaube,

[00:21:45]  das wäre noch einmal ein eigener Podcast. - Veronika: Da könnten wir sehr viel darüber reden. Also das Thema

[00:21:51]  Mutter ist natürlich generell emotional, ideologisch, gesellschaftlich auch natürlich was Gender

[00:22:01]  betrifft unglaublich mit Bedeutungen aufgeladen. Aber das zeigt ja auch wieder das Interessante an

[00:22:06]  Sprache. Kein Wort steht für sich alleine, sondern bringt immer ganz viel Kontext mit sich. - Christina: Du hast

[00:22:15]  vorhin von einem, wie ich finde, plädiert für einen wertschätzenden Umgang mit verschiedenen

[00:22:22]  Sprachen, seien es die, ich nenn es jetzt mal grob "Amtsprachen" oder die "Hauptsprachen" in

[00:22:28]  einem Land oder die Minderheitensprachen. Und das ist auch etwas, das du in der Programmengestaltung

[00:22:36]  darzustellen versuchst. Und das erste woran ich da denke, ist das Bilderbuchkino. Das hat nämlich

[00:22:43]  eine Besonderheit. Welche ist das denn? - Veronika: Wir haben immer wieder für Kinder im Vorschulalter mit ihren

[00:22:52]  begleitenden Erwachsenen Veranstaltungen, die nennen sich dann Vorlesezeit oder Familienmatinee,

[00:23:00]  häufig mit einem Bilderbuchkino. Und die machen wir, nicht immer, aber doch in regelmäßigen

[00:23:08]  Abständen in mehreren Sprachen, zweisprachig, um auch die Situation zu schaffen, dass auf der Bühne

[00:23:16]  eine zweite Sprache gesprochen wird. Und das schafft noch einmal eine andere Ebene, also zu sehen,

[00:23:27]  auch für Menschen, die nicht Deutsch als Erstsprache haben. "Meine Sprache wird hier nicht nur akzeptiert",

[00:23:36]  irgendwie, oder respektiert, "sie wird auch auf die Bühne geholt." Das schafft noch einmal ein zusätzliches

[00:23:44]  Stück Wertschätzung für eine Sprache. Gleichzeitig gestalten wir das dann immer so, dass es in jeder,

[00:23:51]  auch für diejenigen, die diese Sprache dann nicht sprechen, auf Deutsch gut alles nachvollziehbar ist

[00:23:58]  und auch wenn man jetzt die andere Sprache nicht beherrscht, man alles versteht. Man ist dann aber

[00:24:05]  in der Situation, dass man nicht jeden einzelnen Satz, der auf der Bühne gesprochen wird, versteht.

[00:24:09]  Und diese Situation des Nichtverstehens einzelner Teile ist auch ganz wichtig im Hinblick auf das

[00:24:20]  Sprachbewusstsein. Wenn ich selber mal mich dieser Situation ausgesetzt habe, ich verstehe

[00:24:26]  irgendwas nicht, wie man es ja auch oft auf Reisen hat. Man ist umgeben vielleicht von Leuten und

[00:24:32]  man versteht einfach kein Wort. Das ist ja auch eine Situation der Unsicherheit. Aber sich dem

[00:24:38]  auszusetzen finde ich ganz wichtig. Weil es dann wieder eben, wie du vorhin auch erwähnt hast,

[00:24:45]  die Empathie stärkt, wie es anderen ergeht, wenn sie hier sind und vieles nicht verstehen. Und wir

[00:24:52]  wollen damit auch, dass was unser Credo ist in unserem Zielgruppenarbeits-Team ist, wir wollen ein

[00:24:59]  sprachenfreundliches Umfeld schaffen. Zu zeigen: "Ihr, die ihr zu uns in die Bibliothek kommt, ihr seid mit

[00:25:11]  all euren Sprachen hier willkommen." - Christina: Und dazu haben wir neben den Lesezeiten für die Kinder auch andere

[00:25:21]  Angebote, zum Beispiel die "Lesezeit in einfachem Deutsch", die von einer lieben Kollegin organisiert

[00:25:28]  wird. Das ist ohne Anmeldung für jeden, der seine Deutschkenntnisse verbessern will. Man kann

[00:25:34]  einfach vorbeikommen ab dem Niveau A2 bis zu, also A2/B1 grob. Aber wenn man sich nicht sicher ist,

[00:25:44]  einfach vorbeischauen und das Ganze auf sich wirken lassen. Wir haben natürlich dann noch Medien

[00:25:51]  zu Deutscher als Zweitsprache im Haus und zwar von der Vorschule weg, wirklich über alle Altersgruppen

[00:25:57]  hinweg bis zu den Erwachsenen hin. Auch da kann man einfach vorbeikommen und sich von uns helfen

[00:26:06]  lassen oder beraten lassen oder einfach nur was ausleihen. Und natürlich stehen auch alle anderen

[00:26:12]  Angebote in der Stadtbibliothek zur Verfügung. Und wir haben, wenn man dann dann mal vielleicht in einer

[00:26:18]  Erstsprache lesen will, durchaus auch Erstsprachebücher da auf verschiedenen Sprachen, sei es - wir haben

[00:26:25]  jetzt gesprochen über Französisch, äh Französisch, Spanisch, Englisch sowieso, haben wir ja letzte

[00:26:30]  Woche schon geklärt, aber auch Arabisch, Türkisch und Russisch. - Veronika: Ja, was ich auch noch betonen möchte

[00:26:40]  ist, dass in unserem Team, wir machen ja sehr viel Beratung auch für die Leute, die zu uns in die

[00:26:47]  Bibliothek kommen und wir bemühen uns - wir können natürlich nicht alle Sprachen abdecken, aber wir

[00:26:54]  haben doch einige Kolleginnen und Kollegen im Team, die in verschiedenen Sprachen beraten können,

[00:27:00]  auf Englisch natürlich, auf Französisch, auf Spanisch, wir haben einen Kollegen, der Arabisch spricht.

[00:27:06]  Also wir bemühen uns auch da - Christina: Italienisch. - Veronika: Italienisch, haben wir auch eine Kollegin natürlich, die Italienisch

[00:27:13]  als Erstsprache hat. Also wir bemühen uns auf vielen Ebenen, den Leuten da entgegenzukommen und auch

[00:27:20]  zu zeigen, dass wir da offen sind und auch wenn jemand kommt, wo wir die Sprache, also wo wir jetzt

[00:27:28]  niemanden im Team haben, der das sprachlich abdecken kann. Ja, wir haben immer noch Wege gefunden,

[00:27:36]  auch Leute zu unterstützen, dass sie das finden, was sie bei uns suchen und bei uns brauchen,

[00:27:43]  auch wenn es sprachliche Barrieren gibt, dass man da versucht entgegenzukommen. - Christina: Und mit diesem

[00:27:51]  schönen Schlusswort, Veronika, ich möchte mich ganz herzlich bedanken für deine Zeit, für deine

[00:27:57]  Expertise und für dieses sehr angenehme und informative Gespräch. - Veronika: Danke schön. - Christina: Dann verabschieden

[00:28:04]  wir uns heute vom Vorwort. Ihr schaltet einfach das nächste Mal wieder ein. Es geht spannend weiter

[00:28:10]  im Oktober. Schreibt uns, teilt uns doch mal eure Erstsprache mit, sollte die nicht Deutsch sein.

[00:28:17]  Ihr könnt das machen auf post.stadtbibliothek@innsbruck.gv.at oder auch gerne auf Instagram oder auf

[00:28:26]  Facebook. Bis dahin, alles Gute! [Outro-Musik]

[00:28:29]  [Pia spricht] Das Vorwort ist eine Produktion der Stadtbibliothek

[00:28:58]  Innsbruck und Teil der Stadtstimmen, dem Audiokanal der Stadt Innsbruck. [Pia spricht]

Transkription

[00:00:00]  [Stimme moduliert] Vorsicht, der Genuss dieses Podcasts kann zu vermehrten Bibliotheksbesuchen führen. [Stimme moduliert]

[00:00:06]  [Intro-Musik] Christina: Hallo und herzlich willkommen zurück zum Vorwort, dem Podcast der Stadtbibliothek Innsbruck.

[00:00:27]  Mein Name ist Christina - Pia: und ich bin die Pia -

[00:00:30]  Christina: Und nach einer kurzen krankheitsbedingten Pause sind wir jetzt wieder da

[00:00:35]  mit der nächsten Folge. Dieses Mal haben wir die nächsten zwei Folgen, also sowohl diese als auch die nächste, unter das Motto "Sprachen" gestellt. Gell Pia?

[00:00:46]  Pia: Ja genau.

[00:00:47]  Christina: Nachdem der September nämlich in der ganzen Stadtbibliothek im Zeichen des Themas "Sprache" steht,

[00:00:53]  befassen wir uns jetzt in den nächsten zwei Folgen damit. In der heutigen Folge weihen Pia und ich euch in unsere eigene Sprachgeschichte ein.

[00:01:03]  Und wir möchten euch auffordern, eure Erfahrungen mit Zwei- oder Mehrsprachigkeit auch sehr gerne mit uns zu teilen.

[00:01:11]  Wie immer könnt ihr uns dazu unter dem Hashtag #GemeinsamBesser auf Instagram unter dem Handle "stadtbibliothek.innsbruck" schreiben

[00:01:19]  oder aber auch sehr gerne eine Mail an post.stadtbibliothek@innsbruck.gv.at.

[00:01:28]  Schildert uns eure Erfahrungen und wir teilen sie dann miteinander und mit unseren anderen Zuhörerinnen und Zuhörern im Podcast.

[00:01:37]  In der nächsten Folge wird uns dann unsere liebe Kollegin Veronika besuchen.

[00:01:42]  Sie wird sich zwar dann selber natürlich noch vorstellen, aber so viel sei verraten:

[00:01:47]  Sie ist für viele Veranstaltungen und Projekte bei uns im Haus verantwortlich, ist selber zweisprachig aufgewachsen

[00:01:54]  und wird uns dann aus sowohl persönlicher sowie auch aus bibliothekspädagogischer Sicht Einblicke in die Vorteile von Mehrsprachigkeit geben.

[00:02:06]  Weil Pia, du bist ja nächste Woche auf Fortbildung, gell? Was machst du denn da Schönes?

[00:02:12]  Pia: Ja, ich bin am Wolfgangsee. Da geht es dann um Neuerscheinungen, spezifisch um die Frankfurter Buchmesse.

[00:02:21]  Was ist denn alles für neue Bücher gibt, nicht nur Romane, sondern auch Sachbücher und Kinder- und Jugendbücher.

[00:02:27]  Ich bin schon ganz gespannt.

[00:02:29]  Christina: Das glaube ich dir.

[00:02:30]  Ja, und jetzt wollen wir euch nicht länger auf die Folter spannen und wollen wir gleich auf unser heutiges Thema zu sprechen kommen, nämlich unsere Sprachgeschichte.

[00:02:37]  Wir glauben nämlich, dass die Sprachgeschichte von ganz vielen Menschen widerspiegelt und insbesondere wahrscheinlich auch einfach unserer Generation.

[00:02:46]  Wir haben uns ja irgendwann in der Vergangenheit schon geoutet. Pia, wir sind beide Millennials.

[00:02:51]  Ich so in der Mitte, du am unteren Rand.

[00:02:54]  Und ja, da gibt es natürlich gewisse Globalisierungstendenzen, wo man dann- ich kann's ja schon mal spoilern, verraten, Englisch lernt.

[00:03:06]  Pia: Ja, das geht glaube ich jedem und jeder so.

[00:03:09]  Christina: Vielen.

[00:03:10]  Pia: Ja, vielen.

[00:03:11]  In Österreich zumindest.

[00:03:14]  Christina: Und wir wissen ja, dass sehr, sehr viele von euch, lieben Zuhörerinnen und Zuhörern da draußen, auch mehrsprachig seid.

[00:03:21]  Und das hat vermutlich ganz verschiedene Gründe:

[00:03:25]  In eurer Familie werden mehrere Sprachen gesprochen oder ihr hattet eine Sprache in der Schule, die es euch besonders angetan hat.

[00:03:33]  Oder vielleicht habt ihr auch einfach beschlossen, euch ein neues Hobby zuzulegen und euch für einen Sprachkurs eingeschrieben,

[00:03:40]  vielleicht am Wifi oder online per App.

[00:03:43]  Bei mir war es in jedem Fall eine Mischung aus Bildungsweg und Interesse.

[00:03:50]  Meine Zweitsprache ist Englisch.

[00:03:55]  Also inzwischen kann ich auch sagen, dass ich Englisch fließend spreche, schreibe und auch verstehe.

[00:04:02]  Auch - oder [verfällt in starken Tiroler Dialekt] a wenn man beim Reden no die Tirolerin durchmerkt. [lacht]

[00:04:07]  Besonders, wenn wir uns unten mit internationalen Gästen unterhalten und man gerade aus einer deutschsprachigen Beratung kommt,

[00:04:18]  ist es immer ein bisschen schwierig, um zu switchen, oder?

[00:04:20]  Pia: Ja, ich finde auch, also ich kann eigentlich gut Englisch reden, aber in dem Moment bin ich dann immer so,

[00:04:25]  ich bin jetzt gerade nicht drauf eingestellt, Englisch zu reden.

[00:04:27]  Das ist manchmal zu schnell, dieser Switch.

[00:04:29]  Christina: [schmunzelnd] Und dann hör ich so den plattesten Dialekt in meinem Englisch.

[00:04:33]  Also eigens dafür studiert in "British English",

[00:04:36]  wo es ja extra Kurse und Seminare und Tests gab, ob man ja "British English" genug spricht.

[00:04:44]  [seufzt] Aber dann schaut man eine Staffel Bridgerton und dann geht es wieder. [beide lachen]

[00:04:50]  Bei mir ist es so, ich habe zwar auch noch ganz viele andere Sprachen gelernt,

[00:04:55]  bzw. angefangen zu lernen und lerne sie auch noch.

[00:04:59]  Aber Englisch ist die Sprache, bei der ich sagen würde, dass ich da so ziemlich auf dem Erstsprachenniveau bin inzwischen.

[00:05:06]  Und wie bei sehr vielen anderen und wie es sicher bei vielen von euch auch der Fall ist, gehört sie

[00:05:14]  und ganz unabhängig vom Sprachniveau, ganz selbstverständlich zu meinem Alltag.

[00:05:20]  Pia, wie ist es bei dir? Welche Sprache sprichst du, als, was ist denn deine Zweitsprache?

[00:05:29]  Pia: Also ich bin einsprachig aufgewachsen, wie du.

[00:05:33]  Aber das Lesen in anderen Sprachen war für mich auch immer Teil vom Lernprozess.

[00:05:38]  Ich finde, das hilft auch, dass man mehr in die Sprache hineinkommt, dass es Normalität wird.

[00:05:43]  Bei mir war es auch Englisch, wie eben so vielen anderen auch gegangen ist und geht.

[00:05:49]  Und bei mir waren es vor allem am Anfang Kinderbücher, die mir geholfen haben, dass ich reinkomme,

[00:05:54]  eben Harry Potter, die Percy Jackson, weil da einfach die Sprache doch ein bisschen, jetzt nicht simpler,

[00:06:02]  aber halt doch ein bisschen einfacher, ein bisschen kindergerechter ist und dann kommt man besser rein in das Ganze.

[00:06:07]  Ich habe es dann auch ein bisschen Französisch und Italienisch gelernt, aber das war gleich einmal vorbei.

[00:06:13]  Da habe ich auch ein bisschen in die Sprachen lesen angefangen, Der kleine Prinz zum Beispiel auf Französisch,

[00:06:18]  aber das war eher sehr zurückhaltend, sagen wir es mal so.

[00:06:23]  Und was ich auch ansprechen wollte ist, dass ich nicht nur die Sachen gelesen habe, um eben die Sprache zu lernen,

[00:06:29]  sondern auch angeschaut habe. Also für mich waren generell Medien auf Englisch dann sehr wichtig.

[00:06:34]  Ich habe zum Beispiel dann auch sehr, sehr viele Kinderfilme auf Englisch geschaut,

[00:06:38]  weil auch wieder das Gleiche, Kinderfilme halt einfacher als Erwachsenenfilme.

[00:06:42]  Vor allem die Disneyfilme, das wird halt alles in einem Studio aufgenommen und dann ist es halt nur einfacher zu konsumieren.

[00:06:48]  Das hat mir zum Beispiel total geholfen.

[00:06:50]  Christina: Das ist interessant, stimmt eigentlich, der Punkt mit: Alles, was im Studio aufgenommen wird, ist natürlich einfacher zu verstehen.

[00:06:57]  Pia: Genau, und da wollte ich auch nochmal darauf hinweisen, weil wir haben ja auch DVDs und Filme in der Bücherei,

[00:07:03]  sowohl vor Ort als DVD, aber auch digital zum Streamen auf Filmfriend.

[00:07:09]  Und Filmfriend hat sogar extra eine Collection zusammengestellt, wo es nur um Originalversionen geht,

[00:07:17]  was vielleicht auch recht interessant ist für unsere Zuhörer*innen.

[00:07:20]  Christina: Und bei Filmfriend kann man, Pia, glaube ich, auch die Sprache verstellen, ist das richtig?

[00:07:25]  Christina: Genau, also es gibt Originalversionen, es gibt auch Originalversionen mit Untertiteln,

[00:07:29]  aber man kann auch zwischen den Sprachen hin und her wechseln.

[00:07:32]  Bei uns bei DVDs vor Ort geht das natürlich auch.

[00:07:35]  Christina: Und es ist toll, dass wir einen riesigen Auswahl an Filmen für verschiedene Altersgruppen haben.

[00:07:41]  Das heißt, es gibt sowohl jetzt bei Filmfriend als auch vor Ort Kinderfilme, Jugendfilme und Filme für Erwachsene.

[00:07:51]  Und das ist dann eigentlich super.

[00:07:55]  Also wenn mich jemand fragt, wie soll - "Ich lernen gerade X/Y-Sprache, was soll ich machen?"

[00:08:00]  und dann sage ich auch immer auf jeden Fall auch Medien, also Konsum von, egal was in der Zielsprache.

[00:08:09]  Pia: Ja, weil das hilft einfach, man kommt dann einfach mehr in das Ganze rein.

[00:08:13]  Und in Englisch bin ich inzwischen auch soweit, dass es einfach zu meinem Alltag gehört,

[00:08:17]  und egal ob das jetzt ein YouTube-Video ist oder ein Film oder ein Buch, das ist egal,

[00:08:22]  aber da ist man einfach viel mehr reingekommen und es ist einfach Normalität geworden,

[00:08:26]  dass ich das einfach auch auf Englisch hören, lesen, schauen kann.

[00:08:29]  Christina: Und es gibt ja verschiedene Formen des Spracherwerbs und wir sind jetzt beide keine Expertinnen dafür,

[00:08:35]  aber aus eigener Erfahrung kann ich sagen, also einmal gibt es natürlich dieses recht verschulte Spracherwerbssystem,

[00:08:42]  besonders wenn man es dann in der Freizeit beim Sprachenlernen gar nicht mehr so eine große Rolle spielt.

[00:08:48]  Wir haben natürlich auch Sprachkurse da für verschiedene Sprachen, also ganz unterschiedliche Sprachen,

[00:08:54]  kann man bei uns dann auch aus sich ausleihen und lernen.

[00:08:57]  Das ist noch ganz klassisch dann didaktisch aufgebaut, mit verschiedenen Büchern auf verschiedenen Sprachniveau

[00:09:03]  und sogar noch mit CDs.

[00:09:06]  Aber wir alle kennen es ja auch, die die von uns sprachaffin sind und das auch einfach gerne mögen.

[00:09:12]  Da gibt es auch dann Apps und das ist dann was auch viel mit der sogenannten Gamification arbeitet.

[00:09:18]  Und dann ist es viel auch gar nicht mehr so verschult, sondern arbeitet sehr viel über das Belohnungssystem

[00:09:25]  und über diesen Spaß dran zu bleiben, weil es das Einzige, was man machen muss, ist ja nur üben, üben, üben.

[00:09:31]  Und das, was wir gerade beschrieben haben, die Methode, die gibt es eben auch und dass man sich einfach umgibt

[00:09:39]  mit der Sprache, so viel es nur geht.

[00:09:42]  Deswegen lernt man natürlich, wenn man ohne Sprachkenntnisse in irgendein anderes Land geht und dann ein halbes Jahr da ist,

[00:09:49]  dann kann man irgendwann die Sprache, vorausgesetzt, man hat niemanden da, der mit einem die Erstsprache spricht.

[00:09:56]  Pia: Man kommt nicht mehr aus, man muss es irgendwann noch mal ein bisschen, zumindest, mitkriegen.

[00:10:00]  Christina: Genau, und dann lernt man das irgendwie so durch, teilweise kommt es mir vor wie Osmose. [lacht]

[00:10:06]  Also ich sitze zum Beispiel, ich weiß nicht wie es dir geht, aber ich sitze gar nicht mehr da und lerne so listenweise Vokabeln.

[00:10:13]  Da grauts mich richtig. Weil, ch habe dafür eine gamification-, also eine App, mit der spiele ich dann ein bisschen und dann macht es noch Spaß.

[00:10:20]  Pia: Ja, man holt sich das dann einfach so locker in den Alltag, das ist wie Candy Crush [lacht] aber halt für Sprachen.

[00:10:26]  Christina: Ja, genau. [Gelächter]

[00:10:28]  Pia, was ich dich noch fragen wollte, in welchem Alter hast du angefangen Englisch zu lernen?

[00:10:33]  Pia: Gute Frage, in der Volksschule, glaube ich, haben wir mit einem ganz einfachen Kurs angefangen, aber das war wirklich nur das aller Simpelste ...

[00:10:41]  Christina: Wie war das bei euch auch in der dritten Klasse?

[00:10:43]  Pia: Es kann sein, aber ich kann mir da ehrlich gesagt sehr schwer daran erinnern. [lacht]

[00:10:47]  Christina: Weil ich bin ja ein paar Jahre älter als du, bei mir war es auch in der Volksschulzeit.

[00:10:51]  Und ich weiß noch, dass es so in unserer Schule so ein in Anführungsstrichen "Pilotprojekt" gab für Kinder, die sich dafür interessieren,

[00:10:58]  dass man schon in der dritten Klasse anfing zu lernen.

[00:11:00]  Ich bin sicher, dass ist inzwischen Standard oder an vielen Schulen schon immer normal gewesen,

[00:11:05]  aber ich weiß noch, wie ich da gefragt worden bin, ob mich das interessieren würde.

[00:11:10]  Und das werde ich nie vergessen, wie dann plötzlich die Lehrerin statt "Apfel" "apple" draufgeschrieben hat.

[00:11:20]  Aber das Bild war es gleiche, nämlich das von einem Apfel.

[00:11:23]  Und ich habe dann so diese Idee, dass es für eine Sache an anderen Begriff gibt.

[00:11:30]  Pia, gleichzeitig: Begriff gibt. [beide lachen]

[00:11:31]  Christina: Ja, und da war schon so der erste Funke da, dass mir Sprachen Spaß machen,

[00:11:36]  weil es so der erste, winzige kleine Blick hinter den Vorhang von einer anderen Welt, so ein bisschen, oder?

[00:11:43]  Pia: Ja, es ist mir auch so gegangen. Aber ich kann mich nicht mehr drin, nicht genau dran erinnern, wann das war.

[00:11:50]  Ich weiß nur, wo ich das erste Mal Harry Potter auf Englisch gelesen habe,

[00:11:54]  da habe ich noch sehr, sehr viele Wörter googlen müssen.

[00:11:57]  Oder halt nicht googeln.

[00:11:59]  Nachschauen im Internet. [lacht]

[00:12:00]  Christina: Ich wollte gerade sagen, ich glaube nicht, dass es da ... Pia: ... oder Duden ... [beide lachen]

[00:12:03]  Pia: Aber... und eben, da habe ich mir halt auch Listen gemacht, weil ich die ganzen Sachen halt nicht gewusst habe.

[00:12:10]  Aber ich habe trotzdem teilweise einfach drüber gelesen oder weiter gelesen, weil irgendwann wird es sonst auch frustrierend.

[00:12:14]  Christina: Es gibt so, ich glaube, ich habe jetzt mal gelesen, wie gesagt, alles für den privaten Gebrauch,

[00:12:19]  aber, im besten Fall versteht man, ich glaube, es waren irgendwas zwischen 80 und 90 Prozent der Vokabeln, die auf einer Seite sind.

[00:12:27]  Und dann kann man anfangen, das Buch zu lesen.

[00:12:29]  Ist übrigens auch ein Rat, den ich komplett missachte, sondern ich fang auch einfach an das zu lesen und hoffe dann aufs Beste.

[00:12:36]  Pia: [lacht] Eben, mir ist es auch so gegangen. Und das war aber fasziniert, weil ich dann gelesen,

[00:12:39]  und ich weiß, dass es schon anstrengend war, das zu lesen, aber es hat mich einfach interessiert.

[00:12:42]  Das Buch und das Thema und daher habe ich weiter gelesen.

[00:12:46]  Und dann, Jahre später, habe ich es wieder gelesen und auf einmal habe ich gemerkt, wie einfach es ist. - Christina: Ja, genau.

[00:12:51]  Pia: Und das war der Moment, wo ich gecheckt habe, ach, okay, es geht auch.

[00:12:55]  Ich kann es ohne Probleme auf Englisch lesen.

[00:12:57]  Das ist super. Da hat man richtig seinen eigenen... also, man merkt, wie weit man vorankommen ist in der Sprache.

[00:13:03]  Christina: Ja, das ist so, so, so toll, weil es dauert, gefühlt ewig.

[00:13:07]  Und gerade wenn man da ein Buch liest und dann überhaupt sehr wenig versteht und es so anstrengend ist, kann es manchmal frustrierend sein.

[00:13:15]  Und dann zu sehen, dass wirklich es einfach ist, dranbleiben und es Interesse dazu führt, dass man es dann irgendwann kann.

[00:13:21]  Ich weiß nicht, war das bei dir auch so?

[00:13:23]  Ich habe auch, ein Grund, warum es bei mir auch Englisch war, abgesehen davon, dass ich mich recht früh in meinem Leben sehr schwer in diese Sprache verliebt habe,

[00:13:31] aus Gründen die ich gar nicht verstehe, ehrlich gesagt, war, dass bei mir damals Harry Potter noch geschrieben wurde.

[00:13:40]  Und das heißt, das nächste Buch bei mir war es, das vierte, ist zuerst auf Englisch herausgekommen -

[00:13:48]  - das ist das Fünfte, Entschuldigung -

[00:13:49]  das Fünfte ist erst auf Englisch herausgekommen und da kann ich doch jetzt nicht ein Dreivierteljahr warten ...

[00:13:54]  Das war noch bevor so ein Hit-Welterfolg wurde, dass es - das letzte Buch ist ja dann weltweit gleichzeitig veröffentlicht worden und all diese Sachen...

[00:14:02]  Also ich konnte das nicht abwarten und da hat es gar keine Wahl gegeben und das war eines der dickeren Bücher und genau das Gleiche, wie du gerade geschildert hast.

[00:14:10]  Pia: Mir ist es da genau gleich gegangen.

[00:14:12]  Das war auch ein Grund, warum ich dann gerne in Originalversion gelesen habe und darauf hingefiebert habe, weil ich einfach nicht warten wollte. [schmunzelt]

[00:14:19]  Ich glaube, das ist auch heute noch so, weil nun natürlich, außer du es sind so Mega-Bestseller-Welterfolge, kommen ja viele Medien erst später in den deutschen Sprachraum, logischerweise,

[00:14:30]  weil Übersetzer und Übersetzerinnen - Pia: Brauchen Zeit. - brauchen Zeit und es ist ja auch eine kreativ-literarische anspruchsvolle Arbeit, die dann ihre eigene Qualität mit sich bringt.

[00:14:42]  Aber nichtsdestotrotz ist es eine große Herausforderung, fremdsprachige Texte zu übersetzen und gerade Englisch ist so - ich glaub das könnt ihr auch alle nachvollziehen - ein riesiger Kulturraum, der auch so prägend ist für uns in Europa und auch in Österreich.

[00:15:02]  Pia: Und inzwischen auch im Internet. Die Sprache des Internets ist einfach Englisch, also zumindest [unverständlich] ...

[00:15:07]  in Europa, sagen wir es mal so. Christina: Aus unserer westliche Sicht ist es, ist es Englisch.

[00:15:12]  Stimmt, das war total der Vorteil, weil die Grenzen sich dann natürlich, also es gibt für das Englischsprachige Internet keine Grenzen und ich glaube, dass doch ganz viele, viele junge Leute heute deswegen einfach Englisch können,

[00:15:29]  weil sie sonst  aus ganz vielen Bereichen des Internets auch da gar keinen Zugriff hätten. Wobei es gibt natürlich, jetzt gibt es so langsam so die ganzen Übersetzungstools und so, aber es ist irgendwie trotzdem was anderes.

[00:15:44]  Pia: Es ist trotzdem was anderes. Aber da hast du jetzt eh etwas Interessantes angesprochen, weil börsenblatt.net hat letztens Jahr gerade ein Artikel rausgebracht,

[00:15:53]  der sagt, dass Englischsprachige Bücher in Deutschland immer beliebter werden, besonders bei jüngeren Generationen.

[00:16:01]  Und es liegt vor allem daran eben das, die Englischkenntnisse bei Jugendlichen immer besser sind, vor allem wegen diesen Online-Plattformen.

[00:16:08]  TikTok, Booktok, haben wir eh schon mal geredet. Und diese Plattformen fördern halt auch den Trend.

[00:16:15]  Und deswegen ist die Nachfrage nach englischen Originalausgaben immer gestiegen in den letzten Jahren und es führt zum Beispiel auch dazu, dass die auch auf den Beststellerlisten landen, [Christina, erstaunt: Ah!] also auch die englische Version landet bei uns auf die deutschsprachigen Bestsellerlisten,

[00:16:29]  zum Beispiel Prinz Harry, die Biografie oder von der Michelle Obama die Bücher.

[00:16:33]  Christina: Ah, das ist ja interessant. Also ich finde auch, dass, also jetzt merkt man es, den Buchhandel total an, dass der auf den Markt reagiert und dass es - also die Auswahl an Englischsprachiger Literatur ist so explodiert, in unserem Beispiel in Innsbruck.

[00:16:49]  Ich weiß noch, das weiß ich, dass es dir auch so gegangen ist, weil wir ab und zu zusammen durch die Buchhandlungen stöbern,

[00:16:58]  wir wissen immer genau, in welcher Ecke die Englischsprachigen Bücher sind und früher waren es halt wirklich die Ecken. Und das ist anders jetzt.

[00:17:04]  Pia: Das war ganz hinten in der Buchhandlung, wo wir immer hingang sind und das war nur ein Regal. [lacht]

[00:17:11]  Und ich muss noch zu meiner Schande gestehen, dass ich ganz lange bzw. einfach aus einem Müssen heraus, auch aus dem Bedürfnis heraus, relativ schnell die Sachen dann zu lesen, dass bei einem großen Online-Versandhandel -

[00:17:27] buuuuh - [Pia, lachend]: der namenlos bleiben soll. - Christina: [lacht] Der namenlos bleiben soll, weil er keine Werbung braucht - die Bücher bestellt hab. Aber weil es einfach keine, also ich habe nie irgendwo spontan gut reingehen können und da war genau das Buch da, auf das ich gerade Lust gehabt habe,

[00:17:41]  wenn ich das schnell haben wollte, dann habe ich es halt dort bestellt wegen den kurzen Lieferzeiten.

[00:17:47]  Ist mir auch genau gleich gegangen, in Buchhandlungen hast du nur die Klassiker bekommen.

[00:17:51]  Was auch interessant ist, aber das will man halt auch nicht immer lesen. [lacht]

[00:17:55]  Christina: Ja, man möchte einfach so "am Markt sein" sozusagen und es ist auch was wir definitiv merken in der Bibliothek, dass da die Nachfrage steigt oder die Selbstverständlichkeit, dass die Leute zu den Englischsprachigen Medien gehen.

[00:18:11]  Es ist jetzt, wir haben jetzt über Englisch geredet, natürlich, weil wir zwei unsere "auserkorene" anerlernte Zweitsprache ist einfach Englisch.

[00:18:21]  Es gibt ganz viele andere Zweitsprachen, die Veronika zum Beispiel, die nächste Woche zu Gast ist, hat Französisch, also ist Billingual aufgewachsen mit Französisch als zweite Sprache.

[00:18:35]  Und natürlich haben wir auch zum Beispiel französische Bücher oder italienische Bücher klar, also da würde ich etwas fehlen, weil wir keine italienischen hätten.

[00:18:49]  Pia: Oder Spanisch oder Russisch.

[00:18:51]  Ja, wir haben ganz, wir haben auch türkische und arabische Bücher.

[00:18:57]  Nur, bei manchen Sprachen ist es schwer, die zu beziehen, also dann tatsächlich Bücher in der Sprache zu erhalten, als egal ob Buchhändler oder Bibliothekare oder Buchhändlerinnen oder Bibliothekarinnen.

[00:19:13]  Und andere Sprachen sind einfach, da braucht es nicht so viele, weil da ist halt Englisch die Sprache.

[00:19:21]  Und dann ist es vielleicht noch als interessantes Pub-Quiz-Info zum guten Schluss.

[00:19:28]  Ca. 373 Millionen Menschen auf der Welt sprechen Englisch als Erstsprache.

[00:19:33]  Englisch, die Zahl erhöht sich, wenn man die Zweitsprache auch noch mit dazu nimmt, auf 1,5 Milliarden Leute.

[00:19:45]  Aber als Erstsprache ist es die drittgrößte Sprache auf der Welt nach Spanisch, also nach Mandarin und Spanisch.

[00:19:53]  Pia: Also das sagt schon einiges aus, oder? Das sind schon massive Zahlen.

[00:19:57]  Und wir haben halt immer die englischen Shows bekommen, nicht die Spanischen.

[00:20:00]  Pia: Ja.

[00:20:01]  Ich glaube, da merkt man halt schon den Einfluss der USA auf unsere Kultur.

[00:20:08]  Pia: Ja. Extrem.

[00:20:10]  Christina: Pia, als Schlusswort, gibt es denn Nachteile des Sprachenlernens?

[00:20:18]  Pia: Den gleichen Nachteil hast du auch aufgeschrieben, das weiß ich [lacht], wenn man da schon drüber geredet haben.

[00:20:23]  Das ist mir manchmal Wörter nicht einfallen in meiner eigenen Sprache, weil ich dann denke,

[00:20:27]  "Ah, dieses englische Wort ist einfach perfekt, ich würde das gern sagen."

[00:20:30]  Und vielleicht gibt es nicht ganz ein Äquivalent auf Deutsch.

[00:20:32]  Oder im Moment ist einfach das Deutsche ganz weg von meinem Gehirn.

[00:20:35]  Ich weiß nicht, was da passiert, aber das kann schnell mal sein. [lacht]

[00:20:39]  Christina: Das habe ich auch. Und am meisten stört mich das, wenn ich habe manche Gedankengänge oder Konzepte,

[00:20:45]  die ich habe, ich habe das auch so aus der Uni-Zeit.

[00:20:48]  Alles, was ich auf Englisch gelernt habe, kann ich mit dir besprechen auf Englisch.

[00:20:53]  Aber müsste ich es auf Deutsch übersetzen, fehlt mir auch vollkommen das Fachvokabular und solche Geschichten. [schmunzelt]

[00:20:57]  Das ist natürlich ein absolutes Luxusproblem.

[00:21:00]  Pia: [lachend] Viele andere negativ Sachen fallen mir jetzt nicht ein, muss ich sagen.

[00:21:03]  Christina: [lachend] Nein, das gibt es natürlich keine.

[00:21:05]  Sprachenlernen ist, finden wir, wunderschön.

[00:21:09]  Es ist ein tolles Hobby, es trainiert das Gehirn.

[00:21:12]  Und man kann jederzeit einsteigen.

[00:21:15]  Ich persönlich habe jetzt wieder entdeckt, für mich Französisch ein bisschen weiter zu machen.

[00:21:19]  Das lass sich dann immer mal liegen, dann hol ich es mir wieder her.

[00:21:22]  Hast du gerade irgendeine Sprache, die dich immer mal wieder so anlacht, berührt?

[00:21:27]  Außer Englisch muss ich sagen, also Französisch und Italienisch habe ich eine Schule gehabt,

[00:21:31]  aber das habe ich extrem vernachlässigt.

[00:21:33]  Also da müsste ich glaub ich ganz vorne anfangen. [lacht]

[00:21:36]  Christina: Genau, aber wenn ihr Englisch oder auch eine andere Sprache als Zweitsprache adoptieren wollt,

[00:21:44]  sozusagen, dann könnt ihr das machen.

[00:21:46]  Es gibt extrem viele Ressourcen, auch kostenlose Ressourcen, die ihr online finden könnt.

[00:21:51]  Sobald man sich in das Thema einarbeitet, weiß man recht schnell Bescheid.

[00:21:56]  Wenn ihr Hilfe braucht, dann kommt auch einfach bei uns in der Bibliothek vorbei.

[00:22:00]  Wir geben euch Tipps und Tricks mit an die Hand, wie man gut welche Kurse,

[00:22:04]  welche Sprachkurse man dann nehmen kann, mit welchen Büchern man anfangen sollte,

[00:22:08]  auf welchen Niveau man welche Bücher lesen kann.

[00:22:11]  Sowas wissen wir, da können wir euch gut helfen.

[00:22:14]  Pia, verabschiedest du den Podcast und fragst, stellst noch irgendeine Frage?

[00:22:20]  Pia: [Gelächter] Ja, danke fürs Zuhören.

[00:22:22]  Hat uns wie immer sehr gefreut.

[00:22:24]  Wir freuen uns auf die nächste Folge und auf die Veronika.

[00:22:28]  Wenn ihr uns eure Meinung zu Sprachen und eure eigene Sprachgeschichte erzählen wollt,

[00:22:36]  dann könnt ihr das gerne machen auf post.stadtbibliothek@innsbruck.gv.at

[00:22:42]  oder auf Instagram und Facebook.

[00:22:44]  Danke fürs Zuhören und bis zum nächsten Mal. Tschüss.

[00:22:48]  Tschüss.

[00:22:49]  Oder - äh - goodbye. [Gelächter]

[00:22:51]  [Outro-Musik]

[00:23:16]  [Pia spricht] S'Vorwort ist eine Produktion der Stadtbibliothek Innsbruck

[00:23:20]  und Teil der Stadtstimmen, dem Audiokanal der Stadt Innsbruck. [Pia spricht]

Transkription

[00:00:00]  Ja, hallo und herzlich willkommen zurück zum Vorwort, dem Podcast der Stadtbibliothek Innsbruck.

[00:00:20]  Mein Name ist Christina und heute sagt nicht die Pia hallo, sondern meine liebe Kolleginnen, die

[00:00:26]  Jaqueline, hallo. Hi Jaqueline, schön, dass du bei uns bist. Danke für die Einladung. Wir freuen uns

[00:00:32]  sehr und wir zwei stellen uns heute die Frage, warum mögen wir eigentlich Tropes, aber nicht

[00:00:39]  irgendwelche Tropes, sondern ganz speziell oder spezifisch -  welches Trope ... Über welches Trop sprechen

[00:00:45]  wir, die Zuhörer*innen wissen es eh schon - Enemies-to-Lovers. - Ja, also es wird eine sehr spannende Folge.

[00:00:52]  Und bevor wir einsteigen, Jaqueline, würde ich gerade noch kurz für unsere Zuhörer*innen,

[00:01:00]  die sich jetzt vielleicht fragen, "Trope", was ist jetzt ein "Trope", welche "Enemies", was für "Lovers",

[00:01:04]  erklären, was ein Trope allgemein überhaupt ist. Und zwar, der Begriff stammt ursprünglich aus der

[00:01:12]  Rhetorik. Da wird er als Überbegriff für bestimmte Klassen von rhetorischen Figuren

[00:01:18]  verwendet. So eine rhetorische Figur, das kennt man, das ist zum Beispiel eine Metapher. In der

[00:01:24]  moderne Literaturwissenschaft, aber auch in der Literaturkritik, als auch und vor allen Dingen

[00:01:31]  im englischsprachigen Raum, aber eben auch in anderen sprachlichen und kulturellen Kontexten

[00:01:36]  bezieht sich ein Trope auf wiederkehrende Motive, Themen, Handlungsmuster, Figurtypen oder Stilmittel,

[00:01:44]  die dann in vielen literarischen Werken vorkommen und eine bestimmte Bedeutung oder

[00:01:50]  Assotiation tragen. Ein paar gängige Beispiele für Tropes in der Literatur sind zum Beispiel der

[00:01:57]  Auserwählte auf Englisch "The Chosen One". Das ist eine Figur, die für eine besondere Aufgabe

[00:02:04]  oder ein Schicksal auserwählt ist. Harry Potter wäre zum Beispiel so einer. Der alte "weiße" Mentor,

[00:02:10]  der alte WEISE Mentor - wichtiger Unterschied. Ich bin's so gewohnt dieses "alte weiße Männer".

[00:02:17]  Aber es stimmt auch, also meistens sind sie auch weiß. Er, außer Yoda, der ist grün. Das wäre dann

[00:02:26]  eine, genau, ein erfahrener, weiser Charakter bzw. Figur, der dem Helden Ratschläge und Unterstützung

[00:02:34]  bietet. Yoda, haben wir schon genannt, Albus Dumbledore wäre auch einer. Der Klassiker. Oder

[00:02:42]  ein Antagonist, zum Beispiel Lord Voldemort. Genau, es ist nicht nur auf Literatur beschränkt,

[00:02:47]  es gibt es auch in Filmen, Fernsehserien, Theaterstücken und vielen anderen Erzählformen. Wozu dienen Tropes?

[00:02:53]  Die sind dafür da, Geschichten zu strukturieren, auch den Erzählfluss zu erleichtern. Sie verwenden

[00:03:00]  also immer bekannte Muster und Erwartungen. Deswegen sind sie auch recht beliebt in der

[00:03:04]  Kinder- und Jugendliteratur. Es gibt jetzt auch, vielleicht so ein Marketingbegriff, das sagt

[00:03:12]  dir bestimmt was Jacqueline , das New Adult, wo ich finde, dass das so ein bisschen verschwommen

[00:03:20]  ist von der Jugendliteratur in die Erwachsenen-Literatur und wie so ein Zwischenstadium ist oder wo

[00:03:26]  es so Elemente von der Jugendliteratur mit der Erwachsenen-Literatur verschmelzt. Also New Adult

[00:03:33]  zeichnet aus, dass es da viele Tropes gibt. Findest du das auch? Ja, also ich lese hauptsächlich

[00:03:42]  selbst "Young Adult", also das ist mein Lieblingsgenre zum Lesen, weil es eben für mich noch nicht ganz dieses

[00:03:49]  Erwachsene und meist Trockene irgendwie ist für mich. Und ich glaube, dass die, also das sind vor

[00:03:56]  allem ganz ganz ganz viele Tropes und dadurch kommuniziert die Community aber auch. Also auf

[00:04:02]  Instagram liest man nur Tropes. Wenn jemand ein Buch, ein Review schreibt oder bewirbt oder bewertet,

[00:04:08]  das sind immer Tropes in dem Kommentar und das wird dann immer diskutiert. Ja ist das jetzt

[00:04:14]  mehr "Slow Burn", ist das "Chosen Family" oder was auch immer dann eben der Trope ist. Also der kommt

[00:04:19]  dann sehr häufig vor und ist dann eben eigentlich in die Kommunikation über die Bücher übergegangen

[00:04:25]  und weiß auch nicht, ob es dann von daher jetzt kommt, dass die so aktuell und so beliebt

[00:04:30]  geworden sind hauptsächlich eben durch Social Media auch. Aber würde dir auf jeden Fall zustimmen,

[00:04:34]  dass in "Young Adult" das sehr verbreitet ist. Meine Theorie ist ja, dass das so aus der

[00:04:40]  Fanfiction-Kultur kommt, dass sich, wir haben ja schon mal über Fanfiction gesprochen und wer

[00:04:49]  sich da genauer dafür interessiert, kann sich die Folge gerne noch einmal anhören. Aber das ist

[00:04:58]  so mit dem Aufkommen von Fanfiction und das hat sich vor Social Media, würde ich schätzen,

[00:05:07]  hat sich vor Social Media an sich etabliert und dann ist es in Social Media übergeschwappt oder?

[00:05:14]  Ja auf jeden Fall, es habe ich gar nicht daran gedacht, stimmt bei den Fanfictions, wenn man die

[00:05:20]  ja googelt oder eingibt oder auf Archive of Our Own oder so was sucht, dann sind immer die Schlagwörter,

[00:05:26]  was sie dann eigentlich Tropes sind, stimmt und das habe ich noch gar nicht gedacht.

[00:05:29]  Ja, ans Archive habe ich auch gedacht, wenn man dann nur auf die Seite geht, Archive of Our Own

[00:05:34]  ist eine Fanfiction-Seite, inzwischen die größte Fanfiction-Seite im Internet, englischsprachig,

[00:05:41]  auf jeden Fall, ich würde sogar sagen überhaupt und dann hast du sofort die ganzen Tags und die

[00:05:47]  sind halt - das sind immer Tropes und dann kannst du dir sozusagen so wie eine Restaurantbestellung

[00:05:53]  das so zusammensetzen, was möchte ich denn jetzt? Ich hätte gerne das "Enemies-to-Lovers" mit einem

[00:05:59]  "Chosen One" als Protagonist, mit der mit dem und mit jener und so weiter zusammenkommt und dann

[00:06:05]  kannst du genau lesen, wenn es das denn gibt, was du lesen willst in dem Moment.

[00:06:11]  Genau, ja. Und das ist auf Social Media auch so, das habe ich zum Beispiel nicht gewusst.

[00:06:15]  Also ich bin recht aktiv auf Booktok und da ist eben immer, also ich glaube, man kommt fast

[00:06:22]  bei keinem Book Review jetzt vorbei, der nicht eben in Tropes spricht und auch, das heißt dann immer,

[00:06:29]  ja, das hat mir so gut gefallen, "Enemies-to-Lovers" und "Slowburn", das ist einem super gemacht

[00:06:34]  und hervorragend und das kategorisiert eigentlich schon alle Bücher. Also es gibt dann ganze

[00:06:40]  Bookstagram-Seiten, die sich dann spezialisieren auf "Romance Novels" zum Beispiel und dann wirklich

[00:06:45]  auch noch diesen Tropes dann Bücher bewerten. Also ich kenne das hauptsächlich eben von Social Media

[00:06:50]  und das dann eben auch jeder fragt, okay, aber hat das auch diesen und jenen Trope oder so was?

[00:06:55]  Also das ist für viele schon eine Voraussetzung, die Tropes zu wissen, bevor sie überhaupt ein

[00:07:00]  Buch lesen anfangen dann. Also das würdest du sagen, dass sich junge Leser*innern oder die,

[00:07:05]  die dann auch Booktok und so weiter benutzen, also auf diesen Plattformen am Weg sind,

[00:07:09]  dass die ein Buch nicht lesen würden, wenn es nicht ihrem Trope entspricht? Also ist es das so,

[00:07:18]  muss es so genau sein? Also ich glaube schon, also ich merk das bei mir selber auch schon. Ich bin zum

[00:07:23]  Beispiel kein großer Fan von "Enemies-to-Lovers", Spoiler. Ich finde, das ist ganz oft ganz schlecht

[00:07:30]  gemacht, dass der Hass mir einfach nicht bewusst ist, wieso die jetzt "Enemies" sind und ich mir einfach

[00:07:35]  denke, Leute, redet's einfach, dann ist jedem auf 10 Meilen klar, dass ihr "Lovers" sein solltet.

[00:07:39]  Das ist zum Beispiel bei mir ganz oft, dass ich mir denke, würde ich jetzt vermeiden, wenn jemand sagt,

[00:07:45]  oh, "Enemies-to-Lovers", und ganz, ganz toll, bin ich öfter skeptisch dann gegenüber dem Buch. Also ich

[00:07:50]  glaube schon, dass viele da die Tropes nutzen für Leserentscheidungen und wenn der Trope ist,

[00:07:55]  den sie nicht mögen, dass schon dann Auswirkungen hat aufs Leseverhalten, ganz eindeutig, ja.

[00:07:59]  Das ist wahrscheinlich auch eine Neue aus der Internetkultur herausgekommene

[00:08:09] Art zu lesen. Ich glaube nämlich, dass auch ganz viele Leute, zumindest ist das meine

[00:08:18]  Erfahrung, dass ich Bücher oft, ich meine, klar, wenn man eine Autorin oder ein Autor hat, den man mag,

[00:08:24]  Stephen King ist bei mir das Beispiel, dann liest man halt was da veröffentlicht wird, ich krieg genau das -

[00:08:28]  das ist zuverlässig. Und ich kann mir vorstellen, dass es da ähnlich ist. Aber abseits

[00:08:33]  der Genreliteratur, ist es bei mir oft so, dass dann schau ich einen Film und dann frage ich mich

[00:08:39]  ach, das basiert auf einem Buch oder ich frage,